Streit unter Amisch in den USA:Beim Barte des Propheten

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Die Rächer kommen nachts, Bart- und Ehrabschneider zugleich: Ein Streit unter verfeindeten Gruppen der christlich-fundamentalistischen Amisch in Ohio eskaliert - in einer Serie bizarrer Fälle von Bartraub.

Sie kommen des Nachts und rasieren ihre Opfer mit Gewalt: Nach einer Welle von Überfällen in Ohio spitzt sich der Konflikt zwischen rivalisierenden Gruppen innerhalb der streng christlichen Amisch-Sekte weiter zu. Eine Frau brachte ihre Glaubensbrüder nun sogar vor Gericht, weil die ihrem Ehemann gegen seinen Willen den Bart abrasiert hatten.

Levi Miller sowie die Mullet-Brüder Johnny und Lester werden des perfiden Bartraubs verdächtigt - angeblich aus Rache für abtrünnige Glaubensbrüder. (Foto: AP)

"Normalerweise halten wir die andere Wange hin", sagte Arlene Miller. "Wir ziehen nicht gegeneinander vor Gericht." Die jüngsten Vorfälle seien aber "vollkommen verdreht und bizarr", fuhr die 46-Jährige fort. Die radikal protestantische Glaubensgemeinschaft der Amischen ist eigentlich dafür bekannt, abseits der modernen Gesellschaft besonders friedlich zu leben.

Vor Gericht für die Glaubensbrüder

Technische Errungenschaften wie Autos lehnen sie ab, Streitereien werden innerhalb der Gemeinschaft geschlichtet. "Wir meiden staatliche Gerichte, denn wir glauben nicht an Rache", sagte Miller. "Aber hier geht es nicht um Rache. Wir ziehen vor Gericht, damit unsere Glaubensbrüder Hilfe bekommen."

Millers Ehemann war am 3. Oktober nachts in seinem Haus überfallen worden. Fünf Angreifer, ebenfalls Amische, warfen ihn zu Boden und schnitten ihm mit Schere und Elektrorasierer den Bart ab. "Er hat sich nicht gewehrt, er versuchte nur, zu fliehen", erinnert sich die Ehefrau.

Es war der zweite Überfall in dieser Nacht: Kurz zuvor waren ganz in der Nähe in Holmes County ein 74-jähriger Bischof und sein Sohn gewaltsam rasiert worden. Im September sorgte ein ähnlicher Angriff für Aufsehen: In der Gemeinde Trumbull County wurde einem Mann der Bart abgenommen, einer Frau wurde das Haar abgeschnitten. Die Opfer sollten mit diesen Aktionen gezielt gedemütigt werden, sagte Arlene Miller. Bärte seien aus religiösen Gründen für amische Männer sehr wichtig, genau wie langes Haar für die Frauen.

"So etwas gab es noch nie"

Derartige Übergriffe seien unter Amischen eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. "Es ist bizarr", sagte sie. "Ich habe noch nie von etwas Ähnlichem gehört. So etwas gab es noch nie in unserer Gemeinschaft." Hintergrund der Überfälle ist laut Einschätzung der Betroffenen ein langjähriger Konflikt mit einer anderen Amisch-Gruppe, der Bergholz-Gemeinde. Die Splittergruppe gilt als besonders fundamentalistisch und autoritär. 1995 wurde sie von ihrem Anführer Sam Mullet gegründet.

Die 120 Mitglieder leben getrennt von den anderen Amischen und gehören nicht zu ihrem Bund. Mullet steht in dem Ruf, mit Härte gegen abtrünnige Mitglieder vorzugehen. Als einer seiner eigenen Söhne die Gemeinde mit seiner Familie verlassen wollte, soll Arlene Millers Ehemann ihnen geholfen haben. Seitdem gibt es offenbar starke Spannungen.

Rache für Sam Mullet

Unter den fünf Männern, die des Bartabschneidens verdächtigt werden, sind zwei Söhne des Bergholz-Anführers. Laut Angaben des örtlichen Sheriffs sagten die Angreifer bei ihrem Überfall: "Wir sind hier, um für Sam Mullet Rache zu üben". (Mullet bedeutet im Englischen übrigens Vokuhila). Mullet leugnet zwar, die Männer zu der Tat angestiftet zu haben. "Ich habe ihnen aber auch nicht gesagt, dass sie es nicht tun sollen. Ich sage auch jetzt nicht, dass sie es nicht tun sollen", sagte Mullet.

Der religiöse Führer beschwerte sich darüber, dass seine Gemeinde von den anderen Amisch-Gemeinden als Sekte bezeichnet würde. "Wir wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden", sagte er. Der Angriff sei eine "Nachricht" an die Mitglieder der Holmes-County-Gemeinde gewesen. Die fünf mutmaßlichen Angreifer standen am Mittwoch in Ohio vor Gericht.

Sie werden unter anderem des Einbruchs und der Entführung angeklagt. Gegen eine Kaution von 50.000 Dollar (36.000 Euro) wurden sie vorerst freigelassen. In Ohio leben fast 61.000 Mitglieder der amischen Glaubensgemeinschaft. Es ist die zweitgrößte amische Gruppe in den USA.

© sueddeutsche.de/dapd/Andrew Welsh-Huggins - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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