Forensik-Skandal:FBI übertrieb jahrzehntelang die Beweiskraft von Haaranalysen

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  • Über Jahrzehnte haben FBI-Experten vor Gericht die Zuverlässigkeit von Haaranalysen falsch dargestellt, berichtet die Washington Post. Dies ist in 257 von bislang 268 untersuchten Fälle passiert, räumt mittlerweile auch das FBI selbst ein.
  • In 32 der Verfahren wurde die Todesstrafe verhängt.
  • Noch ist unklar, wie viele Fälle tatsächlich neu aufgerollt werden müssen.

Forensik-Skandal in den USA

Experten der US-Bundespolizei FBI haben einem Bericht der Washington Post zufolge jahrzehntelang kriminaltechnische Analysen vor Gericht falsch dargestellt. Die Ergebnisse unzuverlässiger Haaranalysen haben demnach zur Verurteilung Hunderter möglicherweise unschuldiger Angeklagter seit den 1970er Jahren geführt. Meist habe es sich um Mord- oder Vergewaltigungsfälle gehandelt. Die Zeitung spricht von einem der "größten forensischen Skandale" in den USA.

Neueste Untersuchungen zeigten dem Bericht zufolge, dass bei mehr als 95 Prozent der bisher untersuchten 268 Fälle die Zuverlässigkeit der Haaranalysen übertrieben dargestellt wurde. Die Analysen hätten jeweils die Argumente der Anklage begünstigt, hieß es weiter. Bei den betroffenen Verfahren habe es auch 32 Todesurteile gegeben, 14 Verurteilte seien seitdem entweder hingerichtet worden oder im Gefängnis gestorben.

Unklar war zunächst, ob und gegebenenfalls wie viele Prozesse nun neu aufgerollt werden müssen. Die Washington Post weist darauf hin, dass bei den betroffenen Verfahren neben den forensischen Analysen möglicherweise auch andere Beweise zur Verurteilung beigetragen hätten. Angeklagte und Staatsanwaltschaft in zahlreichen Bundesstaaten seien aufgerufen worden, mögliche Berufungsverfahren zu prüfen. Vier Angeklagte seien bereits zuvor aus der Haft entlassen worden.

Verdacht besteht bereits seit Jahren

Der Verdacht fehlerhafter Darstellung kriminaltechnischer Analysen besteht bereits seit Jahren. Im Jahr 2012 hatte die Washington Post bereits mit einem entsprechenden Bericht für Wirbel gesorgt. Aber erst nach Untersuchungen der National Association of Criminal Defense Lawyers (NACDL) hätten das Justizministerium und das FBI jetzt Fehler eingeräumt, berichtete die Zeitung.

Vor drei Jahren erklärten sie sich bereit, knapp 270 Gerichtsurteile aus der Zeit zwischen 1985 und 2000 zu überprüfen. In all diesen Fällen kam es zu Verurteilungen auf der Grundlage von Haaranalysen mit dem Mikroskop.

Die kriminaltechnischen Experten des FBI hatten an Tatorten gefundene Haare lediglich optisch mit Proben der Angeklagten verglichen. Erst die Kombination mit genaueren DNA-Tests kann jedoch Gewissheit bringen, dass ein Haar mit großer Sicherheit von einer bestimmten Person stammt.

Kritiker sprechen von "systematischem Versagen"

"Kein Analytiker hat bewusst falsche Gutachten vorgelegt oder vorsätzlich gelogen. Man hat damals an die Mikroskop-Technik geglaubt, obwohl sie unzureichend und manchmal fehlerhaft war", sagte der frühere stellvertretende FBI-Direktor Tom Fuentes dem Bericht zuolge. Allerdings gibt es bereits wissenschaftliche Studien aus den 80er Jahren, die den Haaranalysen sehr hohe Fehlerquoten bescheinigen.

Peter Neufeld, Todesstrafen-Gegner und Gründer des "Innocence Project", auf deren Druck die Überprüfung zustande kam, bezeichnete die Vorgänge als "Justizskandal". Es brauche dringend eine unabhängige Überprüfung, forderte Neufeld. Haaranalysen der FBI-Forensiker seien so gut wie immer zugunsten der Anklage ausgefallen, so Neufeld weiter.

Strafverteidiger Brian Claypool bezeichnete die Ergebnisse im Sender CNN als "kolossales Desaster": Dies sei "systematisches Versagen". Wenn 26 von 28 Haar-Analytikern des FBI falsche Gutachten abgaben, müsse man fragen, ob dies "ein Marschbefehl von oben war".

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels entstand der Eindruck, dass 95 Prozent der Haar-Analysen fehlerhaft gewesen sein. Tatsächlich hatten aber die FBI-Spezialisten in 95 Prozent der Fälle vor Gericht ihre Ergebnisse als unangemessen zuverlässig dargestellt.

© Süddeutsche.de/dpa/sks/jana/mahu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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