Afghanistan: Einsatz der Bundeswehr:In weiter Ferne so nah

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Die Deutschen verdrängen, was ihre Soldaten in Afghanistan unter großen Opfern leisten. Sie verhindern, dass islamistische Fanatiker dort wieder regieren. Auch 2011 wird der Krieg in diesem fernen Land toben - und uns näher rücken.

Joachim Käppner

Als der Sultan in den Krieg zog, nahm er Vorkoster, Kamelreiter-Kapellen und ausgesuchte Teile seines Harems mit auf die lange Reise ins Land der Ungläubigen. Die Wesire, denen er die militärischen Angelegenheiten beim Angriff auf Wien 1683 großzügig überließ, waren wenig erbaut über das Gebaren des Herrschers.

Ein trauriger Moment in Afghanistan: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU, 2.v.r.) stehen im Camp Marmal in Masar-e-Sharif bei einer Gedenkfeier für einen Bundeswehrsoldaten, der bei einem Unglück zu Tode kam, neben Geistlichen der Bundeswehr. (Foto: dapd)

Glaubt man den zahlreichen Kritikern des deutschen Verteidigungsministers, hat Karl-Theodor zu Guttenberg so prahlerisch und selbstsüchtig gehandelt wie einst der Sultan der Osmanen. Der Baron ließ sich bekanntlich von seiner Gattin und dem TV-Talker Johannes B.Kerner an den Hindukusch begleiten, er wurde in den Medien und von der Opposition schwer gescholten, die Truppe als Kulisse der Selbstinszenierung zu missbrauchen.

Die vorweihnachtlichen Besuche des Ministers und der Kanzlerin am Hindukusch haben deutlich einen Widerspruch offenbart, nämlich den, wie große Teile der Gesellschaft den Bundeswehreinsatz wahrnehmen und wie die Bundeswehr wiederum die Debatte in der Heimat wahrnimmt.

In Deutschland wirkt es oft, als sei es unschicklich, Klartext über die Aufgabe jener Staatsbürger zu sprechen, die im Auftrag der Regierung die Sicherheit am Hindukusch verteidigen, wie es Peter Struck ausgedrückt hatte. In Afghanistan herrscht Krieg. Unter Deutschlands Politikern herrscht eine verbreitete Abneigung, den Krieg auch Krieg zu nennen. In Afghanistan aber fühlen sich die Soldaten endlich ernst genommen, wenn ihnen jemand zuhört, wenn sie erzählen, was ihr Kriegseinsatz bedeutet.

In der Bundeswehr wiederum gibt es eine oft erstaunliche Wahrnehmung der Außenwelt. Was man leiste, werde nicht anerkannt, ja Soldaten würden verachtet oder als Mörder beschimpft. Diese aus tiefer Frustration entstandene Binnenbetrachtung aber gibt die Stimmung in Deutschland nicht realistisch wieder; so war es vielleicht in den frühen achtziger Jahren, in den Hochzeiten der dann bald sanft entschlafenden Friedensbewegung.

In der Bundesrepublik stoßen die Soldaten jenseits eines Häufleins der üblichen Verdächtigen nicht auf Ablehnung. Die Haltung, mit der man ihnen vielerorts begegnet, hat der frühere Bundespräsident Horst Köhler als "freundliches Desinteresse" zu umschreiben versucht. Es ist aber mehr als das.

Interesse ließe sich wecken. Verdrängung aber, denn um diese geht es, ist weit schwerer aufzubrechen. Soldaten, die aus Afghanistan zurückkehren, haben Dinge mitgemacht, wie es sie im deutschen Militär seit 1945 nicht mehr gab: Krieg, Tod und Todesangst, gefallene oder verstümmelte Kameraden, traumatische Belastungen.

Fragen sie sich dann, wofür sie das alles auf sich nahmen, finden sie daheim wenig Resonanz. Die Gesellschaft weiß nicht nur vieles nicht, sondern sie will es eigentlich gar nicht wissen. Die Mission am Hindukusch passt nicht ins Lebensgefühl der friedfertigen Republik, welche die Deutschen nach zwei Weltkriegen in einer kopernikanischen Wende geschaffen haben.

Über Jahrzehnte war es Aufgabe der Bundeswehr, den Ernstfall im geteilten Heimatland zu verhindern. Aber nun ist der Ernstfall, in Form eines Guerillakrieges am Ende der Welt, plötzlich Gegenwart. Und die Politik scheute sich sehr lange, die Deutschen mit dieser schlichten, aber sehr unerfreulichen Wahrheit zu konfrontieren.

Es war dann Guttenberg, der wie kein Minister vor ihm diesen Krieg plötzlich ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt hat. Wenn er sich dazu medienwirksamer Mittel bedient, ist das noch lange nicht geschmacklos. Geschmacklos war es, als einer seiner Vorgänger, Rudolf Scharping, 2001 Einheiten ins Krisengebiet Mazedonien entsandte und sich zeitgleich mit neuer Gespielin im Pool ablichten ließ.

Bei allem bisweilen überbordenden Showtalent des Barons ist es aber keineswegs geschmacklos, dass eine TV-Sendung aus Afghanistan einmal darstellt, was die Soldaten wirklich erleben und was sie bewegt. Wenn der Verteidigungsminister dazu einen Talkmaster mitbringt, haben wenigstens die Soldaten kein Problem damit.

Daher ist es eine gute und angebrachte Geste, dass die Kanzlerin nach Kundus reist und über das spricht, was die Soldaten dort erleben: den Krieg. Die Bundeswehr ist in Afghanistan aktiv, wenn auch in einer Nebenrolle, weil das Land unter der psychotischen Herrschaft der Taliban zum Hafen für den islamistischen Terrorismus verkommen war. Hier wurden die Anschläge des 11.September 2001 geplant, und um weitere Angriffe zu verhindern, hat die westliche Militärintervention die Herrschaft der Gotteskrieger gebrochen.

Die internationalen Truppen sollen helfen, dass das Land nicht erneut den Fanatikern in die Hände fällt. Bisher ist das gelungen, daher ist der Einsatz auch noch nicht der Fehlschlag, als der er oft leichtfertig kritisiert wird. Was misslang, ist die Stabilisierung des Landes. US-Präsident Obama möchte sie, um seine Truppen in absehbarer Zeit wieder abziehen zu können, mit mehr US-Soldaten erzwingen. Damit steht seinen Verbündeten, auch den Deutschen, ein neues, hartes Jahr bevor. Der Krieg wird weiterhin in einem fernen Land toben - und uns näher rücken als je zuvor.

© SZ vom 20.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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