DNA-Fund neben Peggys Skelett:Böhnhardt und der Fall Bernd B.

NSU - Böhnhardt und Zschäpe

Uwe Böhnhardt beging 2011 Suizid - Beate Zschäpe steht seit 2013 in München vor Gericht. (Archivbild aus dem Jahr 2004)

(Foto: dpa)
  • Im Jahr 2001 verschwindet die achtjährige Peggy aus dem bayerischen Lichtenberg. Im Sommer 2016 wird ihr Skelett in Thüringen gefunden.
  • An einem Stofffetzen neben dem Skelett befindet sich, wie nun herauskommt, die DNA des toten NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt.
  • Böhnhardt wurde 1993 schon im Zusammenhang mit dem Mord an einem Neunjährigen aus Jena befragt.
  • Beweise, dass er das Kind getötet hat, gibt es bislang nicht.

Von Felicitas Kock

Wenn jetzt über eine mögliche Verbindung zwischen dem Mord an der kleinen Peggy und dem NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt spekuliert wird, dann fällt schnell ein weiterer Name: Bernd B. Der Junge war gerade neun Jahre alt, als er in den Neunzigerjahren in Jena getötet wurde. Und schon damals geriet Böhnhardt vorübergehend ins Visier der Ermittler. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow will die Akten nun neu prüfen lassen. Man müsse aufgrund der aktuellen Entwicklung "alles viel, viel gründlicher betrachten".

Der Mord an Bernd B. gibt den Ermittlern seit 23 Jahren Rätsel auf. Seit seine Leiche am 18. Juli 1993 am Ufer der Saale gefunden wurde.

Bernd B. wächst in Jena auf. Er ist neun Jahre alt, als er eines Mittags nicht nach Hause kommt, vermutlich, weil er Stress in der Schule hat. Seinen Schulranzen stellt er noch vor der elterlichen Wohnungstür ab, dann macht er sich auf den Weg in die Jenaer Innenstadt. Dort wird er von einem Nachbarskind gesehen. Auf dessen Aufforderung, mit nach Hause zu kommen, reagiert er abweisend.

Stattdessen fährt er am Abend - die Eltern haben mittlerweile eine Vermisstenmeldung bei der Polizei aufgegeben - mit dem Bus ins sieben Kilometer entfernte Lobeda. Dort wohnen die Großeltern. Ein älteres Ehepaar kommt mit dem Jungen ins Gespräch, sie steigen gemeinsam aus, dann verabschiedet sich Bernd und geht allein weiter. Die Polizei kann später feststellen, dass er wohl tatsächlich zur Wohnung seiner Großeltern lief, dort jedoch niemanden vorfand, da die Großeltern verreist waren. Wie lange der Junge dann noch in dem Wohnviertel blieb, wann und wo er auf seinen Mörder traf, ist vollkommen unklar.

Wenige Meter neben der Leiche liegt ein Außenbordmotor

Zwölf Tage später finden ein paar Kinder ganz in der Nähe, im Uferbereich der Saale, unter Büschen versteckt seine Leiche. In Medienberichten ist von sexuellem Missbrauch die Rede. Eine Bestätigung dafür gibt es jedoch nicht, die Ermittler wollen kein Täterwissen preisgeben.

Wenige Meter von der Leiche entfernt findet die Polizei einen Außenbordmotor. Eine Anwohnerin ist sich sicher, dass er erst seit vier bis fünf Tagen dort liegt. Sie hat die Stelle von ihrer Wohnung aus im Blick.

Das Boot zum Motor bleibt verschwunden. Der Besitzer wird dagegen schnell ermittelt: Es handelt sich um Enrico T., einen damals 18 Jahre alten Kleinkriminellen aus Jena. Er streitet von Anfang an ab, etwas mit dem Mord zu tun zu haben, gibt stattdessen an, das Boot sei ihm eine Woche vor dem Verschwinden Bernd B.s gestohlen worden.

