Gewalt in Syrien:UN-Sondergesandter Annan will mit Assad verhandeln, erneut

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"Ich bin persönlich schockiert und entsetzt": Kofi Annan, der Syrien-Sonderbeauftragte der UN, ist nach dem Massaker von Hula kurzfristig nach Damaskus gereist. Dort will er am Dienstag Präsident Assad treffen und mit ihm über ein Ende der Gewalt reden. Zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat das syrische Regime für den Angriff verantwortlich gemacht und die Tötungen verurteilt.

Der UN-Sondergesandte Kofi Annan hat sich schockiert über das Massaker in der syrischen Stadt Hula gezeigt, bei dem mehr als als 100 Zivilisten getötet wurden. Annan sagte bei seinem Eintreffen in Damaskus, er sei "persönlich schockiert und entsetzt" von den Vorfällen vom Freitag. Zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat das syrische Regime für den Angriff verantwortlich gemacht und die Tötungen verurteilt.

Ein UN-Beobachter fotografiert auf diesem von Aktivisten ausgegebenen Bild in der syrischen Stadt Hula Leichen von Menschen, die bei Angriffen von Regierungstruppen ums Leben sein sollen. (Foto: REUTERS)

"Diese Friedensbotschaft ist an alle gerichtet, an alle Personen mit einer Waffe", sagte Annan. Der Sondergesandte war kurzfristig nach Syrien gereist. Dort soll er mit Außenminister Walid Muallem und am Dienstag auch mit Präsident Baschar al-Assad zusammentreffen.

Die Führung in Damaskus müsse ihren Willen für eine friedliche Lösung des Konflikts jetzt unter Beweis stellen. Er erwarte mutige Schritte von Assad, sagte Annan kurz nach seinem Eintreffen in der syrischen Hauptstadt. Er hoffe auf "ernsthafte und offene Gespräche".

Der UN-Sicherheitsrat hatte sich am Montagabend in einer nach einer Dringlichkeitssitzung verabschiedeten Erklärung zu dem Massaker geäußert. Darin hieß es, man verurteile "mit den stärksten möglichen Worten" die "abscheuliche Anwendung von Gewalt", die gegen internationales Recht verstoße. "Diejenigen, die für diese Gewalttaten verantwortlich sind, müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden", hieß es in der von den 15 Mitgliedern des Sicherheitsrats einstimmig verabschiedeten Erklärung weiter.

Eine direkte Zuweisung der Schuld für die "Tötung von Zivilpersonen durch Schüsse aus nächster Nähe sowie durch massive physische Misshandlung" wurde jedoch vermieden, da dies auf den Widerstand Russlands gestoßen wäre. Der russische UN-Botschafter Alexander Pankin wies die Vorstellung zurück, es gebe eindeutige Beweise für eine Schuld der Regierung in Damaskus. Russland macht sowohl die syrische Regierung als auch die Rebellen für das Massaker von Hula verantwortlich.

Beide Konfliktseiten müssten dazu gebracht werden, die Kampfhandlungen einzustellen, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow heute bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem britischen Amtskollegen William Hague. Beide Politiker zeigten sich besorgt, dass der UN-Friedensplan nicht umgesetzt werde. Dennoch sei der vom UN-Sonderbeauftragten Kofi Annan ausgehandelte Plan die einzige Hoffnung für Syrien.

Deutliche Worte in 20 Zeilen

Trotz des Verzichts auf Schuldzuweisung gehört das Papier mit gerade einmal gut 20 Zeilen aber zu den deutlichsten Worten, die der Sicherheitsrat in der seit 14 Monaten andauernden Krise mit mehr als 10.000 Toten bislang gefunden hat. Die syrische Regierung wurde aufgefordert, sofort die Nutzung schwerer Waffen einzustellen und ihre Truppen aus bewohnten Gebieten abzuziehen. Mit dem Angriff in Hula, bei dem es "mehrfachen Artillerie- und Panzerbeschuss durch die Regierungstruppen" gegeben habe, habe das Regime gegen seine in UN-Resolutionen festgehaltene Verpflichtung zur Beendigung der Gewalt im Land verstoßen.

