Afghanistan:Der Druck wächst - auch auf Merkel

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Verteidigungsminister Guttenberg ist von seinen Mitarbeitern Schneiderhan und Wichert offenbar ausführlicher unterrichtet worden, als bisher bekannt.

Der Druck auf Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wächst - doch auch die Fragen nach der Verantwortung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für den verheerenden Luftangriff in Afghanistan werden lauter.

Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminster Guttenberg: Die Opposition fordert, dass geklärt wird, was das Kanzleramt mit dem Verteidigungsministerium und den Geheimdiensten in der Frage der Strategie des Afghanistan-Einsatzes verabredet habe. (Foto: Foto: dpa)

So soll Guttenberg von der inzwischen entlassenen Spitze seines Hauses über mehr interne Berichte zu dem Luftangriff informiert worden sein, als bisher bekannt.

Der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) berichten übereinstimmend, der damalige Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und der damalige Staatssekretär Peter Wichert hätten Guttenberg am 25. November korrekt und vollständig informiert. Das Ministerium äußerte sich dazu nicht und verwies darauf, dass dies im Untersuchungsausschuss des Bundestages geklärt werde.

Wechselseitig sollen Schneiderhan und Wichert auf den Bericht des Bundeswehrkommandeurs von Kundus, jenen der Feldjäger, den eines deutschen Angehörigen der vorläufigen Nato-Untersuchungsgruppe und den Bericht des Internationalen Roten Kreuzes hingewiesen haben. Das Nachrichtenmagazin beruft sich auf das Umfeld der beiden Spitzenbeamten, die Zeitung nennt keine Quelle.

Der Spiegel hatte zuvor, direkt nach der Entlassung der beiden, noch berichtet, Schneiderhan und Wichert hätten Guttenbergs Frage mehrfach verneint, ob es neben dem abschließenden Nato-Untersuchungsbericht des Isaf-Kommandeurs weitere Berichte gebe.

Guttenberg hatte am Tag nach dem Gespräch Schneiderhan und Wichert von ihren Aufgaben entbunden. Vor dem Bundestag erklärte er mit Blick auf den Feldjägerbericht: "Dieser, wie andere Berichte und Meldungen aus der letzten Legislaturperiode, wurden nicht vorgelegt. Hierfür wurde an maßgeblicher Stelle Verantwortung übernommen, und die personellen Konsequenzen sind erfolgt."

Wichert bat Guttenberg laut FAS in einem Brief klarzustellen, dass er den Minister richtig informiert habe. Darauf soll Wichert bisher keine Antwort erhalten haben.

Gezielt Menschen angegriffen

Ebenfalls unter Druck gerät der Minister wegen Berichten, wonach der deutsche Oberst Georg Klein gezielt Menschen und nicht vorrangig die Tanklastzüge angreifen wollte. Die Süddeutsche Zeitung berichtete unter Berufung auf den offiziellen Untersuchungsbericht der Internationale Afghanistan-Truppe (Isaf) zu Klein: "Er wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge." Die Debatte über das Bombardement vom 4. September hatte sich zunächst lange um eine mögliche Bedrohung des deutschen Feldlagers in Kundus durch die Tanklaster gedreht.

Laut SZ lässt der Untersuchungsbericht des Isaf-Kommandeurs Stanley McChrystal das zentrale Motiv für den Luftschlag in einem anderen Licht erscheinen. Demnach hatte der deutsche Kommandeur immer die Absicht, eine Ansammlung von Taliban zu bekämpfen.

Der Spiegel zitierte unterdessen aus einer zweiseitigen Meldung Kleins an den damaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan: "Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, auf Deutsch: Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten." Aus den Bildern der Bomberpiloten habe er geschlossen, dass die Anwesenheit von Unbeteiligten sehr unwahrscheinlich sei.

Im Nato-Abschlussbericht wird laut Spiegel diese Zielsetzung kritisiert. "Es ist schwer zu ergründen, warum der Fokus des PRT-Kommandeurs auf die Taliban in dem Zielgebiet gerichtet war und nicht allein auf die gestohlenen Tanklaster, die doch wohl die größte Bedrohung waren für die Sicherheit der PRT-Kräfte", zitierte das Magazin aus dem Bericht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel immer mehr ins Visier der Opposition gerät.

Laut Leipziger Volkszeitung vom Samstag waren das Bundeskanzleramt, die Spitze des Bundesverteidigungsministeriums sowie mit der Koordination der Geheimdienste beauftragte Regierungsvertreter unmittelbar in die Vorgänge in Afghanistan einbezogen. Dabei sollte es auch im Bedarfsfall um die gezielte Liquidierung der Führungsstruktur der Taliban gehen, berichtete die Zeitung.

Unter Druck: SPD, Grüne und Linkspartei forderten Angela Merkel auf, umgehend eine Regierungserklärung vor dem Bundestag dazu abzugeben. (Foto: Foto: ddp)

Auch die Bundeskanzlerin im Visier

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärte am Samstag, das Kanzleramt habe nicht auf konkrete Einsätze der Bundeswehr Einfluss genommen. Dies gehöre auch nicht zu seinen Aufgaben. "Das Kanzleramt hat stets großen Wert darauf gelegt, dass der Einsatz der Bundeswehr immer im Rahmen des vom Bundestag erteilten Mandates erfolgt", betonte Wilhelm.

