Beobachtung linker Abgeordneter:Justizministerin rügt Verfassungsschutz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz steht wegen Berichten über die Beobachtung linker Bundestagsabgeordneter parteiübergreifend massiv in der Kritik: "Wenn das tatsächlich wahr ist, wäre das unerträglich", sagte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger der SZ. Der Präsident des Verfassungsschutzes spricht von "künstlicher Aufregung" - und bekommt Rückendeckung von der Kanzlerin.

Daniel Brössler und Jan Bielicki

Nach Berichten über die Beobachtung zahlreicher führender Abgeordneter der Linken gerät das Bundesamt für Verfassungsschutz massiv in die Kritik. "Die Arbeit von frei gewählten Bundestagsabgeordneten darf nicht durch den Verfassungsschutz beeinträchtigt werden. Wenn es tatsächlich wahr ist, dass langjährige Bundestagsmitglieder bis hin zur Bundestagsvizepräsidentin überwacht werden, wäre das unerträglich", sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) der Süddeutschen Zeitung am Montag.

Verfassungsschutz beobachtet umfangreich die Linke

Werden prominente Bundestagsabgeordnete der Linken vom Verfassungsschutz beobachtet?

(Foto: dapd)

"Nach der Pannenserie um die Zwickauer Zelle sollte der Verfassungsschutz selbständig seine Arbeit und seine Schwerpunkte überdenken", forderte sie. Ähnlich äußerte sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel: "Haben die nichts anderes zu tun?"

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel sieht hingegen keinen Anlass zur Kritik am Verfassungsschutz. Auf die Frage, ob die Kanzlerin Fraktionschef Gregor Gysi für verfassungsgefährdend halte, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert: "Die Bundeskanzlerin kennt sehr viele Bundestagsabgeordnete. Was sie von dem einen oder anderen privat hält, ist das eine. Ein gesetzlicher Auftrag ist das andere." Das Amt handle im Einklang mit seinem Auftrag. Allerdings gelte, dass die "Art und Weise, wie der Auftrag erfüllt wird, natürlich immer wieder auch einer Überprüfung unterzogen wird, ob bestimmte Maßnahmen verhältnismäßig sind oder nicht".

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), forderte den Verfassungsschutz auf, die Beobachtung im Einzelfall zu begründen. Bosbach sagte der Mitteldeutschen Zeitung: "Wer sich in der Partei eine Kommunistische Plattform hält, darf sich nicht wundern, dass es eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz gibt." Der Verfassungsschutz müsse aber "schon gut begründen, warum er auch Material sammelt über die Realos bei der Linkspartei". Er müsse "Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen belegen können". Allein die Mitgliedschaft in der Partei reiche dafür nicht aus.

"Angriff auf das Grundgesetz"

Die Linke bekräftigte ihre Forderung nach der Abschaffung des Verfassungsschutzes. "Der Verfassungsschutz, wie er jetzt existiert, dient nicht dazu, die Verfassung zu schützen", erklärte Parteichefin Gesine Lötzsch am Montag in Berlin. Es handele sich um einen "Angriff auf das Grundgesetz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagte sie zu Informationen, wonach 27 von 76 Bundestagsabgeordneten sowie elf Landtagsabgeordnete der Linken vom Verfassungsschutz überwacht werden.

Der Spiegel hatte berichtet, dass zu den Beobachteten in der Linksfraktion der Vorsitzende Gregor Gysi, seine erste Stellvertreterin Sahra Wagenknecht, die Mitglieder des Fraktionsvorstands, Dietmar Bartsch und Jan Korte, die Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann sowie die Vize-Bundestagspräsidentin Petra Pau gehören.

Gysi schreibt an Merkel

Fraktionschef Gysi wandte sich in einem Brief an Kanzlerin Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Bundespräsident Christian Wulff. "Der Bundestag hat unter anderem die Funktion, die Tätigkeit der Geheimdienste in Deutschland zu kontrollieren. Die Tatsache, dass ein Geheimdienst diese Funktion umdreht und meint, selbst Abgeordnete überwachen zu dürfen, ist nicht hinnehmbar", schrieb er. Alle drei ersuche er, "das in Ihren Ämtern Mögliche zu tun", damit die Überwachung der Linken eingestellt werde.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums stellte klar, dass derzeit keine Änderung der jetzigen Praxis geplant sei. "Nur weil es öffentlichen Protest gibt, kann das nichts an der Notwendigkeit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz ändern", sagte er. Die jetzigen Informationen über den Umfang der Beobachtung seien zudem nicht neu. 2010 waren nach SZ-Informationen 26 Abgeordnete der Linken im Bundestag beobachtet worden.

Als "künstliche Aufregung" bezeichnete der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, die Debatte. Es sei bekannt und rechtmäßig, dass seine Behörde auch Abgeordnete der Linken - "allerdings nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln" - beobachte, sagte er am Montag am Rande einer Tagung. "Das wissen auch die linken Abgeordneten selber", sagte Fromm.

Unter Berufung auf eine Aufstellung des Innenministeriums hatte der Spiegel berichtet, sieben Mitarbeiter des Verfassungsschutzes seien mit der Auswertung offener Quellen über die Linke beschäftigt. Im Falle der NPD seien es zehn. Der Verfassungsschutz müsse eine Partei beobachten, wenn er in ihr extremistische Aktivitäten feststelle, betonte Fromm. Führungspersonen der Linken müssten sich zurechnen lassen, dass sich die Partei für extreme Untergruppen wie die Kommunistische Plattform öffne. Die Praxis sei auch von Gerichten gutgeheißen worden.

Im Juli 2010 hatte das Bundesverwaltungsgericht eine Klage des Fraktionschefs der Linken im Landtag von Thüringen, Bodo Ramelow, zurückgewiesen und dessen Beobachtung durch die Verfassungsschützer für rechtmäßig befunden. Dagegen hatte Ramelow Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erhoben. Die Linksfraktion erhofft sich von der ausstehenden Karlsruher Entscheidung eine Klärung. Eine Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts stellte noch für 2012 ein Urteil in Aussicht.

"Der Verfassungsschutz sollte sich auf die Themen konzentrieren, wo wir Probleme haben", sagte Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir. "Wir schonen die Linkspartei nicht", sagte Özdemir, "den Verfassungsschutz brauchen wir dazu nicht."

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