Anschlag auf die Pressefreiheit:Sie werden nicht durchkommen

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"Je suis Charlie" - auch in Madrid: Weltweit bekunden die Menschen ihre Solidarität mit Charlie Hebdo und den Franzosen. (Foto: Getty Images)

Die Freiheit der Presse ist fast allen autoritär denkenden Menschen und Organisationen widerwärtig. Die Attentäter von Paris wollten die Zeitung "Charlie Hebdo" totmachen, um sie mundtot zu machen. Sie dürfen und werden keinen Erfolg haben.

Kommentar von Kurt Kister

Jene, die mit der Kalaschnikow argumentieren, können Menschen töten, aber nicht die Ideale dieser Menschen. Der Mordanschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo ist eine schreckliche Tragödie, ausgelöst von Verbrechern, die sich, um ein einziges Mal in ihren irrationalen Kategorien zu denken, mit ihrer Bluttat selbst der ewigen Verdammnis überantwortet haben.

Der Allmächtige, sollte er denn irgendwie existieren, braucht keine solchen Rächer aus der Gosse. Wer von sich selbst sagt, er tue Gottes Werk durch gewalttätiges Reden oder wirkliche Gewalt, der handelt gegen Gott und ohne Moral. Die Mörder sind Feinde Gottes und der Menschen.

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Von Claudia Tieschky

Die Attentäter von Paris haben auf blutige Weise gezeigt, was Fundamentalisten jeder Couleur am meisten fürchten und deswegen hassen: die Freiheit. Es hat in jenem Teil der Welt, der heute simplifizierend der Westen genannt wird, lange gedauert, bis sich im Prozess der Aufklärung der Grundgedanke Bahn gebrochen hat, dass jeder Mensch grundlegende Rechte hat, ohne die er nicht Mensch sein kann.

Dazu gehören nicht nur das Recht auf Leben und freie Entfaltung sowie, so hat es Thomas Jefferson formuliert, das Streben nach Glück. Entscheidend für das Sein jedes Einzelnen ist die Freiheit des Denkens und Aussprechens nebst deren Schwester, der Pressefreiheit.

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Warum die Anti-Aufklärer die Presse so hassen

Bei leider zu vielen in der nicht-westlichen Welt zählen die Werte der Aufklärung wenig; die individuelle Freiheit gilt ihnen nicht als konstitutive Bedingung des Menschseins.

Von Marokko bis Iran, von den Pariser Banlieues bis in die Vorstädte Bostons finden sich jene, die sich der einen Wahrheit so sehr unterwerfen, dass sie Zweifel für beleidigende Ketzerei und andere Wahrheiten im schlimmsten Fall für ein todeswürdiges Verbrechen halten. In Form von al-Qaida oder dem Islamischen Staat haben sich die Fanatiker, die Anti-Aufklärer und gewalttätigen Irrationalisten gefährlich zahlreich organisiert.

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Auch im Westen gibt es immer mehr Leute, die sich von den Idealen der Aufklärung entfernen. Das sich viral verbreitende Gepöbel ist ebenso Ausdruck dafür wie die Vorstellung, von dunklen Mächten ("das System") beherrscht zu werden. Immerhin, die westlichen Anti-Aufklärer schießen nicht, sie brüllen nur.

Gerade die Deutschen haben noch vor drei Generationen im Namen einer irrationalen Ersatzreligion unerhörte Verbrechen begangen. Auch deswegen ist es so bedenklich, wenn hierzulande eine frustrierte Minderheit, zum Teil im Jargon der Hetzer von damals, gegen Meinungsfreiheit und Toleranz losbollert.

Das Attentat von Paris war der Versuch, die Freiheit der Vernunft und die Vernunft der Freiheit durch Rache und Terror zu ersticken. Die Mörder wollten eine Zeitung totmachen, um sie mundtot zu machen. Sie dürfen und sie werden damit keinen Erfolg haben.

Auch und gerade in einem Zeitalter, in dem Öffentlichkeit durch das Internet unbegrenzt zu sein scheint, haben Zeitungen, Magazine und Sender eine ganz besondere Bedeutung. Sie repräsentieren mit all ihren Schwächen und Stärken jenes Freiheitsrecht, das sich im deutschen Grundgesetz im Artikel 5 manifestiert.

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Von Carolin Gasteiger

Die Freiheit der Presse ist fast allen autoritär denkenden Menschen und Organisationen widerwärtig. Also ist der Grad der Pressefreiheit auch ein sehr gutes Maß für das Wohlergehen von Demokratie und Freiheit in einem Staat.

Putschisten, Zentralkomitees und Hasskappen schurigeln, bedrohen und attackieren schnell, aber auch nachhaltig Redakteure, Blogger und Reporter. Manchmal nimmt dieser Hass mörderische Formen an: Die Pariser Verbrecher wollten Charlie Hebdo gezielt, aber auch stellvertretend für die westliche Presse vernichten.

Auch wir sind "Charlie Hebdo"

In Kanada, Großbritannien, Belgien oder Australien haben Gegen-Aufklärer in jüngerer Zeit individuelle Terrorakte verübt und dabei wahllos getötet. Das Pariser Massaker war anders. Es richtete sich gegen bestimmte Menschen einer bestimmten Profession, die auf oft provozierende Weise wöchentlich Freiheit neu definiert haben. Es sollte in jenem Land, von dem einst die Aufklärung entscheidend ausging, Liberté, Égalité, Fraternité zerstören oder wenigstens beschädigen.

Ein persönliches Wort zum Schluss: Die Süddeutsche Zeitung ist anders als Charlie Hebdo - und dennoch sind auch wir Charlie Hebdo. Wir wissen uns mit sehr vielen Zeitungen und enorm vielen Lesern in Deutschland, Europa und sonstwo in der Welt einig darin, dass wir alle nur leben können, wenn wir gemeinsam das großartige Recht auf die Freiheit der Meinung verteidigen. Es ist unter Beschuss von Fanatikern und wird bedroht von Eiferern aller Art. Dennoch: On ne passe pas, sie werden nicht durchkommen.

© SZ vom 09.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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