Doppelmord in Herne:"Mehr ging ja nicht"

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  • Marcel H. ist wegen Mordes an einem Neunjährigen und einem 22-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
  • Das Landgericht Bochum stellte die besondere Schwere der Schuld fest und behielt sich eine Sicherungsverwahrung vor.
  • Laut seinem Verteidiger werde Marcel H. das Urteil "nach Lage der Dinge wohl annehmen".

Von Christian Wernicke, Bochum

Marcel H. reagiert, wie er es immer getan hat in diesem Prozess: Er tut so, als ginge ihn dieser Prozess nichts an. Stoisch starrt der 20-jährige Angeklagte auf die Holzwand des Gerichtssaals, als Richter Stefan Culemann am Mittwoch flüsternd sein Urteil fällt: lebenslang, die Höchststrafe. Marcel H., der im März vorigen Jahres in Herne zwei Menschen erstochen hat, wird in die sozialtherapeutische Abteilung eines Gefängnisses eingewiesen. Viel Hoffnung, dass der Doppelmörder sich dort zu einem anderen Menschen entwickeln wird, hat der Richter offenbar nicht: Das Gericht verurteilt den Heranwachsenden nach dem für Erwachsene geltenden Strafrecht - und ordnet an, vor einer Freilassung in frühestens 20 Jahren eine Sicherungsverwahrung zu prüfen.

Knappe zehn Minuten dauert die Urteilsverkündung. Richter Culemann verzichtet darauf, die widerwärtigen Taten noch einmal detailliert zu schildern. Der Fall hat genügend Schlagzeilen produziert, weltweit. Denn Marcel H. hatte sich damals per Whatsapp-Nachrichten und in einem Forum des Internetportals 4chan seiner Taten gebrüstet und Hohn über seine beiden Opfer ("der Hosenpisser", "die Bestie") verbreitet. Zudem hatte er Selfies mit den Leichen im Hintergrund im Internet gepostet.

Herne
:Marcel H. muss wegen Doppelmordes von Herne lebenslang in Haft

Er tötete ein Kind, verschickte Bilder vom Tatort und ermordete dann einen früheren Schulfreund. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest.

Der Tathergang ist spätestens seit Prozessbeginn im September geklärt: Am frühen Abend des 6. März hatte Marcel H. unter einem Vorwand den neunjährigen Nachbarsjungen Jaden F. in den Keller seiner elterlichen Wohnung gelockt und mit 58 Messerstichen massakriert. 14 Stunden später tötete er seinen Schulfreund Christopher W., in dessen Wohnung er flüchtete, mit 62 Messerstichen. Drei Tage währte die Fahndung nach dem Mörder. Aus Angst vor weiteren Morden verboten die Behörden Kitas und Grundschulen, Kinder in den Pausen ins Freie zu lassen. Marcel gab am Abend des 9. März auf und stellte sich - offenbar getrieben von der Angst vor einer Rockergang, die Jagd auf ihn machte - in einem Grillimbiss der Polizei.

Der Angeklagte tut so, als ginge ihn dieser Prozess nichts an. So hat er immer reagiert

Jeanette R., die Mutter des ermordeten Jaden, sieht das Urteil vom Mittwoch "als eine Chance, die Dinge neu zu ordnen". Die Frau wirkt gefasst, gibt sich "erleichtert und zufrieden" über die Höchststrafe: "Mehr ging ja nicht." Michael Emde, der Anwalt von Marcel H., sieht das anders. Der Verteidiger wollte eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht erwirken. Emde würde deshalb in Revision gehen. Nur, sein Mandant wolle "das Urteil nach Lage der Dinge wohl annehmen. Darüber wird er jetzt noch ein paar Nächte schlafen."

Vor zwei Wochen hatten zwei Gutachterinnen den Angeklagten für voll schuldfähig erklärt. Der damals 19-jährige Mörder habe "zur Tatzeit nicht mehr einem Jugendlichen gleichgestanden". Marcel H. selbst hatte, während er sich im März 2017 drei Tage lang in der Wohnung seines zweiten Opfers versteckte, in einem Post auf 4chan eine Art Selbstdiagnose verbreitet: "Ich bin nicht irre! Ich habe nur meine menschliche Hülle abgelegt."

Marcel H. hat seine Taten nie bestritten. Polizisten, Kripo-Beamte oder Mediziner - wer immer nach seiner Verhaftung Kontakt mit ihm hatte, der schilderte später als Zeuge vor Gericht entsetzt, wie "detailfreudig" und "fast pedantisch" H. seine Taten beschrieben habe. Der schmächtige Mann, 1,67 Meter klein und 58 Kilo leicht, hockte derweil ungerührt auf der Anklagebank des Bochumer Landgerichts, starrte auf seine Hände oder blätterte in Akten. Und schwieg. Auch auf sein Recht, seine Richter mit einem "letzten Wort" zu beeinflussen, verzichtete er vorige Woche.

Zuvor hatte Staatsanwalt Danyal Maibaum, gestützt auf die Gutachterinnen, die Höchststrafe verlangt: Lebenslange Haft nach Erwachsenen-Strafrecht, dazu die Forderung, das Gericht solle angesichts der "besonderen Schwere der Schuld" schon jetzt die Möglichkeit festschreiben, H. nach Verbüßung seiner Haft in die Sicherungsverwahrung zu halten. Genau das entschied nun auch das Gericht, denn H. habe noch in der U-Haft neue Mordfantasien offenbart und bleibe "gefährlich".

Wie unbegreiflich Staatsanwalt Maibaum die Morde auch nach fünfmonatiger Verhandlungsdauer geblieben sind, ließ er vorige Woche im Plädoyer durchblicken. Er unterstellte dem Angeklagten mehrere Motive: "Unzufriedenheit über das eigene Leben, Macht- und Größenfantasien" sowie "die Befriedigung des eigenen Sadismus und Angeberei." Die Schwester von H. hatte ausgesagt, bei einem Besuch in der JVA habe ihr Bruder geschwärmt, dass er nun auf 4Chan berühmt sei: "Ich habe ihn nie so stolz gesehen."

"Er saß doch nur vorm Computer, spielte Ballerspiele", sagte sein Verteidiger Michael Emde

Vergeblich hatte H.s Verteidiger Emde versucht, ein Urteil nach Jugendstrafrecht zu erreichen. Sein Mandant, so der Anwalt in seinem Plädoyer vorige Woche, weise "Reifeverzögerungen" auf. Emde verwies auf Zeugenaussagen früherer Mitschüler und Lehrer, die H. immer wieder als intelligenten wie arroganten, auf sich selbst bezogenen Einzelgänger beschrieben hatten. Richter Culemann attestierte ihm am Mittwoch "Narzissmus". Nur im Internet und beim Training japanischer Schwertkämpfe im Garten hatte H. Lebensfreude offenbart. "Er saß doch nur vorm Computer, spielte Ballerspiele", sagte Emde, "und wenn er rausging, dann hat er mit einem Holzschwert auf Bäume eingehauen."

Anzeichen von Reue hat Marcel H. im Prozess nie gezeigt. Dass der Täter langsam begreift, welches Leid er auch den Müttern seiner Opfer zugefügt hat, deutet ein Brief aus der U-Haft an. Ihm sei inzwischen bewusst geworden, so schrieb H. an die eigene Mutter, er habe "einen Schaden" angerichtet. Darunter stand: "Dein ratloser Sohn Marcel".

© SZ vom 01.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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