Kritik an Satirezeitschrift:Charlie Sein oder Nichtsein

Mongolian journalists pay tribute to the victims of a shooting by gunmen at the offices of French weekly newspaper Charlie Hebdo in Paris, at Genghis Square in Ulan Bator

Weltweite Unterstützung unter dem Motto "Je suis Charlie": Journalisten in Ulan Bator, Mongolei.

(Foto: Rentsendorj Bazarsukh/Reuters)
  • Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo haben viele Menschen mit dem Satz "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie) ihre Solidarität mit den erschossenen Karikaturisten erklärt.
  • Unter dem Hashtag #JeNeSuisPasCharlie (Ich bin nicht Charlie) erklären nun viele, warum sie die Attentate von Paris verurteilen, Charlie Hebdo aber trotzdem kritisch sehen.
  • Dem Magazin wird vorgeworfen, Menschen mit islamfeindlichen, sexistischen und rassistischen Beiträgen verletzt zu haben. Pressefreiheit müsse kein rücksichtsloses Austeilen bedeuten.

Von Lilith Volkert

Acht Menschen werden getötet und Tausende rücken an ihre Stelle. Kurz nachdem Mittwochmittag ein großer Teil der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und vier weitere Menschen von Terroristen erschossen wurden, wollten viele das freche Blatt unterstützen. "Ich bin Charlie" stand auf unzähligen Plakaten, mit denen am selben Abend Menschen in vielen Städten Frankreichs auf die Straßen gingen. #JeSuisCharlie hatte der Franzose Thierry Puget spontan als Zeichen seiner Solidarität getwittert, der Tweet ging um die Welt, Millionen taten es ihm nach.

Später solidarisierten sich einige Menschen anhand der Hashtags #JeSuisAhmed und #JeSuisJuif (Ich bin Jude) mit den weniger prominenten Opfern - dem erschossenen muslimischen Polizisten Ahmed Merabet und den vier jüdischen Geiseln, die ein dritter Attentäter am Freitag in einem koscheren Supermarkt erschossen hat.

Inzwischen macht auch #JeNeSuisPasCharlie (Ich bin nicht Charlie) im Internet die Runde. Die meisten fügen der Sicherheit halber noch ein "aber trotzdem gegen Gewalt und Terrorismus" hinzu, um sich von jenen abzugrenzen, die Verständnis für den Anschlag oder sogar Freude darüber zeigen. Oder mit denselben Worten ihre Solidarität mit den Ermordeten wieder relativieren, wie etwa der Gründer des rechtsextremen Front National, Jean-Marie Le Pen.

Kritik an der Solidarität

Offenbar reicht es vielen Twitter-Usern, Bloggern und Journalisten nicht, auf den Slogan "Je suis Charlie" einfach zu verzichten. Sie wollen deutlich machen, dass sie sich den zahlreichen Charlie-Hebdo-Unterstützern nicht nur deshalb nicht angeschlossen haben, weil sie aus Versehen ein paar Tage offline waren. Sondern weil sie sich bewusst dagegen entschieden haben - obwohl sie den Anschlag scharf verurteilen.

Ein US-amerikanischer Blogger kritisiert die "kostengünstige, risikolose, allumfassende Solidarität", die völlig unverbindlich sei und doch oft fälschlicherweise als politischer Akt verstanden werde. David Brooks von der New York Times nimmt Anstoß an dem unverbindlichen Beifallklatschen von US-Amerikanern, deren Toleranz schnell an ihre Grenzen gerate, sobald jemand ihre eigenen Ansichten und Werte in Frage stelle.

Abgesehen davon, dass ein neues Profilbild billig zu haben und ein Tweet schnell getippt ist, spricht aus vielen Beiträgen das Unbehagen, die Karikaturisten von Charlie Hebdo als Märtyrer der Meinungsfreiheit beweint und beklatscht zu sehen. Männer, die keine Rücksicht auf religiöse Gefühle nahmen und immer wieder sexistische, homophobe und rassistische Beiträge veröffentlichten. So titelte das Blatt anlässlich der Begeisterung eines Papstbesuchs in Paris "Franzosen so dumm wie Neger". Außerdem zeigte Charlie Hebdo - auf seiner Webseite - eine Karikatur, die die schwarze Justizministerin Taubira als Affe zeigt, nachdem die diese von einer konservativen Politikerin und einem rechtsextremen Blatt als solcher verspottet worden war.

