Wohnungsbau:Plan für neues Wohngebiet zieht Spekulanten an

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Im Münchner Nordosten soll ein neues Wohngebiet entstehen. Das zieht Spekulanten an. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)
  • Im Münchner Nordosten zwischen Daglfing und Johanneskirchen soll ein neuer Stadtteil mit 15 000 Wohnungen entstehen.
  • Das soll die Wohnungsnot lindern, befördert aber auch Bodenspekulationen.

Von Ulrike Steinbacher

Die Sache funktioniert ein bisschen wie Roulette: Der Spieler setzt und wartet, die Kugel rollt. Nur ist das Spielfeld in diesem Fall ein fast 600 Hektar großes Gebiet im Nordosten des Stadtbezirks Bogenhausen, und es kann schon 30 Jahre dauern, bis ein Gewinn hereinkommt. Doch das Casino ist eröffnet, und betrieben wird es - wenn auch völlig unfreiwillig - ausgerechnet von der Stadt München. Ihr Bemühen, die Wohnungsnot mit der Planung eines großen neuen Stadtteils zu lindern, lockt Spekulanten an. Deren Tun ist nicht illegal, aber es vergiftet die Atmosphäre. Der Verlierer steht schon fest: Es wird die Allgemeinheit sein.

Begonnen hat das Spiel im Herbst 2011. Damals kündigte Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) an, die unbebauten Flächen zwischen Daglfing und Johanneskirchen zum Untersuchungsgebiet für die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) Nordost zu machen. Ein neuer Stadtteil soll dort entstehen mit 15 000 Wohnungen und 10 000 Arbeitsplätzen. Wo dort einmal gebaut wird, ist offen, seit vier Jahren laufen die Voruntersuchungen.

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Teilflächen in diesem Gebiet haben in den vergangenen Jahren mehrmals den Eigentümer gewechselt - mit extrem steigenden Preisen. Das geht aus der Entwicklung der offiziellen Bodenrichtwerte von 2012 bis 2016 hervor. Sie erhöhten sich in dieser Zeit massiv für manche Areale, die im SEM-Untersuchungsgebiet liegen und an bestehende Bebauung grenzen.

Eine landwirtschaftliche Fläche etwa, die 2012 mit zehn Euro pro Quadratmeter in der Richtwertkarte stand, wurde 2014 als Freizeitfläche eingestuft - Richtwert: 150 Euro. Weitere zwei Jahre später tauchte sie mit 330 Euro auf. Ein Plus von 3200 Prozent in nur vier Jahren. Ähnlich krass die Entwicklung einer Kleingartenfläche: Sie hatte 2012 einen Richtwert von 20 Euro pro Quadratmeter, war 2014 mit 280 Euro verzeichnet und stand in der Richtwert-Karte von 2016 mit 600 Euro pro Quadratmeter.

Es wird also offenbar eifrig spekuliert. Und dass das Gebiet im Nordosten für Immobilienkäufer derart attraktiv ist, steht im Widerspruch zur Einschätzung der Stadt, dass eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme genau das richtige Instrument ist, um Bodenspekulation zu verhindern. Nach gängiger Lesart wurden mit Ausrufung der SEM im Herbst 2011 die Bodenpreise eingefroren.

Das stimmt zwar grundsätzlich. Aber es gilt nicht für die 600 Hektar Untersuchungsgebiet insgesamt, sondern nur für diejenigen Areale, die am Ende tatsächlich auch zu SEM-Flächen werden. Die nämlich muss der Eigentümer dann an die Stadt verkaufen - und zwar in etwa zu dem Preis, der 2011 gegolten hat. Welche Flächen das sind, entscheidet der Stadtrat, wenn die Voruntersuchungen beendet sind. Momentan wird ein Beschluss für 2020 erwartet.

Gewinnchancen für Zocker

Für Zocker liegt genau da die Gewinnchance: Entweder sie setzen darauf, dass die Stadt das SEM-Projekt wieder abbläst, was durchaus möglich ist. Oder dass die Flächen, die sie kaufen, am Ende gerade nicht im SEM-Gebiet liegen - derzeit werden drei Bebauungsvarianten diskutiert. In beiden Fällen müssen die Zocker ihren Grund dann nicht zu einem niedrigen Preis an die Stadt verkaufen, sondern können warten. Und Gewinn machen sie, wenn ihre Grundstücke viel später auf einem anderen Weg in Bauland umgewandelt werden.

Eine SEM auszurufen, ist eine der wenigen Möglichkeiten der öffentlichen Hand, Bodenspekulationen entgegenzutreten. Zumindest so lange es auf Bundesebene keine Reform des Bodenrechts gibt, wie es inzwischen immer mehr Politiker und Aktivisten fordern. In Bogenhausen zeigt sich aber das Paradoxon, dass eine SEM in manchen Fällen auch erst Spekulation anheizt - weil die Stadt so ein Signal setzt, wo in München sie Potenzial für Wohnungsbau sieht.

"Es werden Flächen gekauft", sagt Stadtbaurätin Elisabeth Merk, "da würde ich sagen, es gibt auch in 30 Jahren noch kein Baurecht". Dennoch sei ein solcher Immobilienkauf für manche Investoren "geldanlagentechnisch" offenbar interessant. Spekulation zu verhindern, sagt die Stadtbaurätin, sei schwierig auf dem überhitzten Münchner Immobilienmarkt, auch angesichts der Finanzkrise samt ihrer Folgen.

Dem baurechtlichen Instrument SEM traut sie aber zu, zumindest ein Gegengewicht zu bilden: Die Stadt versuche damit, ihre Pläne "möglichst transparent" darzulegen und alle Eigentümer gleich zu behandeln. Enteignungen, wie oft befürchtet, werde es nicht geben: "Die Stadt macht das nicht, weil sie den Eigentümern die Grundstücke abjagen will." Es gehe vielmehr darum, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Und 60 Prozent der Kosten eines Neubaus entfielen im Schnitt auf den Kauf des Grundstücks.

Doch der Eindruck einer Enteignung durch die SEM hat sich bei eingesessenen Grundstückseigentümern aus Bogenhausen festgesetzt - wie auch beim zweiten aktuellen Gebiet rund um Feldmoching. Sie fühlen sich durch die von der Stadt festgeschriebenen Bodenpreise geknebelt, während Dritte mit strategisch gekauften Grundstücken absahnen können.

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© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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