Trauerfeier für Georg Kronawitter:So erweisen die Münchner dem Roten Schorsch die letzte Ehre

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Mit Georg Kronawitter wird ein Stück Münchner Geschichte zu Grabe getragen. Sein politisches Erbe ist aktueller denn je, wie auch Sigmar Gabriels Trauerrede zeigt.

Von Frank Müller, München

Der Alte Peter ist vielleicht Münchens schönste Kirche und er hat schon sehr viele Predigten gehört. An diesem Dienstag ist ein besonderer Tag auf dem Petersbergl, das merkt man schon vom Morgen an. Und es gibt eine ganz besondere Predigt, das zeigt sich aber erst später. Zunächst wird der Trauergottesdienst für den Ende April gestorbenen Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter gefeiert: Es ist eine von Domdekan Lorenz Wolf gestaltete, sehr münchnerische und sehr würdige Veranstaltung, die Kronawitter selbst wahrscheinlich gut gefallen hätte. Nach der Liturgie sind noch "Worte zum Gedenken" angesetzt, und da schlägt nun die Stunde von Sigmar Gabriel.

Dass Gabriel nach München zu Kronawitters letzter Ehre kommt, stand schon fest, bevor die politische Lage für den Chef der Bundes-SPD noch einmal verstärkt ungemütlich wurde. Nun steht er vorne im Alten Peter, er redet nach OB Dieter Reiter und vor Kronawitters Sohn Florian. Gabriel sagt Sätze, die zeigen, wie viel er von Kronawitter hielt.

Spricht Gabriel über Kronawitter? Ude? Sich selbst?

Zäh sei dieser gewesen. Entschlossen. Nicht abgehoben, sondern bürgernah, bescheiden. "Populär, aber eben nicht populistisch." Die SPD habe es ihm nicht immer leicht gemacht, aber er ihr auch nicht. Weil er "manche harte interne Auseinandersetzung führen musste". Weil er "alles andere war als ein verkopfter Ideologe". Redet Gabriel noch über Georg Kronawitter, den geschätzten Alt-OB? Oder über sich, den Parteichef in Bedrängnis?

Kronawitters Tod und das Nachdenken über sein Wirken haben nicht nur vielen Münchner Politikern das Gefühl gebracht, dass sein Erbe aktueller ist, als sie gedacht hatten. Der Kampf gegen die Wohnungsnot, die Balance in der Stadt, Ökologie in der Metropole, die Sorgen der kleinen Leute, denen die Luft ausgeht - das waren Kronawitters große Themen. Sein Nachnachfolger Reiter gerät ins Sinnieren, als er nach der Trauerfeier vor der Peterskirche stehen bleibt. Es sei doch erstaunlich, wie aktuell die Politikfelder des früheren OB geblieben seien, sagt Reiter.

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Gabriel jedoch geht es vor allem um Kronawitters Standfestigkeit in den zentralen Fragen des SPD-Markenkerns: für Gerechtigkeit zu sorgen in einer solidarischen Gesellschaft. Und nie die Interessen der kleinen Leute aus den Augen zu verlieren. "Für ihn war Politik für die kleinen Leute eben nichts Kleines, sondern das Größte, was man machen kann", sagt Gabriel über den Münchner Ex-OB. "Die Aufgabe, Menschlichkeit vor die Rendite zu stellen, hat nichts an Aktualität verloren." Die Menschlichkeit kommt vor der Rendite: Das ist der Slogan, mit dem Kronawitter Wahlen gewonnen hat, und zwar mit absoluter Mehrheit.

Es ist, als ob Gabriel auf seinem jetzt eingeschlagenen Weg zurück zur klassischen SPD-Politik den Münchner Kronawitter zu einer Art Leuchtturmfigur ausrufen wolle. Sein Politikstil sei es gewesen, "den Menschen eine Stimme zu geben, die keine Lobby, keinen Einfluss haben", predigt Gabriel im Alten Peter. "Sein großes Lebensthema Gerechtigkeit ist so aktuell wie selten zuvor."

