Untergiesing:Kiosk im Schyrenbad: Pommes-Duft und Chlor-Aroma

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Seit 32 Jahren arbeitet Renate Seuß am Kiosk im Schyrenbad. (Foto: Robert Haas)

Renate Seuß liebt die Zeit, in der sich die Freibadklassiker im Akkord verkaufen. Doch mit Badeurlaub kann sie nichts anfangen.

Von Inga Rahmsdorf, München

An einem sonnigen Tag Anfang Mai saß Renate Seuß auf ihrem Balkon und hat sich komisch gefühlt. Irgendwie fehl am Platz. Denn eigentlich ist sie nie zu Hause, wenn das Wetter schön ist, sondern immer in ihrem Kiosk im Schyrenbad. Aber die Münchner Freibadsaison hat in diesem Jahr etwas verspätet begonnen.

Seit 32 Jahren verkauft Seuß in dem Freibad-Kiosk Pommes, Würstchen und Eis. Mit Blick auf die Wasserflächen und die grünen Liegewiesen, auf denen sich die Badegäste bei schönem Wetter drängen. Und eigentlich freut sich die 64-Jährige schon den ganzen Winter über wieder auf die nächste Saison, auf ihre Stammkunden, darauf, im April die Lieferanten anzurufen und auf die Wiener Würstchen, die sie nur während der Sommersaison in ihrem Kiosk isst.

Renate Seuß arbeitet immer dann, wenn das Wetter richtig schön ist, wenn andere Urlaub machen, sich ins Freibad legen oder in der Sonne braten. Dann brutzelt sie Pommes und verkauft Eis, Kaffee und Bier an gut gelaunte Menschen in Badehosen. Sie hat zwar, je nachdem wie warm es ist, bis zu sieben Mitarbeiter im Kiosk, doch die Chefin selbst ist immer dabei.

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Trotzdem sehnt sich Seuß nie auf die andere Seite ihres Verkaufstresens, in einen Liegestuhl oder danach, im Schwimmbecken zu planschen. Und ans Aufhören denkt die 64-Jährige auch nach mehr als drei Jahrzehnten nicht. Solange ihre Gesundheit es zulasse, solange werde sie den Kiosk weiterführen, sagt sie entschlossen.

Die ersten zwei Wochen schmerzen die Füße noch

Die ersten zwei Wochen schmerzen die Füße noch, aber dann geht das vorbei. Und auch wenn es richtig heiß und voll ist, und die Gäste sich vor der Ausgabe drängen, ist das für Seuß kein Stress. "Dann freue ich mich, dass so viel los ist", sagt sie. Zudem habe sie eine super Truppe im Kiosk, viel Unterstützung von der Familie. "Und immer dieser schöne Blick." Seuß könnte sich nicht vorstellen, in einem Kiosk in einem U-Bahn-Untergeschoss zu stehen.

Während mancher Schwimmbadkiosk längst vegane Wraps, handwerklich gebraute Bio-Limonaden, Salate und gratinierten Chicorée anbietet, findet man bei Seuß immer noch alles, was ein klassischer Freibadausflug braucht. Das Angebot hat sich in den drei Jahrzehnten kaum verändert. Für 50 Cent gibt es eine trockene Münchner Bierbrezn, die sich ewig hält. Oder eine Schaumwaffel mit hellrosa und weißer Füllung. "Die kaufen vor allem die Stammdamen", sagt Seuß.

Das Schyrenbad eröffnete 1847 und ist damit das älteste Bad Münchens. (Foto: Robert Haas)

"Sie erzählen dann, dass sie sich schon den ganzen Winter auf die Schyrenbadwaffeln mit Kaffee gefreut haben." Nur die Eissorten wechseln ab und an. Ansonsten bleiben die Bestseller: Pommes, Würstchen und Eis. Es geht schließlich nichts über eine knusprige Pommes in Ketchup getunkt, mit dem unverkennbaren Aroma von Chlorwasser. Dazu Spezi, Zitronen-Limo, Radler. Und natürlich: Wo Wasser ist, gibt es auch Fisch, die Fischsemmeln. Sogar eine Flasche Sekt kann man im Bikini an den Biertischen unter Sonnenschirmen genießen.

Die tägliche Wettervorhersage entscheidet darüber, ob und wie viele Semmeln und Pommes Seuß abends für den nächsten Tag bestellt. Wenn sich der Himmel morgens nicht eindeutig lesen lässt, ruft sie bei den Damen an der Kasse an und fragt, wie viele Gäste im Bad sind. Im Laufe des Nachmittags kommt meist der Badeleiter am Kiosk vorbei, um Bescheid zu geben, ob das Bad heute um 18 oder 20 Uhr schließt. Seuß weiß noch genau, wie viele schöne Wochenenden es im Sommer 2015 gab, und wie das Wetter 2014 war - die schlechteste Saison seit langer Zeit.

Seuß ist mit ihren Stammkunden älter geworden

In allen Münchner Freibädern gibt es Kioske. Die Stadtwerke München betreiben sie nicht selbst, sondern verpachten sie. Leer steht derzeit keiner. Es war Zufall, dass Seuß 1984 den Kiosk im Schyrenbad übernahm. Sie hatte einmal eine Ausbildung im Hotelfachwesen gemacht und in England, der Schweiz und in Frankfurt gearbeitet, bevor es die gebürtige Wiesbadenerin 1979 nach München verschlug.

Im Schyrenbad war sie nur ein einziges Mal gewesen, bevor sie den Kiosk übernahm, und es hatte ihr eigentlich nicht besonders gut gefallen, viel zu voll das Schwimmbecken. Mittlerweile kann sie sich ein Leben ohne ihre Kunden und das Schyrenbad nicht mehr vorstellen.

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Es gibt viele Stammgäste, die bei schönem Wetter täglich kommen, weil sie zu Hause keinen Balkon oder Garten haben. Seuß kennt viele seit Jahren oder Jahrzehnten. Wenn sie morgens um kurz nach neun aufschließt, weiß sie auch nach einem langen Winter, dass der erste Herr seinen Kaffee ohne Milch und mit zwei Stück Zucker trinkt, der zweite Badegast, der kommt, eine Weinschorle bestellt, und die Dame immer eine Leberkässemmel wünscht.

"Ich bin gemeinsam mit meinen Stammgästen älter geworden", sagt Seuß und lacht. Manche Eltern, die mit Kindern kommen, erzählen ihnen, dass sie selbst hier früher schon Eis und Pommes gekauft haben. "Die Halbwüchsigen weichen irgendwann auf die Spaßbäder auf. Aber sobald sie älter werden und ihre eigene Familie gründen, kommen sie wieder zurück ins Schyrenbad", sagt Seuß. "99 Prozent meiner Gäste sind nett."

Seuß war selbst nie Freibadgängerin. Bis heute kann sie mit Strandurlauben nicht viel anfangen. Wenn sie den Kiosk im Herbst schließt, fährt sie mit ihrem Mann in den Urlaub, aber nie zum Baden, immer auf Städtereise. Beim letzten Mal haben sie noch drei Tage Strandurlaub drangehängt. Am zweiten Tag hat Seuß sich gelangweilt.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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