Jugendliche im Internet:1,4 Millionen Schülerinnen und Schüler von Cybermobbing betroffen

Safer Internet Day  - Cybermobbing

Während früher analoges Mobbing unter Schülern in den meisten Fällen mit dem Verlassen des Schulgeländes endete, sind Opfer von Cybermobbing ihren Peinigern heute permanent ausgesetzt.

(Foto: picture alliance / klicksafe/Mar)
  • Die gute Nachricht vorweg: Cybermobbing unter Schülern ist in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie.
  • Die Autoren geben dennoch keine Entwarnung: Noch immer seien etwa 1,4 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen.
  • Da sich die Internet-Gewohnheiten der Schüler geändert haben, fällt Eltern und Lehrern die Kontrolle zunehmend schwerer.

Von Felicitas Kock

Es ist schon ein paar Jahre her, dass Cybermobbing unter Schülern zum ersten Mal Schlagzeilen machte. 2011 wurde ein 17-jähriger Berliner von einer Gruppe Gleichaltriger bewusstlos geprügelt, weil er seine Freundin vor Anfeindungen im Netz verteidigt hatte. Das Mädchen war auf der vor allem von Jugendlichen genutzten Internetseite Isharegossip.com verleumdet worden. Auch sonst ging es dort nicht eben freundlich zu: Nutzer suchten anonym nach den hässlichsten Schülerinnen ihrer Klasse, verbreiteten Gerüchte und forderten zu regelrechten Hetzjagden auf.

Die Seite gibt es heute nicht mehr - die Problematik ist nach wie vor aktuell, wie eine Studie zeigt, die die Organisation "Bündnis gegen Cybermobbing" gemeinsam mit der Telekom an diesem Dienstag vorgelegt hat. Das Papier erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, gewährt aber dennoch interessante Einblicke. 13 Prozent der befragten Schüler zwischen zehn und 21 Jahren* geben demnach an, schon über das Internet gemobbt worden zu sein. Noch mehr, nämlich 13,4 Prozent, bezichtigen sich selbst, schon online gemobbt zu haben.

Die Übergänge zwischen Täter- und Opferschaft sind dabei zum Teil fließend: Jeder fünfte Täter war den Angaben zufolge selbst schon Opfer von Cybermobbing. Das Motiv ist entsprechend oft Rache (28 Prozent), weil man selbst gemobbt wurde. Am häufigsten (45 Prozent) wird schlicht als Grund genannt, dass "die Person die Attacke verdient hat". Weitere gängige Motive sind schlechte Laune (12 Prozent) und Langeweile (11 Prozent).

Wer jetzt an kleine Hänseleien im Schulalltag denkt, liegt falsch. Die Experten definieren Mobbing als "Form offener und/oder subtiler Gewalt gegen Personen über längere Zeit mit dem Ziel der sozialen Ausgrenzung". Am häufigsten berichten Mobbingopfer demnach über andauernde Beschimpfungen und Beleidigungen, knapp die Hälfte beklagt die Verbreitung von Lügen und Gerüchten.

Die erfreuliche Nachricht ist: Cybermobbing scheint etwas weniger verbreitet zu sein als bei der ersten und bis dahin größten Umfrage zum Thema im Jahr 2013 - und das, obwohl Kinder und Jugendliche heute deutlich mehr Zeit im Internet verbringen. Damals bezeichneten sich noch knapp 17 Prozent der Befragten als Opfer und 19 Prozent als Täter. Den Rückgang führen die Experten unter anderem auf die gesteigerte Sensibilität bei Eltern und Lehrern zurück.

Trotzdem warnen die Autoren der Studie davor, das Problem als erledigt zu betrachten. Cybermobbing habe sich zu einem gesellschaftlichen Phänomen entwickelt, insgesamt seien noch immer etwa 1,4 Millionen Schülerinnen und Schüler betroffen. Und die Bekämpfung sei heute schwieriger als früher, weil die Online-Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen schlechter kontrollierbar seien.

Die wenigsten Eltern kontrollieren noch, was die Kinder im Netz treiben

Zum einen, weil sich der virtuelle Ort des Geschehens geändert hat: Vor wenigen Jahren tauschten sich Kinder und Jugendliche hauptsächlich über soziale Netzwerke wie Facebook aus. Diese sind aus ihrem Alltag heute weitestgehend verschwunden. Die Kommunikation - und damit auch das Mobbing - hat sich auf Messaging-Dienste verschoben. Etwa 90 Prozent der befragten Schüler nutzen demnach Instant-Messager wie Whatsapp. Was dort besprochen wird, können Eltern in der Regel schlechter überprüfen als früher in den sozialen Netzwerken.

Verstärkt wird dieser Effekt noch durch den Wechsel auf mobile Endgeräte. Gerade die jüngere Generation geht fast ausschließlich über Smartphones ins Internet und nicht - wie vor ein paar Jahren noch - über fest installierte PCs. Eltern mit Kindern im entsprechenden Alter dürften bestätigen, dass es dadurch fast unmöglich wird, die Netz-Aktivitäten des Nachwuchses nachzuvollziehen. Dazu passen die Aussagen der befragten Schüler: 76 Prozent von ihnen gaben an, vollkommen ohne Kontrolle der Eltern im Netz aktiv zu sein. Ein Internetverbot werde von Eltern deutlich seltener verhängt als früher: Während 2013 noch 25 Prozent der Schüler angaben, gelegentlich entsprechend bestraft zu werden, waren es bei der aktuellen Befragung nur noch 15 Prozent.

Man könnte jetzt anführen, Mobbing habe es schon immer gegeben, auch vor dem Internet. Doch während analoges Mobbing unter Schülern in den meisten Fällen mit dem Verlassen des Schulgeländes endete, sind Opfer von Cybermobbing ihren Peinigern heute permanent ausgesetzt. Außerdem ist das Publikum im Netz in der Regel größer. Wie schwerwiegend das Problem ist, zeigt sich dann auch in den Folgen, die von den Opfern beschrieben werden: Etwa 30 Prozent der Betroffenen geben an, dass die Mobbingerfahrung sie nachhaltig stark belaste. Ein Viertel spricht gar von Suizidgedanken.

Im Kampf gegen das Cybermobbing sehen die Experten vor allem Eltern und Lehrer in der Pflicht. Beide Gruppen wurden für die Studie ebenfalls befragt. Dabei zeigte sich eine deutlich höhere Sensibilisierung gegenüber den Gefahrenpotenzialen als noch 2013. Schulen gehen demnach auch aktiver gegen Cybermobbing vor. Präventionsprogramme gebe es allerdings noch immer in den wenigsten Bildungseinrichtungen.

*Für die aktuelle Studie wurden mehr als 3000 Schüler, Eltern und Lehrer befragt - teils online, teils mithilfe ausgedruckter Fragebögen. Die meisten der befragten Schüler stammten aus Baden-Württemberg (41,7 Prozent), Rheinland-Pfalz (15,6 Prozent), Niedersachsen (10,8 Prozent) und dem Saarland (8,3 Prozent). Besonders stark vertreten war die Altersgruppe der 13- bis 16-Jährigen.

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