Arbeitsplatz EU:Zu Besuch in der Europa-Blase

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Ein Kontinent in der Krise? Nicht in Brüssel - in dieser Hauptstadt der Idealisten leben begeisterte junge Menschen, die von einem vereinten Europa träumen.

Von Roman Deininger und Pia Ratzesberger, Brüssel

Man könnte Meris Sehovic leicht für einen Praktikanten halten, er ist 25 und sieht auch nicht älter aus, er trägt ein lustig bedrucktes T-Shirt unterm Sakko. Aber Meris Sehovic ist nicht Praktikant. Er ist Büroleiter. Er arbeitet für einen Luxemburger Abgeordneten im Europaparlament, Fraktion der Grünen. Mit 25 Jahren so eine wichtige Position, das ist bemerkenswert; noch bemerkenswerter ist allerdings, dass Sehovic diese Position schon seit vier Jahren hat. Die Grünen, für die er in Luxemburg schon aktiv war, haben ihn einfach von der Uni wegrekrutiert. Als er in Brüssel anfing, hatte er noch nicht mal seine Bachelorarbeit fertig.

"Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa", das war in den 80er-Jahren ein böser Spruch, aber nicht völlig daneben. Damals war das Europäische Parlament noch ein Altersheim für Politiksenioren. Der Spruch stimmt heute nicht mehr, die EU hat mehr Macht, die EU hat mehr Anziehungskraft. Heute beginnen politische Karrieren in Brüssel, und es ist nicht unbedingt eine schlechte Nachricht, wenn sie dort auch enden. Das gilt für die Abgeordneten genauso wie für die etwa 60.000 Beamten und Mitarbeiter der europäischen Institutionen. Für alle Bewohner der Brüsseler Blase.

Das mit den Karrierechancen, sagt Meris Sehovic, 25, Büroleiter, sei schon richtig. Aber das sei ja nur ein Grund, warum junge Leute sich für diesen Weg entschieden. Brüssel, das sei für ihn die Hauptstadt der Idealisten: "Du kommst nicht hierher, wenn du nicht an Europa glaubst."

Verzweiflung nach dem Brexit: Was soll nun werden aus unserem Europa?

Er weiß noch, wie er an seinem ersten Tag im Job vor dem riesigen Parlamentsgebäude an der Place du Luxembourg stand, das er bis dahin nur aus dem Fernsehen kannte. Er dachte: "Krass, das ist jetzt mein Arbeitsplatz." Sehovic ist in Belgrad geboren, in Luxemburg aufgewachsen, hat in München Politik studiert. "Das Land war nie mein erster Referenzpunkt", sagt er. "Ich bin Europäer." Und wie zum Beleg erzählt er die Geschichte, die sie hier fast alle erzählen. Der Morgen nach dem Brexit-Referendum, 24. Juni 2016, ungläubiger Blick aufs Handy, noch im Bett, Schock: Die Briten wollen raus aus der EU. Im Büro Tränen, Arm in Arm mit den Kollegen, Verzweiflung: Was soll nun werden aus unserem Europa?

Ein gutes Jahr ist das nun her. Es ist etwas zu Ende gegangen mit dem Brexit-Beben, das sieht Sehovic jetzt ganz klar. Er und seine Kollegen hätten die alte Gewissheit verloren, dass die Einheit Europas eine unerschütterliche Bestimmung ist: "Wir spüren ein Gefühl von Zerbrechlichkeit." Aber es hat auch etwas Neues begonnen damals. Es gebe nun, sagt Sehovic, eine tiefe Solidarität unter den Berufseuropäern - eine "echte Entschlossenheit", sich das vereinte Europa nicht kaputt machen zu lassen.

Wenn jemand Europa bedroht, dann nehmen das die jungen Begeisterten von Brüssel persönlich.

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SZ PlusArbeitsplatz EU
:"Ich bin Europäer"

Europa in der Krise? Nicht in seinem Herzen. Die beste Hoffnung des Kontinents versteckt sich hinter den Fassaden der EU. Ein Besuch bei den jungen Begeisterten in der Brüsseler Blase.

Text: Roman Deininger und Pia Ratzesberger, Fotos: Franziska Gilli

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