Nach dem Massaker im syrischen Hula:UN-Sicherheitsrat beruft Krisensitzung ein

Mehr als 100 Tote, viele von ihnen Kinder: Das Massaker in der syrischen Stadt al-Hula forderte mehr Opfer als zunächst angenommen. Die internationale Gemeinschaft reagiert mit Empören und Entsetzen. Der UN-Sicherheitsrat berät noch am Sonntag über sein weiteres Vorgehen. Am Montag will der UN-Sondergesandte Annan nach Syrien reisen. Die Opposition gibt seinem Friedensplan kaum noch eine Chance.

Den UN-Beobachtern, die am Samstag in al-Hula in der syrischen Provinz Homs eintrafen, bot sich ein erschütterndes Bild. In weiße Tücher gehüllt, lagen in einem Raum nebeneinander die Leichen von Dutzenden Menschen, bereits vorbereitet für das Begräbnis.

Videos, die Aktivisten ins Internet stellten, zeigen die Szene. Ein Blauhelm schreitet die Reihe der Toten ab. Aufgebrachtes Stimmengewirr schlägt ihm entgegen. Etwa jede dritte Leiche ist ein Kind. Blutverschmierte Kinder, verstümmelte Kinder, Kinder mit Projektileinschlägen im Kopf. Gestorben waren sie am Tag zuvor, bei einem Angriff der Truppen des mit brutaler Gewalt herrschenden Autokraten Baschar al-Assad auf den Ortsteil Taldo.

Eigentlich werden Tote im Islam möglichst noch am selben Tag begraben. Die Bewohner von Taldo warteten, damit die UN-Beobachter die Leichen zumindest noch sehen konnten. Gezählt wurden mehr als 90. Inzwischen kam heraus: Bei dem Massaker, das weltweit für Entsetzen und Empörung gesorgt hat, sind mehr Menschen getötet worden als bisher angenommen. Es habe 108 Todesopfer und etwa 300 Verletzte gegeben, berichtete Robert Mood, der Leiter der UN-Beobachtermission in Syrien.

Der UN-Sicherheitsrat trifft sich am Sonntagabend, um über die Vorgänge zu diskutieren. Die Dringlichkeitssitzung wurde angesetzt, nachdem Russland einen von Großbritannien und Frankreich eingebrachten Vorschlag zur Verurteilung des Massakers abgelehnt hat. Die Regierung in Moskau hatte in der Vergangenheit im UN-Sicherheitsrat bereits zwei Mal Resolutionen zur Verurteilung der Gewalt in Syrien verhindert. Zu Beginn der Sitzung äußerte der russiche Vertreter Igor Pankin Zweifel am genauen Hergang der Ereignisse, über den nach wie vor widersprüchliche Berichte kursieren: "Wir müssen prüfen, ob es wirklich die syrischen Autoritäten waren."

Mood sagte dem UN-Sicherheitsrat per Video-Schaltung, die meisten Opfer seien durch Granatsplitter oder Schüsse aus nächster Nähe getötet worden. Nach Angaben der UN-Beobachter sind viele Opfer des Massakers angeblich durch Artillerie- und Panzergranaten ums Leben gekommen. Über Panzer und Artillerie verfügt nur das Regime.

Ein syrischer Aktivist, dessen Eltern das Blutbad mit Glück überlebt hatten, berichtete von massivem Artilleriefeuer der Assad-Truppen. Zuerst sei die wöchentliche Protestkundgebung gegen das Regime angegriffen worden, danach seien stundenlang Granaten und Raketen auf die Wohnhäuser abgefeuert worden.

Syrischer Nationalrat erwägt bewaffneten Befreiungskampf

Andere Aktivisten sprachen von Maschinengewehren, mit denen die Assad-Truppen auf die Protestdemonstration feuerten. Daraufhin hätten Rebellen der Freien Syrischen Armee zurückgeschossen. Später hätten die gefürchteten regimetreuen Schabiha-Milizionäre wahllos Dorfbewohner massakriert.

Der Syrische Nationalrat (SNC) hat vor einem langen Bürgerkrieg in Syrien gewarnt, falls die internationale Gemeinschaft weiterhin keinen Weg zum Schutz der Zivilisten findet. Nach dem Massaker in al-Hula müsse die Opposition über einen bewaffneten Befreiungskampf nachdenken, sagte der SNC-Vorsitzende Burhan Ghaliun vor der Presse in Istanbul.

"Wir kannten dieses Regime, aber selbst wir haben nicht erwartet, dass es so schlimm kommen würde, dass man mit schweren Waffen und Artillerie auf Wohnviertel vorgehen würde", sagte Ghaliun. Die Anwesenheit der UN-Militärbeobachter und der Friedensplan von UN-Vermittler Kofi Annan könnten den blutigen Konflikt nicht beenden. "Der Annan-Plan ist tot", betonte Ghaliun. Ein anderes Mitglied des SNC-Exekutivrates räumte ein, dass bereits eine große Zahl von Waffen in die Hände von Regimegegnern gelangt seien. Dass diese Waffen "willkürlich" verteilt würden ohne jede politische Kontrolle, sei jedoch bedauerlich und gefährlich.