"Als Muslimin werde ich keine Zeitung verteidigen, die mich nicht respektiert und meinen Glauben und meine Kultur lächerlich macht", schreibt etwa eine Studentin aus dem Libanon. Ein belgischer Blogger erinnert sich, dass Charlie Hebdo einst auch mal der rechtsextremen und islamfeindlichen Partei Vlaams Belang zur Seite gesprungen sein soll. Deshalb wolle er sich nicht uneingeschränkt mit ihr solidarisieren, obwohl er einzelne Autoren seit seiner Jugend verehre.

Was heißt "Ich bin Charlie" eigentlich?

"Wir wissen wohl alle noch vom Schulhof, dass ein Witz nicht immer nur zum Lachen gedacht ist", erklärt Meike Büttner im Magazin The European ihre Entscheidung. "Oft genug ist es das Ziel eines solchen Witzes, Menschen zu verletzen. Damit kann ich mich schlicht nicht identifizieren."

Natürlich hängt die Bewertung des Satzes "Ich bin Charlie" davon ab, als was genau man ihn versteht - als spontane Form der Anteilnahme und Selbstvergewisserung, als Trotzreaktion oder als allumfassende Einverständniserklärung mit der Arbeit der Karikaturisten. Vermutlich wollten die wenigsten, die in den ersten Stunden nach dem Anschlag als Charlie ein Plakat durch den Regen trugen oder im Internet ihr Entsetzen äußerten, damit ausdrücken, dass sie jede Zeichnung der Zeitschrift kennen und gut heißen. Sie wollten gegen einen Angriff auf die Meinungsfreiheit zusammenzustehen.

Genau darin sieht der US-Blogger James Scott das Bedürfnis vieler Menschen, sich gegen eine Bedrohung von islamischer Seite zu verbünden. Als der islamfeindliche Terrorist Anders Breivik 2011 in Norwegen 77 Menschen umbrachte, habe es keine vergleichbare Bewegung gegeben. Scott kritisiert zudem den "Gruppenzwang", den er seit Tagen spüre: Nur Feiglinge oder Verräter würden die Mitgliedschaft im Charlie Club verweigern.

Muss Satire immer ein Faustschlag ins Gesicht sein?

Tatsächlich zeigt Corine Goldberger im französischen Magazin Marie Claire kein Verständnis für die #JeNeSuisPasCharlie-Sager. Sie würden sich von den vereint für die Pressefreiheit einstehenden Franzosen distanzieren und jenen in den Rücken fallen, die unermüdlich dafür kämpften, dass Extremisten und die "schweigende islamische Minderheit" nicht in einen Topf geworfen würden.

Dass inzwischen über Charlie-Sein-oder-Nichtsein diskutiert wird, mag ein Zeichen dafür sein, dass der erste Schock vorüber ist. Nun lässt sich darüber sprechen, was Satire sein will und darf. Ob eine Karikatur tatsächlich immer ein Faustschlag ins Gesicht sein muss, wie es einer der Charlie-Hebdo-Mitbegründer einmal sagte. Und ob es besonders vernünftig ist, alles, was erlaubt ist, auch zu tun.

Viele Menschen tun im Internet diese differenzierte Sicht der Dinge kund: Pressefreiheit ja, rücksichtsloses Austeilen nein. Ein Satz, der fälschlicherweise dem französischen Philosophen Voltaire zugeschrieben wird, wurde in den vergangen Tagen häufig gepostet: "Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen."

Der britische Journalist Eliot Higgins fasst ihn angesichts der Diskussion um Charlie Hebdo so zusammen: "Ich verteidige dein Recht, dummen Scheiß zu sagen, aber es bleibt dummer Scheiß."

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