Die Opposition nimmt nun jedoch auch die Bundeskanzlerin ins Visier. SPD, Grüne und Linkspartei forderten Merkel am Samstag auf, umgehend eine Regierungserklärung vor dem Bundestag dazu abzugeben. Das Vorgehen der Soldaten nahe Kundus soll gar Teil einer vom Kanzleramt gebilligten Eskalationsstrategie gewesen sein, die möglicherweise nicht von dem Bundestagsmandat zu Afghanistan gedeckt sei.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: "Ich mag eigentlich nicht glauben, dass die deutsche Bundeskanzlerin einer solchen Tötungsstrategie zugestimmt hat." Die Bundesregierung müsse endlich ihr Schweigen beenden und die Öffentlichkeit und den Bundestag kommende Woche umfassend über die Hintergründe informieren.

Es müsse geklärt werden, was das Kanzleramt mit dem Verteidigungsministerium und den Geheimdiensten verabredet habe und was Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wirklich gewusst habe.

"Guttenberg hat gelogen"

Die Grünen-Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin erklärten: "Frau Merkel muss klären, ob eine Strategie des gezielten Tötens Bestandteil der Afghanistan-Politik der Bundesregierung ist - und, ob Kanzleramt, Bundeswehr und Nachrichtendienst diese neue Strategie gebilligt haben."

Trittin unterstellte Guttenberg eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit. Der Minister habe zum tödlichen Bombardement auf zwei Tanklastzüge vom September "wissentlich die Unwahrheit" gesagt, sagte Grünen-Fraktionschef der ARD. "Man nennt das landläufig "er hat gelogen".

Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour sagte im Hessischen Rundfunk, Guttenberg (CSU) habe sich zum "Mr. Klartext" erklärt. "Jetzt müssen wir feststellen, der ist nicht Mister Klartext, der steht eher an der Wursttheke und verkauft uns Salami in Scheibchen", beklagte Nouripour. Tagtäglich komme Neues auf den Tisch. Das erschwere die Aufklärung.

Linken-Chef Lothar Bisky sagte, Merkel müsse endlich die Karten auf den Tisch legen. Wenn das Kanzleramt ein schärferes Vorgehen der Bundeswehr vor dem Luftangriff gebilligt habe, seien Parlament und Öffentlichkeit bewusst getäuscht worden.

Der Verteidigungsexperte der Linken, Paul Schäfer, sieht durch den Luftangriff das Bundeswehr-Mandat für den Einsatz verletzt. "Meines Erachtens sieht das Mandat eine solche Form gezielter Tötung nicht vor, auch das Isaf-Mandat nicht."

Eine gezielte Tötung sei nur im Rahmen der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom (OEF) erlaubt. Für diese Mission habe die Bundeswehr in Afghanistan aber kein Mandat mehr.

Auch SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels zweifelt an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens: "Mit dem Geist der Bundestagsmandate für Afghanistan wären gezielte Tötungen absolut nicht vereinbar", sagte er der Bild-Zeitung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Guttenberg verhält.

Aus den Reihen der Union kommt inzwischen ebenfalls die Forderung nach einer schnellen Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der CDU-Außenpolitiker und frühere Verteidigungs-Staatssekretär Willy Wimmer forderte Merkel in der Leipziger Volkszeitung auf: "Machen Sie Schluss mit Vermutungen, Behauptungen und Vorwürfen. Treten Sie vor den Bundestag."

Es sei mit Blick auf die Wirkung auf die Soldaten und auf die Öffentlichkeit unerträglich, wenn beispielsweise Verteidigungsminister Guttenberg nach acht Jahren Afghanistan-Einsatz öffentlich die Klärung der Frage einfordert, welche Ziele am Hindukusch tatsächlich erreichbar seien.

Diese Regierungserklärung sei auch deshalb dringlich, weil sich sonst der Eindruck verfestige, dass man sich auf Kosten von einzelnen Soldaten wegen des Luftangriffs in Kundus selbst in Sicherheit bringen wolle.

Wimmer verwies darauf, dass die in Afghanistan im Sommer unter Verantwortung des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) stattgefundene Eskalation der deutschen Anti-Terrorbekämpfung "bestimmt nicht" ohne Billigung durch die Bundesregierung erfolgt sei.

Nach dem Luftangriff verweist das Verteidigungsministerium dagegen darauf, dass das Mandat grundsätzlich auch die Anwendung von Gewalt erlaubt. Die Vorgänge um das Bombardement vom 4. September und die anschließende Informationspolitik müssten im Untersuchungsausschuss des Bundestages aufgeklärt werden, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin. Generell sei es abhängig von der jeweiligen Situation, ob die Soldaten bei der Bekämpfung der radikalislamischen Taliban auch Gewalt anwenden dürften.

Bei dem Angriff waren nach Nato-Erkenntnissen bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden. Der Untersuchungsausschuss will sich am kommenden Mittwoch konstituieren.

Guttenberg lehnte eine Kommentierung der neuen Informationen zur Kundus-Affäre ab. Dies sei nun Sache des Bundestags-Untersuchungsausschusses. Dort sei die Angelegenheit gut aufgehoben. "Deswegen unterstütze ich das ja auch so", sagte Guttenberg.

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