Atomabkommen mit Iran:Die Europäer fürchten nicht nur um den Handel

Visitors browse exhibition stand of Iran at the International Tourism Trade Fair in Berlin

Ein iranischer Stand auf der internationalen Tourismusmesse in Berlin (Archivbild)

(Foto: REUTERS)
  • Europäische Unternehmen fürchten um ihre Geschäfte mit Iran - Frankreich verspricht ihnen "maximalen Schutz" vor den USA.
  • Beim einst so mühsam verhandelten Atomabkommen geht es aber auch um den europäischen Ansatz, Kriege zu verhindern.
  • US-Diplomaten erwarten, dass die Europäer sich ihnen beugen - oder wird es diesen gelingen, den Nukleardeal zu retten?

Von Detlef Esslinger und Paul-Anton Krüger

Zum Beispiel die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW). Sie betreibt drei Büros im Ausland: in Brüssel, in New York, beides auf Anhieb einleuchtend - und seit zweieinhalb Jahren in Teheran. Die Bayern wollten dabei sein, wenn nach dem Atomabkommen endlich wieder Handel getrieben werden konnte, und VBW-Chef Bertram Brossardt nennt am Donnerstag die Zahlen, die ihn bestätigen sollen: 2017 verkauften die Bayern Waren für 356 Millionen Euro nach Iran. Ein Plus von 30 Prozent. Sie importierten für 119 Millionen Euro, immerhin - was ein Plus sogar von 800 Prozent ist. Brossardt sagt: "Das wäre jetzt so weitergegangen."

Nachdem US-Präsident Donald Trump nun den Rückzug aus dem Atomabkommen verkündet hat, dürfte Brossardts Konjunktiv II die passende Verbform sein.

Die Regierungen in Berlin, London und Paris und auch die EU-Spitzen in Brüssel sehen indes nicht nur den Handel, sondern weit mehr in Gefahr: ein multilaterales Abkommen, das sie für eines der wichtigsten der modernen Diplomatie halten, den auf mehr als 100 Seiten niedergelegten Beweis, dass man mit hartnäckigen Verhandlungen komplizierteste Probleme lösen und Kriege verhindern kann. Es ist der europäische Ansatz, mit den Verwerfungen in der Welt umzugehen.

Bayern wollte demnächst Einkäufer von Firmen nach Teheran schicken. Und nun?

"Dafür haben sieben Außenminister und die EU-Außenbeauftragte über zweieinhalb Jahre wochenweise ihre Terminkalender freigeräumt", sagt ein Diplomat, der die schlaflosen Nächte in Genf, Montreux, Lausanne und Wien miterlebt hat. Die EU hatte diesen Pfad schon 2003 eingeschlagen, als der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer mit seinen britischen und französischen Kollegen, Jack Straw und Dominique de Villepin, nach Teheran flog. Sie verhandelten dem Regime eine erste, später von ihm gebrochene Vereinbarung zum Atomprogramm ab.

Es war das Gegenmodell zu den Falken in Washington unter Präsident George W. Bush; zu Leuten wie Dick Cheney, dem Vizepräsidenten, und John Bolton, dem UN-Botschafter (den Trump nun zum Sicherheitsberater berufen hat). Die wollten einen Regimewechsel, notfalls militärisch. Die Europäer wollen das Atomabkommen retten, um die ohnehin labile Region vor noch mehr Labilität zu bewahren; aber auch um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen und aus wirtschaftlichen Interessen. Firmen und Wirtschaftsverbände in der EU fordern effektiven Schutz vor den angekündigten Strafmaßnahmen.

Sie sind, anders als US-Firmen, im Vertrauen auf das Abkommen nach Iran zurückgekehrt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat "maximalen Schutz" versprochen. In den europäischen Hauptstädten ist jedem klar, dass auch für Irans Regierung der Handel mit der EU ausschlaggebend ist, ob sie dem Deal treu bleibt. Jede Handelsdelegation aus Europa, die in den vergangenen Jahren dort war, bekam sinngemäß zu hören: Warum geht das mit den Geschäften nicht schneller, wir brauchen endlich Erfolge.

Atomabkommen mit Iran: Israelische Panzer am 10. Mai auf den Golan-Höhen - in der Nacht zum Donnerstag hatten sich Israel und Iran gegenseitig angegriffen.

Israelische Panzer am 10. Mai auf den Golan-Höhen - in der Nacht zum Donnerstag hatten sich Israel und Iran gegenseitig angegriffen.

