Britische Regierung streitet über Europa:Cameron in der Klemme

David Camerons Veto beim EU-Gipfel hat einen Sturm ausgelöst, der schlimme Folgen haben könnte: für die britische Wirtschaft wie auch seine Koalition mit den Liberaldemokraten. Zwar lässt sich der Premier von seinen europaskeptischen Tories als Held feiern, doch so heroisch scheint sein Auftritt in Brüssel nicht gewesen zu sein: Einiges spricht dafür, dass sich Cameron schlicht und einfach verzockt hat.

Christian Zaschke, London

David Camerons Veto gegen eine Änderung der EU-Verträge hat einen Sturm in der britischen Koalitionsregierung ausgelöst - es ist der stärkste seit Frühjahr 2010, als die Regierung ihre Geschäfte aufnahm. Was genau dieser Sturm anrichten kann, ist ungewiss, doch in einem gleichen sich die Prognosen: Es könnte schlimm werden.

Britische Regierung streitet über Europa: Der britische Premier David Cameron könnte sich mit seinem Veto beim EU-Gipfel verzockt haben.

Der britische Premier David Cameron könnte sich mit seinem Veto beim EU-Gipfel verzockt haben.

(Foto: AFP)

Der Konflikt der europafreundlichen Liberaldemokraten mit den Europaskeptikern unter den Tories rührt an die Substanz der Koalition. Eine Versöhnung der beiden Lager erscheint unmöglich, und doch muss Premier Cameron seine Parteifreunde vom rechten Rand und die Liberaldemokraten wieder an einen Tisch bringen, wenn er Neuwahlen vermeiden will.

Bisher hatten die Konservativen den Chef der Lib Dems, Nick Clegg, als folgsamen Juniorpartner kennengelernt. Inhaltlich sind die Lib Dems nicht mit deutschen Liberalen zu vergleichen, sie stehen den Grünen wesentlich näher. Doch was immer die Konservativen durchsetzen wollten - Clegg nickte es ab. Besonders eklatant war seine Zustimmung zur drastischen Erhöhung der Studiengebühren. Im Wahlkampf hatte Cleggs Partei versprochen, die Studiengebühren abzuschaffen. Seit dem Umfaller gilt Clegg als größter Opportunist des Landes.

Jetzt aber hat Clegg ein Thema gefunden, mit dem er sein Renommee zurückgewinnen kann. Er hat den Premier für dessen Veto nicht nur offen kritisiert, er will auch, dass Cameron alle Anstrengung unternimmt, Großbritannien wieder näher an Europa zu rücken.

Vielleicht hat das Thema auch Clegg gefunden: Zwei Tage überlegte er, bevor er seine Attacke ritt. Die Nähe zu Europa ist eines der Kernanliegen der Lib Dems. Clegg verlöre auch den letzten Rest an Rückhalt in seiner Partei, wenn er erneut artig Männchen machte, während die Tories das Nein von Brüssel feiern.

Eine unmittelbare Gefahr

Für David Cameron steckt in dieser Aufforderung eine unmittelbare Gefahr. Denn mit seinem Veto hat er im eigenen Lager die Europaskeptiker regelrecht entfesselt. In konservativen Zeitungen werden allen Ernstes Parallelen zu König Henry VIII. gezogen, der Großbritannien vor knapp 500 Jahren von der römisch-katholischen Kirche lossagte. Die Europaskeptiker in Camerons Partei liegen sich noch immer jubelnd in den Armen. Sie werden keine Ruhe geben, wähnen sie doch die Bevölkerung auf ihrer Seite: Einer Umfrage der Times zufolge glauben 57 Prozent der Briten, Cameron habe in Brüssel das Richtige getan.

Ein historischer Fehler

Allerdings stellt sich die Frage, ob Camerons Veto tatsächlich so heroisch war, wie es die ultrakonservativen Kräfte nun darstellen wollen. Einiges spricht dafür, dass der Premier sich verzockt hat. Es mehren sich die Berichte, wonach der Auftritt in Brüssel diplomatisch miserabel vorbereitet war und Camerons Taktik bei den anderen Staatschefs auf umfassendes Unverständnis stieß. Vorstellbar ist, dass die bisher folgenreichste Entscheidung in Camerons Laufbahn einem erstaunlichen Maß an außenpolitischer Naivität entsprang.

Winston Churchill

Winston Churchills Devise lautete: Keep calm and carry on - ruhigbleiben, weitermachen. Diese Aufnahme des legendären britischen Staatsmannes entstand 1955

(Foto: dpa)

Zudem kann niemand ernsthaft glauben, Großbritanniens schwindender Einfluss in Europa habe keine Folgen für die heimische Wirtschaft. Die konservative Regierung fährt einen eisernen Sparkurs und sieht einer Rezession entgegen. Mehr denn je müsste Cameron nach mehr Unabhängigkeit von den Finanzmärkten streben, mehr denn je müsste er die britische Industrie stärken. Die wiederum ist auf den europäischen Binnenmarkt dringend angewiesen, dem Cameron gerade die kalte Schulter gezeigt hat.

Cameron ist also dabei, einen historischen Fehler zu wiederholen. Der Gründung der EWG blieben die Briten 1957 fern. Es war die Wirtschaft, die diesen Fehler erkannte und Druck auf die Politik ausübte. 1961 bemühte sich das Vereinigte Königreich erstmals um Aufnahme. Es dauerte dann noch zwölf Jahre, bis die Briten Mitglied der EG wurden.

Was immer Camerons Veto für die Beziehungen Großbritanniens zur EU bedeutet: Der Premier hat sich zunächst innenpolitisch in eine prekäre Lage manövriert. Die Koalition droht über den unvereinbaren Positionen zu zerbrechen. Dass die Europaskeptiker unnachgiebig sind, haben sie erst im Oktober in einer spektakulären Abstimmung bewiesen, als sie trotz strengstem Fraktionszwang gegen den moderaten Cameron votierten. Aber auch die Lib Dems können sich nun, da sie sich offen gegen den Premier positioniert haben, kein Nachgeben mehr erlauben, wenn sie nicht alle Glaubwürdigkeit verspielen wollen.

Flexibel bis zur Wirbellosigkeit

Nick Clegg selbst wird die Auseinandersetzung wohl nicht bis zum Äußersten treiben. Er hat sich als flexibel bis zur Wirbellosigkeit erwiesen. Doch seine Partei könnte es satthaben, ihre Ideale an die Tories zu verraten. Schlimmstenfalls lassen also die Abgeordneten der Lib Dems die Koalition brechen. Cameron hätte dann die in jeder Hinsicht schlechteste Entscheidung eines britischen Premierministers der jüngeren Geschichte getroffen.

Welchen Sturm ein Scheitern der Regierung auf den Finanzmärkten auslösen würde, mag man sich auf dem Kontinent nicht ausmalen. Aber auch dort bleibt mit Blick auf den erstaunlichen Mr. Cameron nur die alte Devise Winston Churchills: Keep calm and carry on - ruhigbleiben, weitermachen.

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