Brexit:Die Scheidung kommt nicht voran

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Die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (Archivbild) (Foto: picture alliance / Olivier Hosle)
  • Die EU-Spitzen und die britische Premierministerin haben bei ihren Gesprächen keinen endgültigen Durchbruch in den strittigen Brexit-Fragen erzielt.
  • Dabei sind in einige Fragen bereits Fortschritte erzielt worden.
  • Der Streitpunkt Irland bleibt schwierig - und hat Widerstand der DUP hervorgerufen.

Von Daniel Brössler, Brüssel, und Cathrin Kahlweit, London, Brüssel/London

So klingt Schadensbegrenzung: "Trotz unserer besten Bemühungen und des signifikanten Fortschritts, den wir und unsere beiden Teams in den letzten Tagen gemacht haben, war es nicht möglich, eine vollständige Einigung zu erzielen", verkündet ein EU-Kommissionspräsident, der sich diesen Tag anders vorgestellt hatte. Man habe konstruktiv verhandelt und Fortschritte gemacht, sekundiert eine britische Premierministerin, der die Dinge wieder aus dem Ruder gelaufen sind. Nun stehen Jean-Claude Juncker und Theresa May vor der Presse in Brüssel und bilden eine Schicksalsgemeinschaft. Beide hatten die Erwartungen hoch gesteckt an ihr Mittagessen, das den Durchbruch hatte bringen sollen in der ersten Phase der Brexit-Verhandlungen.

Man saß schon eine gute Stunde zusammen im Brüsseler Berlaymont-Gebäude, als klar wurde, dass es anders laufen würde. Die Telefone der Briten am Tisch begannen zu vibrieren. Nervosität machte sich breit. Nachrichten über eine nahende Einigung und Mays Zugeständnisse hatten London bereits erreicht und dort ihre Wirkung nicht verfehlt. May musste Juncker zu verstehen geben, dass sie jetzt hier einen Deal schließen könne, aber dann zu Hause keine Regierung mehr haben würde. Das Essen wurde abgebrochen.

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Dabei hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk noch kurz zuvor einen fröhlichen Tweet abgesetzt: "Sag mir, warum ich Montage mag!", schrieb er in Anlehnung an den Song "I don't like Mondays" der irischen Band Boomtown Rats. Er sei nach einem Telefongespräch mit dem irischen Regierungschef Leo Varadkar guter Dinge. "Wir nähern uns 'ausreichendem Fortschritt' beim Europäischen Rat im Dezember".

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Tatsächlich schienen zwei der drei Scheidungsthemen schon vor dem Essen weitgehend geklärt zu sein. Zum einen hatte May die finanziellen Forderungen der EU im Wesentlichen erfüllt. Eine genaue Summe wurde zwar vermieden, im Ergebnis dürften die Briten aber über die Jahre 55 Milliarden Euro zahlen. Auch bezüglich der Rechte der in Großbritannien lebenden EU-Bürger und der in der EU wohnenden Briten schien es keine ernsten Differenzen mehr zu geben. Als Hauptproblem blieb: Irland.

Die Nachrichten aus Brüssel lösten in Großbritannien mehrere kleine Beben aus

Und während in Brüssel im Verlauf des Tages eine leise Euphorie spürbar war, weil das Königreich und die EU offenbar in dieser sensiblen Frage eine Lösung gefunden zu haben schienen, lösten die Nachrichten aus Brüssel in Großbritannien mehrere kleine Erdbeben aus. Denn: Die irische Regierung will unbedingt verhindern, dass sich wieder eine Grenze durch die Insel zieht - mit negativen Folgen für die Wirtschaft und schlimmstenfalls auch für den Frieden. May hatte das auch immer ausgeschlossen. Nun wollte sie offenbar weitgehende Konzessionen machen; die Briten, hieß es, würden Nordirland eine Art Sonderstatus zubilligen, der Nordteil der Insel werde sich weiter an Regeln und Standards der EU halten. Strittig war aber die Formulierung: Müsste klargestellt werden, dass die Regeln "nicht divergieren" oder reicht es, dass sie "harmonisiert" bleiben?

Letztlich geht es darum, ob sich - statt zwischen den beiden Teilen der irischen Insel - nun eine Art Grenze auftun könnte zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs. Die britische Regierung will ihr Land nicht nur aus der EU, sondern auch aus der Zollunion und dem Binnenmarkt führen, während Nordirland, wenn Standards auf der Insel nicht divergieren sollen, weiterhin Regeln des Binnenmarkts anwenden würde. Die Iren ließen sich auf die weichere Formulierung ein, was den Durchbruch ermöglicht hätte. Wäre nicht die Aufregung in London gewesen. Das, was in der Republik Irland schon als Sieg gefeiert wurde, löste in London jedenfalls Widerstand und Begehrlichkeiten aus. Arlene Foster, Chefin der nordirischen DUP, die Mays Minderheitsregierung mit ihren zehn Abgeordneten unterstützt, trat nach ersten Gerüchten über eine Sonderregelung für Nordirland vor die Kameras und meldete Protest an.

Die DUP lehne ein solches Ergebnis ab. Ob die DUP ihren Deal mit May aufkündigen wird, was eine Regierungskrise auslösen würde, sagte Foster nicht. Auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon und der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan meldeten sich zu Wort, allerdings mit einer ganz anderen Botschaft: Was für Nordirland recht und billig sei, das müsse auch in anderen Landesteilen denkbar sein. Khan twitterte, ein spezieller Status für Irland habe "immense Auswirkungen" auf London, würde man der Hauptstadt erlauben, in der Zollunion und im Binnenmarkt zu bleiben, könne das Tausende Jobs retten. Die Lösung für Irland, die sich in Brüssel andeutete und mit welcher der erste Teil der Brexit-Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende hätte kommen können, haben in Großbritannien die Büchse der Pandora geöffnet.

Die Premierministerin jedenfalls konnte dem eigentlich schon gefundenen Kompromiss in Brüssel nicht mehr zustimmen. Um Unruhe zu vermeiden, entschlossen sich May und Juncker, vor die Presse zu treten. Er sei überzeugt, "dass wir im Laufe der Woche zu einer Einigung kommen", sagte Juncker. Man komme vor Ende der Woche wieder zusammen, versprach May. Es sei immer noch möglich, dass die Staats- und Regierungschefs der 27er-EU beim Gipfel Mitte Dezember "ausreichenden Fortschritt" verkünden, hieß es anschließend in Brüssel. Nur dann kann die zweite Verhandlungsphase mit Gesprächen über ein britisch-europäisches Handelsabkommen beginnen.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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