So geht es Eloge um Eloge und nicht ohne Warnung, was der SPD und der Gesellschaft drohe, wenn die Politik alles dies zu kurz kommen lässt. Dann könne der "berechtigte Zorn" vieler Menschen ein Problem werden, meint Gabriel unter Anspielung auf den Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen. "Wir müssen aufpassen, dass der berechtigte Zorn nicht in die falschen Bahnen gelenkt wird."

Unter den Trauergästen sind viele, die solche Befürchtungen teilen. Vor allem natürlich sind es Münchner. Und darunter wiederum zum größten Teil Sozialdemokraten. Aber auch der langjährige Freund und Gegner CSU ist stark vertreten. Es ist im Grunde ein ganz großes Münchner Klassentreffen der etwas älteren Garde, als an diesem Dienstag mit Georg Kronawitter ein Stück Münchner Geschichte aus Tagen der Bonner Republik zu Grabe getragen wird.

Es ist bewegend zu sehen, wie Hans-Jochen Vogel am Ende zu Kronawitters Sarg tritt und sich vor seinem toten Nachfolger verbeugt. Wie Hildegard Hamm-Brücher, eine andere Münchner Ehrenbürgerin, sich am Tag vor ihrem 95. Geburtstag mit ihrem Rollator an den Sarg heranschiebt. Mit einem schlichten Bouquet tiefroter Rosen ist er geschmückt, es gibt Kränze und ein großes Bild.

Es sind die Politikmenschen da, die jeden Tag durchs Rathaus wuseln und meist unter Kronawitter schon aktiv waren: Alexander Reissl, der SPD-Fraktionschef. Hans Podiuk, sein CSU-Pendant. Natürlich Ex-OB Christian Ude, der seinem Vorgänger Kronawitter alles zu verdanken hat, weil dieser den Generationenübergang viel souveräner hinbekam als Ude selbst. Walter Zöller, der als Chef der Rathaus-CSU Kronawitters größter Gegner war. "Niemand hat so ein enges Verhältnis zu ihm gehabt wie ich", sagt Zöller. Er sagt nicht "gut". Sondern "eng".

Szenen aus der wilden Zeit spuken umher

Doch es kommen auch ganz viele zur Trauerfeier, die nicht mehr in der vordersten Reihe stehen. Peter Gauweiler, damals Münchner CSU-Chef. Führende Rathauspolitiker wie der frühere Sozialreferent Frieder Graffe und sogar Kommunalreferent Georg Welsch - ein Grünen-Politiker, der gegen Kronawitters erbitterten Widerstand mit CSU-Stimmen gewählt wurde, bevor der OB selbst auf Rot-Grün setzte.

Szenen aus der wilden politischen Münchner Zeit spuken durch viele Köpfe. Auf der anderen Seite kommt es zu einigen rührenden, eher privaten Szenen. Hinten in der Kirche, wo es nicht ganz so förmlich zugeht, steht die Laufkundschaft. Viele ältere Münchner Damen sind darunter, es ist die Generation der Münchnerinnen, die den Schorsch verehrt haben.

Sie stehen da in Sandalen, Turnschuhen, mit Jutebeuteln, manches Tränchen wird verdrückt. Kronawitters Sohn Florian hält eine Rede und erzählt vom letzten Brief Kronawitters an seine Frau: "Liebe Hildegard, deine Zuneigung und Spontaneität haben mich ein Leben lang glücklich gemacht." Und dann erzählt er noch vom allerletzten Zettel am Sterbebett, den der an Parkinson erkrankte Vater mit zittriger Schrift am Ende an die Familie schrieb: "Alles ist gut."

Dann zieht die Trauergemeinde zum Leichenschmaus ins Hofbräuhaus, und danach geht alles ganz schnell. Schon um 16 Uhr wird Kronawitter im kleinen Kreis auf dem Ostfriedhof beerdigt. Er ruht jetzt direkt neben dem populären Nachkriegs-OB Thomas Wimmer.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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