Filmfestspiele Cannes:Witze über Woody Allen

Und über Vergewaltigung! Komiker dürfen das, findet Allen selbst. George Clooney und Jodie Foster sind gewohnt politisch - und für die Jüngeren: Auch Kendall Jenner war da.

Reportage von Tobias Kniebe, Cannes

Den ersten Gästen, die zum Eröffnungsdinner von Cannes eintrafen, bot sich in diesem Jahr ein interessanter Anblick: ein Saal ganz in Tiefrot, voll festlich gedeckter Tische mit Rosenbuketts, sogar die Gläser leuchteten wie Rubine. Ganz in der Mitte aber, auf dem Ehrenplatz, saß bereits ein einsames Paar. Der Mann, schlohweiße Haare, tief in sich zusammengesunken, versuchte mit der Taschenlampe seines Smartphones die Speisekarte zu lesen; die Frau im grünen Kleid war zu ihm gebeugt. Es waren Woody Allen und seine Frau Soon-Yi, es sah fast so aus, als wäre er aus seinem eigenen Film geflüchtet.

Der lief gerade noch, ein Stockwerk tiefer in der großen Eröffnungsgala. Alles war freundlich losgegangen, mit einer Begrüßungsovation im Stehen, aber dann versuchte Laurent Lafitte, der französische Zeremonienmeister, einen Witz: "Nett, dass Sie so oft in Europa drehen", begrüßte er Allen, "obwohl Sie in den USA gar nicht wegen Vergewaltigung verurteilt wurden."

Zweitausend Menschen zogen scharf die Luft ein, und auf einmal stand die erneute Anklage im Raum, die Allens Sohn Ronan Farrow ein paar Stunden zuvor im Hollywood Reporter formuliert hatte - der Vater als Vergewaltiger seiner Adoptivschwester Dylan Farrow. Der nicht anwesende US-Justizflüchtling Roman Polanski bekam auch eine Breitseite mit.

Blake Lively: "Jeder Witz über Vergewaltigung ist kein Witz"

Drohte der Abend zu entgleisen, ein neuer Cannes-Skandal? Scharten sich die Stars und Gäste, die dann nach und nach eintrafen, deshalb so besorgt um den 80-jährigen Stadtneurotiker? Catherine Deneuve nickte gravitätisch, die Chinesin Gong Li zeigte sich wie immer unbewegt, Jessica Chastain strahlte sonnengelb und schulterfrei in Armani Privé, und Kristen Stewart, im punkigen Blond-mit-dunklen-Wurzeln-Look, hatte schon wieder die Lederjacke über ihr Abendkleid geworfen.

Der Kommentar zur Lage kam dann aber von der Großblondine Blake Lively, die in Allens Film ein eher leicht erreichbares Objekt der Begierde spielt: "Jeder Witz über Vergewaltigung, Schwulenhass oder Hitler ist kein Witz", sagte sie.

Leider ist nicht bekannt, wie die Gespräche dann weitergingen, und ob andere an der Tafel, vielleicht gar die Cannes-Jury am Nebentisch - darunter Kirsten Dunst, Mads Mikkelsen, Vanessa Paradis und als Chef der australische "Mad Max"-Bändiger George Miller - noch ein paar mehr Themen auf die Liste der Nicht-Witze setzten durften. Klar ist aber, dass Woody Allen sich später genötigt sah, korrigierend einzugreifen. "Ich bin selbst Komiker", sagt er, "und ich bin der Meinung, Komiker sollten über alles ihre Witze machen dürfen." Was er zum Fall Dylan Farrow zu sagen habe, fügte er hinzu, habe er bereits vor zwei Jahren in der New York Times gesagt - und in der Tat, diese Vorwürfe sind nicht neu.

Bei George Clooney und Jodie Foster wird es politisch

Damit war dem Zirkus der Zelebritäten die Absolution erteilt, zum nächsten großen Thema überzugehen, das in Gestalt von Julia Roberts, George Clooney und Jodie Foster und ihrem Wall-Street-Thriller "Money Monster" angerollt kam. Clooney ist natürlich mit seiner stets hocheleganten Frau Amal da, mit Julia Roberts bildet er aber trotzdem eine Art altes, sehr vertrautes Ehepaar. Wie immer bei Clooney wurde es dann ein wenig politisch, und die Botschaft war beruhigend: Keine Angst, Europa, Donald Trump wird nicht Präsident!

Und wie immer bei Jodie Foster ging es dann sehr bald um Frauen und Hollywood. Dazu war Foster sogar zur Veranstaltungsreihe "Women In Motion" geladen, bei der vor allem Journalisten klar werden sollte, dass Cannes sich des Problems fehlender Regisseurinnen im Programm sehr wohl bewusst ist. Dumm nur: Diese wichtige Diskussion fand ausgerechnet zu einer Zeit statt, in der jeder ernstzunehmende Berichterstatter unbedingt im Kino sitzen musste - um Jodie Fosters Film zu sehen.

Die nächsten Stars wird nun, an diesem Samstagabend, Steven Spielberg mit seiner Roald-Dahl-Kinderbuchverfilmung "The Big Friendly Giant" ("Sophiechen und der Riese") auf den roten Teppich bringen, am Sonntag folgen Russell Crowe, Ryan Gosling und Kim Basinger mit "The Nice Guys", Shane Blacks Sprücheklopfer-Fest im Los Angeles der Siebzigerjahre.

Um die Goldene Palme konkurrieren diese beiden Werke nicht, sie dienen eher der Entlastung von anstrengender Filmkunst. Ernst wird es dann noch einmal zum zweiten Wochenende hin, wenn es wieder ein Gedränge der Stars gibt - mit Sean Penn, seiner Ex-Freundin Charlize Theron, Javier Bardem, Keanu Reeves und nicht zuletzt Isabelle Huppert.

Cannes - aus Teenagerperspektive nur eine rätselhafte Nostalgieveranstaltung

Zum Schluss aber muss man sich noch kurz klarmachen, dass all diese Namen und Ereignisse einer zu Ende gehenden Zeit angehören. Aus der Perspektive des medial vernetzten Weltteenagertums findet das alles nicht mehr statt, und wenn, dann als rätselhafte Nostalgieveranstaltung der Eltern.

Bei sehr, sehr vielen jungen Menschen ist Cannes in diesen Tagen nur aus einem einzigen Grund auf dem Radar aufgetaucht - weil eine 20-jährige Amerikanerin namens Kendall Jenner auch da war. Zusammen mit ihrer Schwester Kylie ist sie von einer Nebenfigur des Reality-Spektakels "Keeping Up With The Kardashians" in kürzester Zeit zur Multimillionärin und Stilgöttin vieler Mädchen und jungen Frauen aufgestiegen. Ihre Instagram-Fotos zeigen dann auch glasklar, worum es in Cannes 2016 wirklich ging - als Werbeträgerin des Unilever-Konzerns einfach mal kurz ein Eis zu schlecken.

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