Serie:Der Kiosk, der die Farbe wechselt

Serie: Am Anfang gab es sogar Proteste der Schwabinger gegen den neuen Kiosk, der Ende 2014 öffnete.

Am Anfang gab es sogar Proteste der Schwabinger gegen den neuen Kiosk, der Ende 2014 öffnete.

(Foto: privat)

Gegen den Kiosk an der Münchner Freiheit gab es sogar eine Unterschriftenaktion. Aber nun sind viele froh, dass er da ist.

Von Laura Kaufmann

Alexander Vesely kennt alle Tricks, die Minderjährige vorführen, um an Zigaretten zu kommen. Da ist die Fraktion, die selbstbewusst-lässig mit der Zigarette im Mundwinkel zum Fenster spaziert. Die hektisch-in-der-Handtasche-Wühler, "hier muss doch irgendwo mein Ausweis sein?!" Die gefälschten Ausweise aus dem Internet, die Ausweise von der großen Schwester. Was Alex Vesely schon unter die Nase gehalten wurde, wenn er in dem leuchtenden Würfel an der Münchner Freiheit steht, ist abenteuerlich. Und genau das liebt der Inhaber eines Feinkostgeschäfts am Dasein als Kioskbetreiber.

Der "Kiosk im Deubl Glass Cube", wie der offizielle Name des leuchtenden Kubus' lautet, hat Ende 2014 eröffnet, er ist sozusagen der Neue in der Münchner Kiosklandschaft. Modern sieht er auch aus, dieser Kubus, der in allen Farben leuchten kann: Meist tut er das in Grün; in Rot, wenn der FC Bayern gewinnt, in Blau, wenn Sechzig gewinnt - "also etwas seltener", sagt Vesely, oder all das im Wechsel. Und der leuchtende Kiosk hat ein Alleinstellungsmerkmal, das sich Vesely und sein Partner Matthias Kehr einiges an Gebühren kosten lassen: Er hat 24 Stunden geöffnet, rund um die Uhr, ob nun Weihnachten ist oder Wiesn-Anstich.

So können sie schon die ersten U-Bahn fahrenden Pendler mit Butterbrezen versorgen. Und diese Butterbrezen kommen nicht von irgendwo her, sondern aus dem "Gaumenspiel", dem Feinkostladen mit Restaurant, den Vesely und Kehr in Altschwabing betreiben. Außerdem gibt es Wraps und Sandwiches und demnächst eine Hot-Dog-Maschine mit Karussell, die extra aus den USA geliefert wird; die Hotdogs werden mit einer Sauce von Veronique Witzigmann serviert, "so viel Schwabing muss schon sein", sagt Vesely.

Überhaupt, Schwabing. Der Platz an der Münchner Freiheit hat sich verändert, seit der Kubus in die Nacht leuchtet. "Viele Mädels erzählen mir, dass sie sich jetzt sicherer fühlen, wenn sie nachts auf den Bus warten", sagt Vesely. Nicht, dass der Platz so schrecklich gruselig gewesen wäre, aber es ist schon netter, wenn man weiß, dass die Jungs aus dem Würfel immer ein Auge auf den Platz haben.

Als klar wurde, dass der Kiosk gebaut werden soll, sammelten Anwohner sogar Unterschriften gegen das Projekt. Eine Schwabingerin erzählte Vesely neulich, sie hätte sich da beteiligt. Weil sie Angst hatte, auf den Platz würde eine Saufbude geklatscht werden. Und jetzt schaue sie jeden Tag vom Balkon aus auf den Würfel und freue sich, dass er da ist.

Was es alles gibt

Eine Saufbude ist der Würfel zweifelsohne nicht, auch wenn selbstverständlich Bier verkauft wird. Tegernseer, Augustiner, Giesinger, ein paar lokale Newcomer. Aber nicht besonders billig, das mit der Saufbude, "das lässt sich über den Preis regeln", sagt Vesely. Ein paar Kandidaten bekämen von Haus aus nur ein Bier am Tag. Es gibt auch: Nudeln, Tomatensoße, Salz und Dosenravioli, falls ein Schwabinger aus dem Urlaub heimkommt, nichts im Kühlschrank hat und die Supermärkte schon zu sind; Feinkost, die sich als Mitbringsel eignet, falls ein Kunde nicht mit leeren Händen auf einer Geburtstagsparty auftauchen will; dafür sind auch die Happy-Birthday-Ballons und Wunderkerzen da.

Strumpfhosen für die Damen mit Laufmaschen, Stadtpläne für die Touristen, denen sie die Frage "Wo geht's hier zum Englischen Garten?" auf Englisch, Französisch und Arabisch beantworten können, je nachdem, wer gerade Dienst hat. Zehn Leute wechseln sich mit den beiden Besitzern in dem Würfel ab. Über der Theke glitzert eine Discokugel, und wer Dienst hat, darf entscheiden, welche Musik im Laden läuft. "Wir machen unsere Scherze mit den Kunden, und wir schauen, dass die Stimmung hier locker ist", sagt Vesely. Das gehört für ihn zu dem modernen Einkaufskonzept, das sie sich für den Kiosk erdacht haben. Hier einzukaufen soll Spaß machen.

Am meisten los ist meistens zwischen 21 und zwei Uhr. Die Jüngeren holen sich ein Bier, bevor sie ins Glockenbachviertel fahren und dort weggehen. Dann kommen die Schickeren, die sich ihre Zigaretten am Kiosk holen, bevor sie in Altschwabing ausgehen. Dann, gegen zwei, halb drei, kommt der Glockenbachausflügler mit der letzten U-Bahn nach Hause. "Die kaufen typischerweise ein Wasser", sagt Vesely.

Und die, die erst mit der ersten U-Bahn heimkämen, die äßen zu dem Wasser noch alles, was in der Vitrine übrig geblieben ist. Dann mischen sich langsam die letzten Weggehgestalten mit den ersten, die früh zur Arbeit müssen, mit müden Augen Butterbreze und Kaffee bestellen. Den Straßenkehrern, die um sie herum die dreckigen Reste der Nacht entfernen, gibt Vesely den Kaffee zum Sonderpreis. "Wir sind alle Nachtarbeiter, Kollegen."

Dass der leuchtende Würfel wieder mehr Leben an die Münchner Freiheit bringt, gefällt auch den Altschwabingern, die schon die wilden Siebziger mitgemacht haben und sich jetzt nachts, wenn sie nicht schlafen können, ein dunkles Bier am Kiosk holen oder Longpapers. Vesely weiß, wie das Viertel tickt. Er und sein Partner leben schon ewig hier und betreiben ihr "Gaumenspiel" in der Haimhauserstraße. "Dort serviere ich Jakobsmuscheln und ein Glas Wein, dann gehe ich an den Kiosk und verkaufe Schnitzelsemmel und Snickers." Altschwabing wird immer schicker. Der Kiosk aber bleibt eine Anlaufstelle für alle.

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