(Foto: AFP)

"Unter den derzeitigen Bedingungen hat Europa eine sehr begrenzte Möglichkeit, den Nukleardeal zu bewahren. Es muss schnellstmöglich seine Position klarstellen und seine Intentionen bezüglich seiner Verpflichtungen angeben." So zitieren iranische Medien Präsident Hassan Rohani aus einem Telefonat mit Macron. Eine Rückversicherung soll Iran schon Anfang kommender Woche auf sehr hoher Ebene bekommen: Geplant ist ein Treffen der Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands mit ihrem iranischen Kollegen Mohammed Dschawad Zarif, auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wird dabei sein. Das ist für Rohani wichtig, um dem steigenden Druck der Hardliner in Teheran zu begegnen.

Zugleich analysieren Diplomaten und Experten die US-Strafen, die in zwei Etappen von 90 und 180 Tagen wieder in Kraft gesetzt werden. Die USA treiben kaum Handel mit Iran, das Problem sind die sogenannten sekundären Sanktionen, die Firmen aus anderen Staaten de facto dem US-Recht unterwerfen. Die EU hält dieses Vorgehen Washingtons zwar für illegal. Aber sobald europäische Unternehmen Geschäftspartner in den USA haben, dort an der Börse notiert sind oder auch nur das US-Bankensystem für ihre Geschäfte nutzen, können sie sich der US-Justiz kaum entziehen. Bertram Brossardt von der Bayerischen Wirtschaft berichtet, dass die Regierung des Freistaats gerade dabei war, eine Reise von Firmen-Einkäufern nach Teheran vorzubereiten. "Die Frage ist, ob dazu nun jemand noch Lust hat."

US-Diplomaten geben sich zuversichtlich, dass die Europäer sich ihnen beugen werden

Können die EU-Länder ihre Firmen vor den Amerikanern schützen? Wirksam wäre es unter Umständen, Finanzierungskanäle in Euro fürs Iran-Geschäft bereitzustellen - denn die US-Sanktionen machen es schon illegal, Iran Dollars für Transaktionen zur Verfügung zu stellen. Die Zentralbank in Teheran soll vom internationalen Bankensystem abgeklemmt werden, Irans Ölexporte von derzeit wieder etwa 2,5 Millionen Barrel am Tag gedrückt werden. Selbst Schiffsversicherungen für iranische Tanker sind dann nach US-Recht illegal.

Es ist eine komplexe Sanktionsarchitektur, die über zehn Jahre entwickelt worden war, maßgeblich unter Präsident Barack Obama. "Nur haben die Strafen die Iraner erst wirklich getroffen, als wir in der EU sie schließlich gespiegelt haben", sagt ein europäischer Diplomat. Mit anderen Worten: Weil die EU ja ihre Strafen jetzt nicht wieder in Kraft setzt, bleibt Spielraum in den Gesprächen mit Teheran. Zugleich sei aber auch klar, dass es die eine wirksame Brandmauer gegen die US-Sanktionen nicht gebe und der Iran-Handel sich im jetzigen Umfang kaum aufrechterhalten lasse.

Die USA geben sich zuversichtlich, dass sich die Europäer letztlich beugen: "Das ist ein schrittweiser Prozess, wir haben zehn Jahre Erfahrung damit", sagte ein hochrangiger US-Diplomat in einem Briefing nach Trumps Entscheidung. Auch habe man mit den Europäern viele gemeinsame Interessen und könne aufbauen auf die Verhandlungen der vergangenen Wochen für eine transatlantische Zusatzvereinbarung, mit dem die EU-Staaten Trump abhalten wollten, aus dem Abkommen auszusteigen.

Jedoch: An die dort gemachten Zusagen fühlen sich die Europäer zumindest gegenüber Washington nicht mehr gebunden, wie zu hören ist. Und wenn Trumps Regierung diese Verhandlungen fortführen wolle, würde man erst einmal gerne hören, wie sie sich das vorstelle und was ihre Iran-Strategie jetzt sei, sagen europäische Diplomaten fast gleichlautend.

Allerdings enthebt sie das nicht eines Problems: dass auch sie Irans aggressives Verhalten in der Region verurteilen und Teherans Raketenprogramm mit großer Sorge sehen. Als Bertram Brossardt aus München vor einem Jahr zusammen mit bayerischen Mittelständlern in Teheran war, fragte der Vizepräsident der Islamischen Republik für Forschung und Technologie ganz unverblümt nach einer Kooperation in der Raumfahrttechnik. Brossardt wand sich damals ein wenig. Er sagte: "Wir werden nicht jeden Sektor machen können."

Das Dilemma der Europäer hat sich durch Trumps Entscheidung verschärft - und Iran wird versuchen, Nutzen daraus zu schlagen.

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