Abtreibung:Kulturkampf in Spanien

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Bis zu zwei Millionen Menschen wollen in Madrid gegen die Lockerung der Abtreibungsgesetze auf die Straße gehen. Dabei sind die geltenden Regelungen seit langem eine Farce.

Javier Cáceres

Es wird eine machtvolle Neuauflage des spanischen Kulturkampfes, so viel ist gewiss. Und wenn sich die Träume der Organisatoren erfüllen, werden an diesem Samstag in Madrid mehr als zwei Millionen Menschen gegen die Lockerung der Abtreibungsregelung protestieren, die Spaniens sozialistische Regierung beschlossen hat.

Hunderte Reisebusse, ein "Zug des Lebens" und Sonderflieger sind angemietet worden, um Madrid, wie es in dem Demo-Aufruf von mehr als vierzig, teils fanatisch-religiösen Organisationen heißt, in die "Hauptstadt des Lebens" zu verwandeln.

Anders als bei vorangegangenen kulturkämpferischen Protesten gegen die sozialistische Regierung hat sich der Klerus diesmal ebenso wie die konservative Volkspartei PP gehütet, den Aufruf zu unterschreiben. Namhafte erzkonservative Kirchenführer wie der Vorsitzende der spanischen Bischofskonferenz, Antonio María Rouco Varela, haben gar wissen lassen, dass sie bloß im Geiste, nicht aber persönlich mitzulaufen gedenken.

An Unterstützung und Sympathie von Purpurnen und PP besteht freilich kein Zweifel - zumal noch immer das Wort der Bischöfe gilt, dass Spanien "das Problem Nummer eins der westlichen Zivilisation" darstelle, seit die Sozialisten regieren.

Institutionalisierte Heuchelei

Bischöfe und Konservative wollten unterstreichen, dass es "die Zivilgesellschaft" sei, die sich gegen die Reform stelle, heißt es bei den Demo-Organisatoren. Einzelne Bischöfe und führende Politiker der PP wie der PP-Ehrenvorsitzende und frühere Ministerpräsident José María Aznar werden daher nur in eigenem Namen gegen die Regierung protestieren.

Befürworter der Abtreibungsreform riefen ihm dafür sogleich Pharisäer hinterher. In seiner Amtszeit in den Jahren von 1996 bis 2004 wurden nicht nur mehr als 500.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, auch ließ der Premier die immer noch geltenden Abtreibungsregelungen unangetastet - obwohl schon diese den meisten Demo-Organisatoren viel zu weit gehen.

Zurzeit ist die Abtreibung in Spanien verboten - und lediglich bei Vergewaltigung, Missbildung des Fötus oder Gefährdung der physischen und psychischen Gesundheit der werdenden Mutter erlaubt. Diese Regelung hat über die Jahre hinweg die Heuchelei quasi institutionalisiert: 97 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche, die sich auf mittlerweile mehr als 100.000 pro Jahr addieren, werden mit Gesundheitsrisiken begründet.

Das Reformprojekt der Regierung sieht neben einer Verbesserung der Aufklärung auch vor, dass Abtreibungen bis zur 14. Woche straffrei bleiben. Eine besonders umstrittene Neuerung soll Minderjährigen ab 16 erlauben, ohne Einverständnis der Eltern abzutreiben. Beobachter vermuten, dass diese Regelung im Zuge des Gesetzgebungsverfahren zumindest aufgeweicht wird.

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