Regime lehnt jede Verantwortung ab

Das Regime in der Hauptstadt Damaskus wies am Sonntag jede Verantwortung für das Massaker zurück. Demnach hätten die Truppen Assads keinen einzigen Schuss abgefeuert. Vielmehr seien es "terroristische Banden" und Angehörige des Terrornetzwerks al-Qaida gewesen, die das Blutbad in al-Hula angerichtet hätten.

UN observers Mission in Syria

UN-Beobachter bei ihrer Mission in einem Vorort von Damaskus: Syrische Oppositionelle fordern nach dem Massaker von Hula, bei dem mehr als 90 Menschen getötet wurden, ein entschlosseneres Handeln der internationalen Gemeinschaft.

(Foto: dpa)

Angesprochen auf eine Bewertung der Vorfälle, wählte Robert Mood, der Chef der 275-köpfigen UN-Beobachtermission in Syrien, seine Worte im Interview mit dem arabischen TV-Sender al-Dschasira mit Bedacht: "Die Umstände, die zu diesem tragischen Sterben führten, sind noch unklar". Von einem Massaker wollte er noch nicht sprechen. Doch wer auch immer Gewalt zum Erreichen seiner Ziele anwende, "führt dieses Land einen Schritt näher an den Bürgerkrieg heran".

Die internationale Gemeinschaft reagierte weniger diplomatisch: "Mit diesen neuen Verbrechen treibt das mörderische Regime Syrien noch tiefer in das Entsetzen und gefährdet die Stabilität der Region", sagte der französische Außenminister Laurant Fabius. Auch sein deutscher Amtskollege Guido Westerwelle zeigte sich erschüttert. Es sei "schockierend und empörend, dass das syrische Regime seine brutale Gewalt gegen das eigene Volk nicht einstellt", erklärte er. Sein britischer Kollege William Hague kündigte eine "starke Reaktion" an.

US-Außenministerin Hillary Clinton hat angekündigt, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um den Druck auf das Assad-Regime zu erhöhen. "Deren Herrschaft durch Mord und Angst muss ein Ende haben", forderte Clinton. Wie die New York Times berichtete, wollen die USA mit Russland sprechen, um Syrien nach dem Vorbild Jemens zu befrieden. Der Plan solle auf einem Machtverzicht von Staatschef Baschar al-Assad zugunsten eines Übergangspräsidenten beruhen, berichtete die Zeitung. Weitere Verantwortliche der derzeitigen syrischen Führung sollten hingegen ihre Ämter behalten.

Annan will am Montag nach Syrien reisen

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und sein Vorgänger Kofi Annan, der als Syrien-Vermittler von UN und Arabischer Liga eingesetzt ist, verurteilten in einer in New York verbreiteten gemeinsamen Erklärung den "wahllosen und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt", der eine klare Verletzung internationalen Rechts darstelle.

An diesem Montag soll Annan nach Damaskus kommen. Vielleicht liegen ihm dann schon genauere Erkenntnisse über die Schuldigen am Tod der Kinder von al-Hula vor. Sein Friedensplan, der auf einer Waffenruhe und anschließenden vertrauensbildenden Maßnahmen beruht, steht kurz vor dem Scheitern.

Die vor allem aus desertierten Soldaten bestehende Freie Syrische Armee (FSA) will sich nach eigenen Angaben nicht länger an den Friedensplan des Syrien-Gesandten halten, wenn die Vereinten Nationen nicht sofort in den Konflikt eingreifen. "Wenn der Sicherheitsrat der UN jetzt nicht die nötigen Entscheidungen trifft, um Zivilisten zu schützen, wird der Plan zur Hölle gehen", hieß es in einer Erklärung der FSA. Die Rebellentruppe fordert nach dem "Verbrechen von al-Hula" Luftangriffe auf die Truppen des Präsidenten.

In vielen syrischen Städten kam es am Sonntag zu Protesten gegen das Blutvergießen in Hula. Dabei kam es erneut zu Zusammenstößen mit Regierungstruppen. Gefechte habe es unter anderem in der Stadt Hama und in zwei Vororten der Hauptstadt Damaskus gegeben, teilten die Örtlichen Koordinationskomitees und das in London ansässige Syrische Observatorium für Menschenrechte mit. Außerdem habe es im Stadtteil Masse eine Bombenexplosion gegeben, bei der mehrere Menschen ums Leben gekommen seien. Auf einem Video, das von Aktivisten ins Internet gestellt wurde, war offenbar dichter schwarzer Rauch über Masse zu sehen.

Die Verzweiflung der Opfer der Regime-Gewalt wird unterdessen immer größer. Bei den Kundgebungen nach dem Massaker tauchten Plakate auf, auf denen geschrieben stand: "Annan, Deine Hände sind mit dem Blut von Kindern befleckt, und Du hast Dich zum Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht."

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