TV-Sender BFMTV:Telefonate mit den Tätern

TV-Sender BFMTV: Der jüdische Supermarkt in Porte de Vincennes, Paris, während der Stürmung durch die Polizei. Kurz zuvor hatte der Attentäter Coulibaly mit der Redaktion des Nachrichtensenders BFMTV telefoniert.

Der jüdische Supermarkt in Porte de Vincennes, Paris, während der Stürmung durch die Polizei. Kurz zuvor hatte der Attentäter Coulibaly mit der Redaktion des Nachrichtensenders BFMTV telefoniert.

(Foto: AFP)

Im Chaos rund um die "Charlie Hebdo"-Morde und die Geiselnahmen fällt ein TV-Sender auf: BFMTV. Deren Reporter telefonierten mit zwei der drei Attentäter und waren auch sonst bestens informiert. Dem Ziel, ein "französisches CNN" zu werden, kommt der private Kanal immer näher.

Von Dorothea Grass

Der Krieg des Terrors, man weiß es spätestens seit dem 11. September 2001, wäre ein anderer, wenn er sich nicht auf die Macht der Bilder verlassen könnte. Den Medien kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Sie klären auf, bilden ab - und sind nicht selten diejenigen, die die Botschaft der Terroristen an die Öffentlichkeit bringen und damit selbst zum Instrument werden.

So geschehen auch in den vergangenen vier Tagen nach den islamistischen Anschlägen in und um Paris. Die aktuellsten Informationen lieferte vor allem ein TV-Sender: BFMTV. Die Redakteure des Senders waren bestens informiert und standen sogar zwei Mal in Kontakt mit den Attentätern. BMFTV ist ein privater Sender und ist neben i-Télé der meistgesehene Nachrichtenkanal, der nach US-amerikanischem Vorbild rund um die Uhr berichtet.

Es war der BFMTV-Journalist Igor Sahiri, der am Freitagvormittag gegen zehn Uhr in der Druckerei in Dammartin-en-Goële anrief, in der sich die flüchtigen Charlie-Hebdo-Attentäter verschanzt hatten. Im Interview mit Le Dauphiné berichtet der Journalist Sahiri, er habe gehofft, mögliche Geiseln ans Telefon zu bekommen.

Journalist Sahiri: "Ich war unter Schock"

An den Apparat ging jedoch Chérif Kouachi, der jüngere der beiden Brüder, wie Sahiris Kollegin Sarah-Lou Cohen später auf BFMTV berichtet. Das Gespräch dauert wenige Augenblicke, dann legt der Islamist auf. Kurze Zeit später ruft Sahiri aus dem Aufnahmestudio des Senders in der Druckerei an. Wieder hebt Chérif Kouachi ab.

Er sagt, er handle im Auftrag der jemenitischen al-Qaida (Details über deren Verhältnis zu IS). Der Journalist Sahiri berichtet, er habe "unter Schock" gestanden, als er realisiert habe, mit wem er am Telefon verbunden war. Dieser habe "ruhig, konkret und ohne Beleidigungen" gesprochen. Kouachi habe ihn geduzt. Außerdem habe er das Gefühl gehabt, Kouachi hätte gelächelt, während er am Telefon davon sprach, dass er die Ehre des Propheten verteidige, so Sahiri.

Die Redaktion habe sich im Anschluss daran entschlossen, die Aufzeichnungen der Polizei zu übergeben, bevor sie in Teilen veröffentlicht würden. Der Reporter Sahiri berichtet gegenüber Le Dauphiné, er sei noch immer fassungslos darüber, dass er mit den Attentätern gesprochen habe. Er sei auch nicht besonders stolz darauf, aber er habe in dieser Ausnahmesituation "das getan, was die Mehrheit der Journalisten getan hätte. Ich habe meine Arbeit gemacht."

Einige Stunden später kommt die Kontaktaufnahme von Seiten der Terroristen: Kurz nach 15 Uhr ruft Amedy Coulibaly, der Attentäter aus dem koscheren Supermarkt (hier ein Porträt), in der Redaktion von BFMTV an. Am Apparat ist Alexis Delahousse, Vizechef der Redaktion. Wie Sarah-Lou Cohen in der Nachrichtensendung berichtet, habe Coulibaly mit der Polizei in Kontakt treten wollen und sich zur Terror-Organisation "Islamischer Staat" bekannt. Auch hier habe die Redaktion beschlossen, die Aufzeichnungen nicht unmittelbar zu veröffentlichen, sondern zuerst den Ermittlern zu überlassen.

Rekord-Einschaltquoten für Nachrichtensender

Die Ausschnitte aus den Telefonaten veröffentlichte der Sender erst, nachdem die drei Terroristen tot waren. Zu dem Material gehören auch exklusive Augenzeugenberichte von einer Ex-Geisel, die aus Mali stammt und im Untergeschoss des Supermarkts mit 14 anderen Menschen ausharrte. Daneben gibt es Gespräche mit dem Bekannten einer Geisel, der berichtete, wie kaltblütig der Terrorist Coulibaly mit seinen Geiseln umging.

Dem französischen Nachrichtensender BFMTV beschert die durchgehende Live-Berichterstattung die zweitbesten Einschaltquoten in seiner Geschichte. Am Mittwoch, dem Tag des Angriffes auf die Pariser Charlie-Hebdo-Redaktion kam BMFTV auf acht Prozent Zuschaueranteil und erreichte im Laufe des Tages etwa zwanzig Millionen Menschen. Zum Vergleich: An Tagen mit "normaler" Nachrichtenlage verzeichnet der Sender etwa zwei Prozent.

Sein bestes Ergebnis hatte der Sender am 21. März 2012 nach den islamistischen Anschlägen von Mohamed Merah in der Region Midi-Pyrénées erreicht: 8,7 Prozent Zuschaueranteil. Der direkte Konkurrent von BFMTV, i-Télé, ein Nachrichtensender im Besitz von Canal+, verzeichnete am 7. Januar nun ebenfalls traurige Rekordquoten: 3,8 Prozent Zuschaueranteil.

Alain Weill, der als Geschäftsführer der Gruppe NextRadioTV auch BFMTV vorsteht, sprach noch im Dezember von stagnierenden Einschaltquoten. Damals verkündete er in einem Interview mit Le Figaro, er wolle "BFMTV zum französischsprachigen Pendant von CNN International machen."

Gleichzeitig habe man zum Ziel, als französischer Nachrichtensender auch international frankophone Zuschauer zu erreichen. Mit der hervorstechenden Berichterstattung rund um die Pariser Terroranschläge dürfte BFMTV seine Bekanntheit in aller Welt gesteigert haben.

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