Aufstand in Ägypten:Pekings Angst vor der Welle

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Ein Land verschwindet aus dem Internet: Chinas Regierung setzt ein Heer von Zensoren ein, die alle Berichte über die Demonstrationen in Mubaraks Reich kontrollieren. Die kommunistische Führung will Protest im eigenen Land im Keim ersticken.

Henrik Bork, Peking

Ein ganzes Land ist verschwunden. Ägypten ist aus weiten Teilen des chinesischen Internets verbannt worden. Wer am Mittwoch "ai ji" in die Suchmaschine von sina.com eintippte - 埃及, die chinesischen Schriftzeichen für Ägypten - der sah eine Fehlermeldung. "Aufgrund entsprechender Gesetze, Regeln und Richtlinien können die Suchergebnisse nicht angezeigt werden", stand da. Chinas Zensoren haben Ägypten weitgehend verschwinden lassen - und damit auch alle Kommentare von Chinesen, die Sympathien für die Proteste am Nil bekunden.

Herrscher gleichen Geistes: Hosni Mubarak (links) und Hu Jintao. (Foto: REUTERS)

Die Regierung in Peking ist nervös, da die Parallelen zu Chinas jüngerer Geschichte unübersehbar sind. Ein Beispiel für die Art von Kommentaren, die aus der chinesischen Online-Welt ferngehalten werden, hatte der chinesische Aktivist Teng Biao am 28. Januar ins Netz gestellt. "Müsst ihr sehen! Ägyptens Tiananmen-Bewegung - ein Kämpfer blockiert Militärfahrzeuge", hatte er auf dem Nachrichtendienst Twitter geschrieben. Ein Video aus Kairo, auf dem sich ein Demonstrant einem Wasserwerfer in den Weg stellt, hatte Teng an das berühmte Foto des unbekannten Chinesen erinnert, der 1989 in Peking ganz allein eine Kolonne von Panzern aufgehalten hatte.

Twitter ist in China ohnehin von der Zensur blockiert. Wer aber technisch versiert ist und die Zensur mit Hilfe sogenannter Proxy-Server oder VPN-Tunnel umgeht, kann auch jetzt viele ähnliche Kommentare von Chinesen lesen, die sich bei den Nachrichten aus Kairo an die Pekinger Demokratiebewegung und das anschließende Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens erinnert fühlen. Doch nur eine Minderheit der chinesischen Internetsurfer weiß, wie das geht und macht sich diese Mühe.

Bei den in China sehr populären chinesischen Twitter-Kopien, etwa den Tausenden Mikroblogs auf sina.com, geht die kommunistische Führung dagegen kein Risiko ein. Ein Heer von Zensoren streicht jeden frisch hochgeladenen Ägypten-Kommentar innerhalb von Minuten aus dem Netz. Selbst ein Eintrag mit den Worten "Ägypten ist aus Chinas Internet verschwunden" wird schnell gelöscht. Die Zensur eliminiert auch jeden Hinweis auf die Zensur. Bilder von Panzern und Militärfahrzeugen in Ägypten stehen ebenso auf dem Index.

Chinas staatliche Medien dürfen zwar über die Proteste in Ägypten berichten, sie werden aber als "Unruhen" oder "Chaos" beschrieben, ohne auf die Gründe für die Unzufriedenheit der Bevölkerung einzugehen. Per staatlicher Direktive sind die Medien auf die von der Kommunistischen Partei (KP) vorgegebene Linie eingeschworen worden. "Für die Tumulte in Ägypten müssen alle Medien der Nation von Xinhua verbreitete Berichte benutzen", haben die Zensoren sämtliche Nachrichtenbüros und Webportale des Landes angewiesen.

Xinhua, die staatliche Nachrichtenagentur, zitiert ausschließlich Ägypter, die sich "schnell die Rückkehr zu Ruhe und Ordnung" wünschen, doch keinerlei negative Kommentare über Präsident Hosni Mubarak oder sonstige Äußerungen der Opposition. "Unsere Büros werden Webseiten, die bei der Überwachung zu lasch sind, mit Gewalt schließen", warnen die Zensurbehörden.

Trotz dieser eifrigen Bemühungen der Obrigkeit erwartet kaum ein Beobachter, dass sich die Unruhen diesmal von Ägypten auf China ausbreiten, wie sie zuvor von Tunesien nach Ägypten übergesprungen sind. Der Konsens ist, dass die überwiegende Mehrheit der Chinesen derzeit allmählich von dem Wirtschaftswachstum profitiert und daher wohl nicht zu Protestaktionen aufgelegt ist.

Zwar gibt es genau wie in Ägypten eine ungerechte Einkommensverteilung in der Bevölkerung, Korruption und ein wachsendes Heer von Reformverlierern, neuerdings auch noch eine beunruhigende Inflation bei Grundnahrungsmitteln wie Reis, Gemüse oder Fleisch. Bislang habe die Unzufriedenheit aber noch keine kritische Masse erreicht, sagen Analysten innerhalb und außerhalb Chinas.

Allerdings hatte auch niemand die jetzigen Unruhen im Nahen Osten oder die Pekinger Demokratiebewegung von 1989 vorhergesagt. Chinas massive Medien- und Internetzensur ist daher als der Versuch seiner Führung zu werten, solche Protestbewegungen im Keim zu ersticken. Chinas KP ist erkennbar nervös. Schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass die Protestwelle "den ganzen Weg nach Osten" schwappen könnte, wie der Bürgerrechtler Teng Biao twittert. Dies sei ein "gefährlicher Moment für Autokraten, selbst wenn sie Tausende Kilometer von den Pyramiden entfernt wohnen", schreibt der amerikanische China-Experte Gordon Chang.

© SZ vom 10.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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