Die Angaben der Regierung in Damaskus wurden damit von den UN negiert: Damaskus hatte immer wieder behauptet, die schweren Waffen wie gefordert abgezogen zu haben. Zudem verfügt nur das Regime über Panzer und Artillerie. Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig sagte, es gebe "klare Beweise" für den Gebrauch von schweren Waffen in Hula. Die syrische Regierung habe eine "klare Spur" bei dem Massaker hinterlassen und müsse dafür zur Verantwortung gezogen werden.

General Mood hatte zuvor berichtet, bei dem Blutbad am Freitag in der Ortschaft Hula bei Homs seien mindestens 108 Menschen ums Leben gekommen, etwa ein Drittel davon Kinder. Die UN-Experten hätten nicht nur Granathülsen von Kanonen- und Panzermunition gefunden, sondern auch Gebäude gesehen, die von solchen schweren Waffen zerstört worden seien. Zudem hätten die UN-Beobachter mit eigenen Augen Schützen- und auch Kampfpanzer gesehen.

Syrischer Botschafter wirft UN "Lügen" vor

Syriens UN-Botschafter Baschar Dschaafari blieb hingegen bei der Version seiner Regierung, dass "Terroristen" für das Massaker an den Zivilisten verantwortlich seien. Er warf anderen Botschaftern des Sicherheitsrates vor, "die Welt an der Nase herumzuführen und Lügen zu erzählen". Auf die Frage, wie er sich die Panzergranaten in den Wohngebieten erklären könne, antworte er nur: "Der deutsche und der britische Botschafter haben das falsch interpretiert."

In einem zuvor dem Rat von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zugeleiteten vertraulichen Brief hatte es geheißen, Vertreter der Vereinten Nationen hätten in einer Moschee des Ortes 85 Leichen gesehen, darunter die von 34 Kindern. Die Todesursache habe nicht immer sofort zweifelsfrei festgestellt werden können. Doch neben Verletzungen durch Schrotmunition seien auch Wunden gesehen worden, die durch Kanonen- und Panzergranaten verursacht wurden.

Augenzeugen zufolge lagen noch Leichen in einer zweiten Moschee, aus Sicherheitsgründen habe die aber nicht untersucht werden können. Später seien die Beobachter noch einmal zurückgekehrt und hätten drei Leichen, darunter die einer Frau und eines Babys, mit Schusswunden entdeckt. Sechs bis acht Leichen, darunter auch hier die mehrerer Kinder, seien unter UN-Aufsicht von einem Kontrollpunkt der Regierungstruppen in das Dorf zurückgebracht worden.

Nach Angaben von Aktivisten sollen bei Angriffen syrischer Regierungstruppen in der Provinz Hama gestern erneut Dutzende Menschen ums Leben gekommen sein. Allein in der Provinzhauptstadt Hama habe es 28 Tote gegen, darunter sieben Kinder, teilte die in London ansässige syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Unter den Opfern seien auch vier desertierte Soldaten. Alle seien von Regierungstruppen erschossen oder durch Granatbeschuss getötet worden. Die Zahl der Opfer könne noch steigen, da viele der 150 Verletzten in kritischem Zustand seien, hieß es.

In Daraa, wo der Aufstand gegen Präsident Baschar al-Assad im März 2011 begonnen hatte, zählten die Aktivisten in der Nacht vier tote Deserteure und 23 getötete Soldaten der Truppen des Regimes. Zudem seien im Großraum Damaskus mehrere Regierungssoldaten bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Viele weitere seien verletzt worden, als neben ihrem Bus eine Bombe explodiert sei. Anschließend sei es zu einem Feuergefecht gekommen.

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/Reuters/sebi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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