Prozess in Südafrika:Pistorius muss sich psychologisch untersuchen lassen

Lesezeit: 3 min

Oskar Pistorius am Mittwoch im Gericht in Pretoria (Foto: REUTERS)

Ist Oscar Pistorius womöglich psychisch krank? Richterin Masipa ordnet im Mordprozess gegen den Athleten überraschend ein neues Gutachten an. Der Antrag hatte zuvor für heftige Auseinandersetzungen gesorgt.

"Vor Schreck lief mir ein kalter Schauer über den Rücken." "Ich dachte, es sei jemand in mein Haus eingedrungen. Ich hatte zu große Angst, das Licht einzuschalten." Auf diese Sätze aus seiner eidesstattlichen Erklärung vom vergangenen Jahr hat Oscar Pistorius im Mordprozess gegen ihn seine gesamte Verteidigung aufgebaut. Er wird beschuldigt, seine Freundin Reeva Steenkamp durch die verschlossene Toilettentür in seinem Haus erschossen zu haben.

Doch wie groß sind die Ängste des Paralympics- und Olympia-Athleten wirklich? Wie ist es um seine mentale Verfassung bestellt? Und bedarf es dafür einer erneuten psychologischen Untersuchung?

Ja, es braucht ein weiteres Gutachten. Zu diesem Schluss ist nun Richterin Thokozile Masipa gekommen. Sie hat damit einem Antrag der Staatsanwaltschaft nach Absatz 78 der Strafprozessordnung stattgegeben. Der Angeklagte muss sich für psychologische Untersuchungen für bis zu 30 Tage in eine Klinik begeben - so lange wird der Prozess in Pretoria ausgesetzt. Die Entscheidung der Richterin fiel entgegen aller Erwartungen der Prozessbeobachter aus.

Richterin Thokozile Masipa
:In ihren Händen liegt Pistorius' Schicksal

Einst war sie Sozialarbeiterin und Reporterin, dann wurde Thokozile Masipa von Nelson Mandela zur Richterin berufen. Am Mittwoch entscheidet sie über ein wichtiges Gutachten in ihrem prominentesten Fall - dem des Paralympics-Athleten Oscar Pistorius.

Die Richterin sagte in der Begründung zu ihrer Entscheidung, auch wenn der Angeklagte nicht selbst auf das Thema psychische Erkrankung zu sprechen gekommen sei, könne eine entsprechende Aussage nicht ignoriert werden. Das Gericht sei nicht dafür ausgestattet, diese inhaltlich zu bewerten. Zur dadurch entstehenden Verzögerung sagte Masipa, ihr sei bewusst, dass das vielen ungelegen komme, aber: "Es geht hier nicht darum, es für irgendjemanden angenehm zu machen, sondern darum, ob der Gerechtigkeit genüge getan wird." Die Überstellung Pistorius' in eine psychiatrische Klinik sei keine zusätzliche Strafe, betonte Masipa noch, sondern diene allein der Wahrheitsfindung. Am Dienstag will sie den formellen Bescheid des Gerichts vorlegen - darin werden auch Details zu den psychologischen Tests enthalten sein. Verteidiger Roux kündigte am Mittwoch an, zu beantragen, dass sein Mandanat ambulant untersucht wird.

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Der Prozess hatte am Montag eine überraschende Wendung genommen, als die Zeugin Merryl Vorster für die Verteidigung in den Zeugenstand trat. Die forensische Psychiaterin sagte, an Richterin Masipa gewandt: "Es ist meine Überzeugung, Mylady, dass Mister Pistorius an einer Angststörung leidet. Wenn er fürchtete, dass da ein Eindringling war, dann hätte eine allgemeine Angststörung sicherlich die Art beeinflusst, wie er auf diese Angst reagierte." Diese Störung sei jedoch nicht so schwerwiegend, dass Pistorius' Schuldfähigkeit eingeschränkt wäre.

Für die Anklage um Staatsanwalt Gerrie Nel war Vorsters Aussage die Chance, ein neues Gutachten zu fordern - was Nel auch prompt tat. Er habe nie argumentiert, dass hier eine psychische Erkrankung vorliege, sagte der Staatsanwalt. Aber das Gericht müsse in dieser Sache Klarheit schaffen. Nels Antrag - der sich am Montag bereits abzeichnete, am Dienstag dann offiziell in den Prozess eingebracht wurde - versetzte Pistorius' Verteidiger Barry Roux regelrecht in Rage.

Pistoris nennt Forderung nach Gutachten einen "Witz"

Seiner Meinung nach bestehe in einer erneuten Beurteilung Pistorius' keinerlei Vorteil, schimpfte Roux. "Bei allem Verständnis muss ich sagen, dass ich Mister Nels Gesetzesauslegung unglücklich finde", empörte sich Roux über die Argumentation seines Gegenspielers. Der Antrag auf ein erneutes Gutachten sei eine "List", um eine zusätzliche Meinung in den Prozess zu kriegen. Oscar Pistorius selbst hatte den geplanten Antrag des Staatsanwalts schon am Montag einem Reporter der britischen BBC gegenüber einen "Witz" genannt.

Staatsanwalt Nel seinerseits bemühte sich nicht gerade, Pistorius' Verteidiger zu besänftigen. "Ich wäre auch emotional, wenn ich einen Zeugen aufgerufen hätte, der dann den Anstoß dafür gibt, dass mein Mandant eingewiesen wird", sagte er. Roux' Zorn über seinen Antrag begegnete Nel mit beißendem Sarkasmus. Als Roux - vielleicht mehr zu sich als zu den anderen - sagte, es nütze nichts, sich aufzuregen, kommentierte Nel das bissig: "In einem stimme ich mit Mister Roux überein: Wir sollten hier nicht emotional werden."

Von einer psychischen Erkrankung, ja womöglich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten, war im Prozess bisher nie die Rede. Doch dass Pistorius' Angst vor Gewalt sehr tief zu sitzen scheint, wurde immer wieder deutlich. An seinem ersten Tag im Zeugenstand berichtete er, wie er in der Vergangenheit Opfer von Gewalttaten wurde.

Gepaart mit Schilderungen von Bekannten, wonach Pistorius aus Furcht stets eine Waffe bei sich trug, entstand immer wieder das Bild eines angsterfüllten, sich wegen seiner Behinderung bisweilen wehrlos fühlenden Mannes - dessen Furcht durchaus paranoide Züge trägt. So berichtete etwa der Zeuge Seans Rens, Waffenhändler und ein Bekannter Pistorius', wie der Athlet einmal auf ein Geräusch in seinem Haus reagiert habe: "Er wechselte in einen Modus, den wir 'Alarmstufe Rot' nennen, oder 'Kampfmodus': Wenn man seine Waffe zieht und das Gebäude sichert. Als er zur Quelle des Geräuschs kam, stellte sich heraus, dass es nur die Waschmaschine war." Szenen, die schwer vorstellbar erscheinen - zumal für Beobachter außerhalb des von Gewaltkriminalität geplagten Südafrika.

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