Amoklauf in Newtown:Obama schürt die Hoffnung der Waffengegner

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Wagt es Barack Obama diesmal, sich mit der mächtigen Waffenlobby anzulegen? Die Trauerrede des US-Präsidenten nach dem Amoklauf von Newtown erweckt diesen Eindruck. Doch Zweifel bleiben, denn die entscheidenden Worte kommen Obama auch jetzt nicht über die Lippen.

Von Charlotte Theile und Felicitas Kock

Barack Obamas emotionale Ansprache in Newtown, Connecticut, war bereits die vierte Trauerrede, die er für die Opfer eines Amoklaufes halten musste. Erst im Juli hatte er den Hinterbliebenen des Kino-Attentats in Aurora sein Mitgefühl ausgesprochen. Doch dieses Mal, nach dem Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule, wurde er deutlicher als je zuvor.

"Ich werde handeln", versprach der zu Tränen gerührte US-Präsident. In den kommenden Wochen werde er persönlich "alle Macht, die das Amt bietet" nutzen, um Tragödien wie diese zu verhindern, angefangen bei der Verschärfung von Gesetzen. Die Debatte um gun control, die Reglementierung von Waffen in den USA, hat damit neuen Schwung bekommen. Erstmals, so die Hoffnung der Befürworter, könne sich im amerikanischen Waffenrecht wirklich etwas tun.

20 Grundschüler, sechs und sieben Jahre alt, waren dem Amoklauf des 20-jährigen Adam Lanza in Newtown zum Opfer gefallen. Außerdem sechs Erwachsene, bei dem Versuch die Kinder zu schützen. Der Täter benutzte eine halbautomatische Waffe vom Typ Bushmaster. Jedes Opfer sei von mehr als einer Kugel getroffen worden, heißt es in einem Polizei-Bericht.

Das Ausmaß des Amoklaufs wirkt sogar auf jene, die bislang strikt gegen eine Aufweichung der liberalen Waffengesetze waren. Und das sind nicht wenige. Sie wähnen das Recht auf ihrer Seite. Der zweite Zusatzartikel zur Verfassung von 1791 garantiert es jedem Amerikaner, sich zu bewaffnen. Das second amendment wird von einem der mächtigsten Lobbyverbände der Welt, der National Rifle Association (NRA), hartnäckig verteidigt. Kein ranghoher Politiker, so hieß es stets, lege sich freiwillig mit der 4,3 Millionen Mitglieder starken Vereinigung an.

Nach dem Amoklauf von Newtown scheint sich das zu ändern. Politiker wie die demokratische Senatorin Dianne Feinstein setzen sich dafür ein, zumindest die Verordnung aus dem Jahr 1994 wiederzubeleben, die den Besitz von Kriegswaffen einschränkt. Sie lief 2004 aus und wurde seither nicht erneuert.

Auch viele andere Politiker fordern, die Ereignisse von Newton zum Anlass für eine Erneuerung der Verordnung oder noch strengere Vorschriften zu nehmen. "Wenn das nicht die Menschen und unsere Politiker wachrüttelt, was dann?", fragte die demokratische Kongressabgeordnete Carolyn McCarthy, deren Mann bei einer Schießerei 1993 getötet worden war.

Der Präsident müsse endlich ein Gesetz an den Kongress schicken, verlangte der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, ein entschiedener Befürworter schärferer Waffengesetze. Auch eine nationale Kommission zum Waffenrecht ist im Gespräch.

"Wir können diese Ereignisse nicht als Routine akzeptieren"

Obama macht Feinstein, McCarthy und Bloomberg Hoffnung. Seine Rede in Newtown macht im Vergleich zu früheren Aussagen deutlich, dass dieser Amoklauf eine Zäsur sein könnte. Obama stellt die Tat in Zusammenhang mit anderen Amokläufen - Tucson, Aurora, Columbine. "Wir können diese Ereignisse nicht als Routine akzeptieren."

