Anschlag in Barcelona:Die zwölf von Ripoll

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  • Die Täter von Barcelona und Alcanar wuchsen in Ripoll auf, einem ruhigen und etwas öden Städtchen in der Provinz.
  • Nachbarn und Verwandte beschreiben sie als unauffällig und vermeintlich gut integriert.
  • Maßgeblich für ihre Radikalisierung verantwortlich soll der Imam sein, der in der Moschee der Ortschaft predigte.

Von Sebastian Schoepp und Thomas Urban, Barcelona

Ripoll ist ein Städtchen am Fuße der Pyrenäen, tiefstes, ländliches Katalonien, die romanische Benediktinerabtei mit Ursprung im 9. Jahrhundert gilt als eine Keimzelle katalanischer Identität. Mit Spanisch kommt man in solchen Orten oft nicht weit; die meisten Bewohner geben sich Mühe, verfallen dann aber doch schnell wieder in breites Català. Nicht unbedingt ein Ort, an dem man eine islamistische Terrorzelle vermutet.

Wer in Ripoll leben möchte, muss die Sprache der Einheimischen sprechen. Die meisten der jungen Männer marokkanischer Abstammung, die für die Terrorattentate ein Barcelona und Cambrils verantwortlich sein sollen, sprechen nicht nur gut Katalanisch; sie waren in dem ruhigen, aber auch etwas öden mittelalterlichen Städtchen aufgewachsen und nach Aussage von Nachbarn und Verwandten gut integriert. Höhere Bildung hatten sie zwar nicht, hielten sich aber mit Gelegenheitsjobs über Wasser, was in Spanien keine auf Migranten beschränkte Ausnahme ist. Sie spielten Fußball auf dem Platz vor ihrer Mietskaserne, Religion interessierte sie nicht besonders.

Einer von ihnen, Younes A., 22, soll am Donnerstag einen Lieferwagen mit Mordabsicht durch die Menschen auf der Rambla gesteuert haben. Was trieb ihn dazu? Perspektivlosigkeit, die Anziehungskraft radikaler Parolen? Seine Cousine sagte zu El País unter Tränen: "Das waren normale Jungs. Erst als er kam, haben sie angefangen, sich mit Religion zu beschäftigen."

Terror in Barcelona
:Die Rolle des Imam von Ripoll

Angehörige der Attentäter beschuldigen einen islamischen Geistlichen, ihre Verwandten zum Terror angestachelt zu haben. Auch die Ermittler sehen eine Verbindung zum Anschlag in Barcelona.

Von Thomas Urban

"Er" - das ist der Imam A., der in der Moschee der Ortschaft predigte und der für die Radikalisierung der Gruppe verantwortlich sein soll. Er soll laut Polizeiquellen etwa vierzig Jahre alt und marokkanischer Herkunft sein. 2012 saß er in Castellón wegen eines Vergehens gegen das Ausländerrecht im Gefängnis. Er soll laut El País Kontakt zu den Tätern gehabt haben, die am 11. März 2004 das Attentat auf Pendler in Madrid verübten. 2015 kam er nach Ripoll, ein reservierter Mann, wie Muslime in dem Ort berichten, die beteuern, nichts mit seinem radikalen Gedankengut zu tun zu haben. Er lebte zur Untermiete bei einem Glaubensbruder. Angeblich soll er mehrmals nach Belgien gereist sein.

Im Juni verschwand er, die Ermittler vermuten, dass er einer der Toten ist, die am Mittwoch unter den Trümmern eines Hauses in Alcanar im Süden Kataloniens gefunden wurden. Dort baute die Terror-Gruppe Bomben, doch ein Sprengsatz ging zu früh los und begrub drei Männer unter sich. Auch in Alcanar berichten Anwohner, die jungen Männer hätten sich unauffällig verhalten, manchmal hätten sie geboxt, sie seien Moped gefahren und hätten nie Lärm gemacht, nicht mal Musik gehört. Die Ermittler glauben, dass die Zelle eine Serie von Attentaten begehen wollten, unter anderem auf die weltberühmte Kirche Sagrada Família in Barcelona. Sie kauften mehr als hundert Gasflaschen, offenbar sollten diese zusammen mit Sprengstoffpaketen auf drei Lieferwagen verteilt werden.

Nach der Explosion entschlossen sich die Überlebenden dann hastig, sofort zu handeln. Younes A. soll den Transporter durch die Menschenmengen auf der Rambla gefahren haben, ganz sicher ist das aber nicht, wie Polizeichef Josep Lluis Trapero am Sonntag sagte. A. ist auf der Flucht, seine Mutter flehte ihn über das Fernsehen an, sich zu stellen: "Lieber besuche ich dich im Gefängnis, als dass ich bei deiner Beerdigung weine." Die anderen Mitglieder der Zelle wollten im Badeort Cambrils zuschlagen und dort Menschen totfahren. Fünf von ihnen wurden von der Polizei erschossen. Vier Verdächtige wurden festgenommen, sie werden am Dienstag nach Madrid gebracht und dort dem Ermittlungsrichter vorgeführt.

In Barcelona ist jetzt nicht mal Platz für Separatismus

14 Menschen haben die Attentäter getötet. Die unvollendete Sagrada Família blieb verschont. Genau dort fand am Sonntag die Gedenkfeier für alle Toten statt - also für die Opfer und die Täter, für deren Seelenheil ebenfalls gebetet wurde. Durch die Passionspforte der Basilika schritten König Felipe VI. und seine Frau Letizia, sonst nicht gerne gesehen im republikanisch gesinnten Katalonien. Aber jetzt ist nicht mal hier Platz für Separatismus. Menschen aus 35 Nationen wurden auf der Rambla getötet und verletzt, die ganze Welt muss sich angegriffen fühlen und sollte zusammenstehen. Das meinte der König, als er von der Rambla als "Symbol des Zusammenlebens" sprach. Dort ertönte am Wochenende immer wieder der Ruf, den sich die Menschen auf Katalanisch zurufen, um einander Mut zu machen: "No tinc por" - "Ich habe keine Angst".

Auch in Ripoll versucht man, irgendwie ins Leben zurückzufinden. Die dort wohnenden Muslime fürchten - wie ihre insgesamt zwei Millionen Glaubengenossen in ganz Spanien -, dass sich nun die Stimmung gegen sie kehrt. Bislang funktionierte das Zusammenleben zwischen Einwanderern und Spaniern weitgehend reibungslos. Vierzig Verwandte der mutmaßlichen Terroristen haben deshalb eine Erklärung verfasst, in der es heißt, die Tat geschah "nicht in unserem Namen!" Eine Verwandte sagte im Fernsehen: "Wir haben hier in der Gesellschaft unseren Platz gefunden. Wir sind tief beschämt über das, was unsere Söhne angerichtet haben."

© SZ vom 21.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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