Enrico T. beschuldigt Uwe Böhnhardt

Enrico T. gehört zu einer Jugendbande, die in Jena ihr Unwesen treibt. 1993 fällt er mit seiner ersten schweren Straftat auf: Er soll versucht haben, mit einem gestohlenen Radlader die Front einer Bankfiliale zu durchbrechen.

Zu T.s Clique gehört auch der zwei Jahre jüngere Uwe Böhnhardt. Die beiden haben die gleiche Schule besucht, sind bei ihren Diebeszügen gelegentlich gemeinsam unterwegs. Böhnhardt hat zu diesem Zeitpunkt bereits eine Gefängnisstrafe hinter sich. Im Februar 1993 wurde er wegen Diebstahls und Körperverletzung zu vier Monaten Haft verurteilt. Wenige Wochen vor dem Verschwinden Bernd B.s kommt er frei.

Sowohl Enrico T. als auch Uwe Böhnhardt werden nach dem Mord an dem Jungen als Zeugen befragt. Beweise, dass sie etwas mit der Tat zu tun haben, gibt es nicht. Gegen einen anderen Verdächtigen eröffnet die Staatsanwaltschaft später ein Ermittlungsverfahren. 2006 wird es aus Mangel an Beweisen eingestellt. Ob dieser Tatverdächtige ebenfalls aus dem Umkreis T.s und Böhnhardts stammte, will die Staatsanwaltschaft Gera auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht beantworten.

Neue Methoden, neue Ermittlungen

Jahrelang hört die Öffentlichkeit nichts mehr vom Fall Bernd B. - bis Enrico T. im Zusammenhang mit den NSU-Morden vom Bundeskriminalamt verhört wird. Uwe Böhnhardt und sein NSU-Komplize Uwe Mundlos sind zu dem Zeitpunkt bereits tot. Beate Zschäpe steht in München vor Gericht. Enrico T. soll geholfen haben, die Mordwaffe des NSU-Trios zu besorgen. Im Verhör mit den BKA-Beamten weist er jegliche Schuld von sich. Am Ende will er seiner Aussage aber noch etwas hinzufügen - zum Fall Bernd B.

Enrico T. beschuldigt Uwe Böhnhardt, den Mord begangen zu haben. Er selbst, sagt T., habe sein Boot damals genutzt, um Diebesgut zu einem Versteck an einem Brückenpfeiler in der Saale zu fahren. Nur Böhnhardt habe von dem Boot gewusst. Sie seien häufiger gemeinsam damit unterwegs gewesen, bis die Freundschaft zerbrach, weil Böhnhardt Teile des Diebesguts vom Brückenpfeiler habe klauen wollen. Enrico T. behauptet, durch das Ablegen des Außenbordmotors habe Böhnhardt ihm den Mord an dem Neunjährigen anhängen wollen.

Die Polizei nimmt erneut die Ermittlungen auf. Nicht nur wegen T.s Aussage, die arg erdacht klingt, sondern vor allem weil es nun verbesserte Möglichkeiten gibt, um Spuren auszuwerten.

Die Ermittler bleiben erfolglos: Im Juni 2014 teilt die Staatsanwaltschaft Gera mit, weder Enrico T. noch Uwe Böhnhardt kämen "nach aktuellem Stand" als Täter in Betracht. Es gebe keine neue Spur, man ermittle gegen Unbekannt. Auch der Sprecher des Generalbundesanwalts bestätigt, es gebe keine "zureichenden Anhaltspunkte", den Mord mit Böhnhardt in Verbindung zu bringen.

Nun scheint der Fund der DNA von Böhnhardt beim Skelett der 2001 verschwundenen Peggy wieder Bewegung in den Fall Bernd B. zu bringen. Ob es tatsächlich einen Zusammenhang gibt, bleibt jedoch fraglich. Der Geraer Oberstaatsanwalt Steffen Flieger klingt am Telefon skeptisch. "Sämtliche Spurenträger sind bereits auf DNA von Herrn Böhnhardt überprüft worden", sagt er, "ohne Erfolg". Da Mordakten nie ganz geschlossen werden, würde aber ohnehin weiter ermittelt. Gegen Unbekannt.

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