Nach dem Amoklauf in einem Kino in Aurora, Colorado, im Juli 2012, konzentrierte sich der Wahlkämpfer Obama auf den Einzelfall. Er überbrachte den Opfern sein Mitgefühl, darüber hinausreichende Aussagen macht er nicht. Auch nach dem Attentat auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords im Januar 2011 vermied der Präsident konkrete Bezüge. Zwar sprach er von "Tötungen", über die man nachdenken müsse, sagte jedoch weder, welche er damit meinte, noch wann mit Aktionen aus Washington zu rechnen sei.

Die Trauerrede von Newtown ging über das persönliche Mitgefühl und die Würdigung der Opfer hinaus. Eine "endlose Serie tödlicher Schießereien" beklagte Obama, fast täglich kämen Opfer ums Leben, deren einziger Fehler es sei, "zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein."

Dennoch bleiben die Aussagen in seiner Rede vage. Obama spricht von Strafverfolgung, von notwendigen Veränderungen und einem Ende der Toleranz. Die Worte "Gun Control" kommen ihm dabei kein einziges Mal über die Lippen.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre lassen jedenfalls daran zweifeln, dass sich der Präsident die Verschärfung der Waffengesetze zur Mission gemacht hat. Zwar heißt es jetzt aus dem Weißen Haus, der Präsident wolle die ausgelaufene Verordnung von 1994 wieder einführen. Doch Obama hatte schon im Wahlkampf 2008 von einer Erneuerung der Verordnung gesprochen - ohne dass der Ankündigung je Taten gefolgt wären.

Tatsächlich wurden in seiner ersten Amtszeit eine ganze Reihe von Gesetzen auf staatlicher und kommunaler Ebene verabschiedet, die den Besitz von Schusswaffen eher erleichtern, als ihn zu erschweren. Obama hat weder den Import halbautomatischer Waffen verhindert, noch seine Unterschrift verweigert, als es darum ging, das Tragen von Waffen in Nationalparks zu erlauben.

In dem diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf war dann auch nur kurz die Rede von der Wiedereinführung des Waffengesetzes von 1994. "Ich versuche eine breite Diskussion darüber anzuregen, wie wir Gewalt insgesamt einschränken können", sagte Obama, als er bei einem TV-Duell gegen Herausforderer Mitt Romney nach seiner Einstellung zu strikteren Waffengesetzen gefragt wurde.

Ein Teil seines Plans sei der Versuch, die ausgelaufene Verordnung wieder einzuführen und Kriminelle und psychisch Kranke zumindest von automatischen Waffen fernzuhalten. Wichtig sei aber auch, "jungen Menschen Chancen zu geben" - und Gewalt so von Grund auf zu verhindern.

Obwohl Obama nur wenige Sätze zum Waffengesetz verlor, verbreiteten die Lobbyisten der NRA nach dem Fernsehauftritt Wahlkampf-Videos im Internet, in denen sie für das Recht auf Waffenbesitz warben - "Verteidige die Freiheit, bekämpfe Obama".

Erneuerung der Sturmwaffen-Verordnung

Zwar hat der Präsident jetzt, zu Beginn seiner zweiten Amtszeit, mehr Freiheit für seine eigene Agenda. Doch innenpolitisch kämpft Obama mit Staatsschulden von mehr als 16 Billionen Dollar, hohen Arbeitslosenzahlen und einer schwächelnden Konjunktur. Dazu kommt die Durchsetzung der Gesundheitsreform. Außenpolitisch sieht sich der Präsident mit großen Herausforderungen im Nahen Osten und den arabischen Staaten konfrontiert. Ob er sich angesichts dieser Gesamtlage auch noch das umstrittene Waffenrecht aufladen will, bleibt fraglich.

Kaum ein Politiker hat es bisher gewagt, sich mit der mächtigen NRA anzulegen. Andererseits steht Obama angesichts der Katastrophe von Newtown unter dem Druck der eigenen Leute - nach seiner Wiederwahl ist der Präsident um eine Ausrede ärmer. "Wann, wenn nicht jetzt?", fragen viele Waffengegner in den Reihen der Demokraten, die bisher geschwiegen haben.

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