Alleinerziehende in Deutschland:Die Not der neuen Mütter

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Ein Krippenplatz reicht nicht - das reale, ungelöste Drama der Alleinerziehenden ist das der mühsamen Existenzsicherung in einer familienfeindlichen Arbeitswelt. Der Vollständigkeit halber: Dass in Deutschland eine Million Kinder in Armut aufwachsen, liegt auch an verantwortungslosen Vätern.

Cathrin Kahlweit

Vermutlich sind wenige Alleinerziehende so wohlhabend und zufrieden wie Pippi Langstrumpf. Glühend beneidet von den Nachbarskindern Thomas und Annika, die höchst brav mit Mutter und Vater aufwachsen, erzieht sie sich selbst und ganz allein, wohnt in einer Villa, besitzt einen Koffer voller Gold und lebt das Leben, wie es ihr gefällt.

Heute leben 1,6 Millionen Alleinerziehende in Deutschland, 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Alleinerziehend zu sein ist aber nicht zwangsläufig ein Opfergang, eine Leidensgeschichte; der Schritt ist oft selbst gewählt und gut überlegt. (Foto: Foto: ddp)

Astrid Lindgren hatte die Abenteuer der heiteren Pippi einst auch zur Bewältigung des eigenen Traumas und als Absolution für sich selbst erfunden: Sie war mit 18 schwanger geworden, mochte den Vater des Kindes nicht heiraten, konnte das Kind nicht allein ernähren - und gab es fort in eine Pflegefamilie.

Vor 90 Jahren war das eine ungeheuer mutige und zugleich traurige Entscheidung; noch die Generation der Frauen, die heute im Rentenalter sind, hat unglückliche Ehen aufrechterhalten und Trennungen vermieden, weil sie es sich nicht leisten konnte oder aber nicht wagte, allein dazustehen mit Kindern, oft ohne Job, ohne Status und Versorgung.

Heute leben 1,6 Millionen Alleinerziehende in Deutschland, 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Und auch wenn Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen jetzt die vielen Hartz-IV-Empfängerinnen unter ihnen zur Chefsache macht und dafür sorgen will, dass Arbeitsämter sie besser fördern und im Notfall auch bei der Suche nach einer Kinderbetreuung unterstützen, so gilt doch zu allererst: Alleinerziehend zu sein ist nicht zwangsläufig ein Opfergang, eine Leidensgeschichte; der Schritt ist oft selbst gewählt und gut überlegt.

Die Mütter, die heute Großmütter sind, haben ihre Töchter wohlweislich dazu erzogen, die Wahlfreiheit zu nutzen, die eine gute Ausbildung, Selbstachtung und auch die Hilfen der öffentlichen Hand bieten. Viele Frauen entscheiden sich aus freien Stücken dazu, ihre Kinder allein großzuziehen - und sie haben Spaß dabei.

Ohnehin geht es bei der aktuellen Debatte um Ein-Eltern-Familien und ihre Nöte nicht in erster Linie darum, ob jemand ohne Partner seine Kinder erzieht und welche Lasten sie - oder er - zu tragen hat. Dass diese immens sind, ist ja nicht neu: Wo nur eine(r) Schulbrote schmiert und Fenster putzt, zum Chor fährt und Wäsche macht, Geld verdient und Salbe auf die Windpocken aufträgt, bleibt wenig bis keine Zeit für das eigene Leben. Der Satz: "Bring du doch bitte heute unser Kind ins Bett, ich bin todmüde", bleibt ungesagt; Erschöpfung, Krankheit, Verzweiflung sind tabu.

Die Töchter der Mütter von heute, zumal der alleinerziehenden, finden diese stressige Doppelrolle eher uncool; der Trend geht wieder zu Ehe, Sicherheit und Versorgung oder aber zu einer Karriere ohne Kinder; das Rollback vollzieht sich schleichend, ungeachtet der Tatsache, dass die jungen Frauen ihren männlichen Geschlechtsgenossen bei Bildung und Ehrgeiz längst den Rang ablaufen.

Andererseits: Auch da, wo Väter in Familien leben, entziehen sie sich nicht selten; die vaterlose Gesellschaft des 20. Jahrhunderts verwandelt sich nur sehr zögerlich in eine Welt der geteilten Verantwortung und der gemeinsamen Sorge.

