Buchvorstellung:"Deutschland ist reif für die Auseinandersetzung mit diesem Buch"

Das Institut für Zeitgeschichte präsentiert eine kommentierte Neuauflage von Hitlers Hetzschrift. Im Vorfeld gab es Kritik - aber auch Unterstützung, unter anderem vom Zentralrat der Juden.

Von Martin Anetzberger, München

Vor dem Eingang parken neben einem Polizeiauto ein halbes Dutzend TV-Übertragungswagen. Drin - im Institut für Zeitgeschichte - stehen etwa 15 Videokameras, mehr als hundert Journalisten sind versammelt. Es ist eine etwas seltsame Buchpräsentation, die da in der Münchner Leonrodstraße stattfindet. Denn das Buch an sich ist nicht neu und den meisten der Anwesenden bekannt. "Mein Kampf" - die aus den 20er Jahren stammende, nationalsozialistische Hetzschrift des späteren Diktators Adolf Hitler.

Sie wird nun in zwei Bänden neu herausgegeben. Allerdings als eine von Wissenschaftlern edierte Fassung, versehen mit mehr als 3500 Anmerkungen, die das Pamphlet erläutern und einordnen sollen. Auf einem Tisch mit einer blauen Decke liegt das Werk. In einem grauen schmucklosen Einband - der Titel "Hitler, mein Kampf - eine kritische Edition" ist sehr klein gehalten. Die beiden Bände mit insgesamt 2000 Seiten sehen so unspektakulär aus wie die Wälzer aus einem rechtswissenschaftlichen Institut, nach denen nur Juristen, und solche die es werden wollen, freiwillig greifen. Ein Hingucker ist dieses Buch definitiv nicht, die Aufmachung passt so gar nicht zum öffentlichen Interesse an dieser Pressekonferenz.

Möglich wurde die Publikation, weil 70 Jahre nach Hitlers Tod das Urheberrecht für "Mein Kampf" erloschen war. Das hatte seit 1948 der bayerische Staat inne. Und der nutzte dieses Recht, um bis dato jeden Nachdruck zu verbieten. Jetzt dürfte prinzipiell jeder das Buch drucken.

Genau das sahen die Verantwortlichen der Edition als Motivation für ihre Arbeit. IfZ-Direktor Andreas Wirsching sagt, es sei "unverantwortlich, dieses Konvolut der Unmenschlichkeit kommentarlos vagabundieren zu lassen". Ziel sei gewesen, Hitler und seine "gestreuten Falschinformationen und seine Lügen" zu enttarnen. Rückendeckung erhält er von Ian Kershaw, einem der prominentesten Hitler-Biografen, der als Gast in München ist. "Eine Zensur ist in einer freien Gesellschaft auf Dauer zwecklos", sagt er, diese habe nur dazu beigetragen, einen Mythos um Hitlers Text zu schaffen. Deutschland solle eine selbstbewusste Demokratie sein, die sich nicht mehr vor dem NS-Diktator zu fürchten brauche. Projektleiter Christian Hartmann sagt: "Die deutsche Gesellschaft ist reif für die Auseinandersetzung mit diesem Buch."

Die bayerische Staatsregierung lobt Hartmann ausdrücklich. Sie habe ihre urheberrechtliche Verantwortung "treu und redlich" erfüllt. Dabei hatte sie das Vorhaben zunächst mit einer halben Million Euro unterstützt, ehe Horst Seehofer das Engagement 2013 stoppte: "Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag in Karlsruhe stellen, und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von 'Mein Kampf'", sagte er damals nach einer Israel-Reise, obwohl sogar der Zentralrat der Juden in Deutschland das Vorhaben befürwortet hat.

Kritik gibt es dennoch nicht wenig. Das "absolut Böse" lasse sich nicht edieren, schrieb zum Beispiel der Literaturprofessor Jeremy Adler in der Süddeutschen Zeitung. (Das ganze Interview mit SZPlus lesen.) Das Ergebnis eines neuerlichen Abdrucks, in welcher Form auch immer, könne nur sein, die Aussagen Hitlers weiterzuverbreiten. Hartmann weist jedoch darauf hin, dass es sich hierbei um ein internationales Problem handle. Als Beweis zeigt er einen vollkommen unkritischen Abdruck aus Indien, wo "Mein Kampf" reißenden Absatz findet. Auf der letzten, werblichen Seite des Werks steht "Mein Kampf" zusammen mit einem Buch des US-Präsidenten Barack Obama als Leseempfehlung. Solchen Veröffentlichungen wollte Hartmann etwas entgegensetzen.

Adler schrieb auch, die Veröffentlichung könne möglicherweise gesetzeswidrig sein. Doch dem Szenario, dass sie wegen der Verbreitung von NS-Propagandamitteln angezeigt werden könnten, sehen sowohl Wirsching als auch Hartmann gelassen entgegen. Man sei darauf vorbereitet, sagt der Institutsleiter und: "Kurzfristig wissen wir von keinen solchen Initiativen." Von privater Seite sei das aber nicht auszuschließen. Hartmann wirft ein, er habe erfreulicherweise wenig Hassbriefe bekommen. Nur einmal habe ihm ein Kritiker sein E-Mail-Postfach mit Spam-Mails blockiert.

An eine Massenverbreitung ihrer kommentierten Fassung, die das IfZ nach eigener Aussage zum Selbstkostenpreis produziert hat, glauben die Initiatoren ohnehin nicht. Nur 4000 Exemplare zählt die erste Auflage, die aber erweitert werde, da schon 15 000 Bestellungen eingegangen seien.

Im großen Münchner Buchhandel Hugendubel war das Buch zumindest in der Filiale am Stachus vor der Präsentation noch nicht erhältlich. Man habe es zwar bestellt, bisher sei allerdings erst ein Exemplar eingegangen, hieß es dort.

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