Und so kaschiert der klischeegeschwängerte Begriff die wahren Probleme: Der Vorstoß der Ministerin zielt weniger auf alleinerziehende als auf geringverdienende oder gering qualifizierte Frauen, die eben auch Kinder zu versorgen haben. Das reale, das ungelöste Drama ist jenes der mühsamen Existenzsicherung in einer familienfeindlichen Arbeitswelt - und das trifft mehr Frauen als Männer, unter ihnen naturgemäß zu einem Großteil Frauen, die ihre Kinder allein großziehen.

Derzeit tobt - angesichts von 600.000 Single-Müttern, die Hartz IV beziehen - ein Streit darüber, ob diese Frauen tatsächlich einem besonderen Armutsrisiko ausgesetzt sind und besonders viel Hilfe brauchen.

Debatte um "anstrengungslosen Wohlstand"

Vertreter der These, dass hier ein moderner Heldinnenmythos geschaffen wird, argumentieren, de facto sei oft Bequemlichkeit die Ursache finanzieller Not; viele Alleinerziehende verschwiegen ihre Lebensgefährten, um Stütze zu bekommen, viele zögen ein Leben daheim dem Stress eines langen Arbeitstages vor, weil angeblich die Transferleistungen für Hartz-IV-Mütter jeden Anreiz für einen Vollzeitjob abtöten; die Debatte um den "anstrengungslosen Wohlstand", die Guido Westerwelle losgetreten hat, lässt grüßen.

Und tatsächlich darf man Alleinerziehenden mit Kindern unter drei Jahren keine Arbeit zumuten; jene, die ältere Kinder, aber keine Betreuungsmöglichkeit haben, müssen nicht arbeiten gehen, und wer sich weiterbildet, dem wird ebenfalls keine Jobsuche zugemutet. Arbeitssuchend gemeldet sind von den 600.000 Müttern derzeit etwa die Hälfte.

Verantwortungslose Väter

Warum aber leben knapp 40 Prozent aller alleinerziehenden Mütter von Hartz IV? Warum nimmt ihr Anteil an den Arbeitslosen stetig zu? Warum wachsen mittlerweile eine Million Kinder, die bei nur einem Elternteil leben, in Armut auf? Nur der Vollständigkeit halber: Ein Grund sind - die Väter.

Mehr als eine halbe Million säumige Unterhaltszahler gibt es in Deutschland, der Staat springt jährlich mit einer Milliarde Euro ein, weil Väter abtauchen oder sich armrechnen. Viel brisanter aber ist ein Arbeitsmarkt, der Frauen, zumal Mütter, strukturell benachteiligt: Da, wo besonders schlecht gezahlt wird, wo der Kündigungsschutz ausgehöhlt ist und Jobs auf Lebenszeit eine Seltenheit werden, da arbeiten besonders viele Frauen.

Denn hier gibt es die Halbtagsjobs, die Minijobs, die Niedriglohn-Maloche auf Stundenbasis, die Mütter sich leisten können. Wer sein Kind mittags aus dem Kindergarten abholen muss, weil der zumacht, der kann schlecht bis zwanzig Uhr an der Kasse stehen. Wer Kleinkinder zu versorgen hat, der kann schwerlich Schichtdienst, Nachtdienst oder gar lange Schulferien und geschlossene Kitas durchstehen.

Mobilität wird erwartet, Krankheit bestraft

Weil immer stärker dereguliert und flexibilisiert wird, weil Mobilität erwartet und Krankheit bestraft wird, können selbst flexible, gut organisierte, einsatzwillige Mütter oft nicht mithalten. Wenn sie, angesichts anderer Bewerber ohne Kinder, überhaupt eingestellt werden.

Es gibt viele gute Ideen, wie Alleinerziehenden unter die Arme gegriffen werden kann. Ihre Probleme werden verstärkt wahrgenommen - bedingt durch Armutsberichte und internationale Studien, durch Reformen im Unterhalts- und Scheidungsrecht. Über die vollständige Absetzbarkeit der Betreuungskosten wird nachgedacht und über einen Umbau des Ehegattensplittings zugunsten von Haushalten mit Kindern.

Von der Leyen wiederum will, dass die Jobcenter helfen, Kinder unterzubringen, damit ihre Mütter arbeiten können. Das Kernproblem aber bleiben Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen und Löhne. Und so wird es, weil sich viele Arbeitgeber und viele Väter wie selbstverständlich darauf verlassen, an den Frauen selbst hängenbleiben, wie sie sich organisieren - in Wohngemeinschaften, mit Netzwerken, Freunden, Großeltern. Bleiben wird das Armutsrisiko, bleiben wird aber auch der Wille, es trotzdem zu schaffen.

© SZ vom 24.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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