Szene München:Mit jeder neuen Bar einen Tick spießiger

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Letzter Abend in der Fraunhofer Schoppenstube: München wird immer ärmer an entspannten Lokalen. (Foto: Stephan Rumpf)

Gertis Schoppenstube, das München 72 und das Atomic Café: Die Stadt verliert gerade ihre wenigen entspannten Lokale - und wird mit fast jeder neuen Bar ein wenig langweiliger. Vielleicht sollten die Münchner mal wieder auf die Straße gehen.

Eine Kolumne von Thierry Backes

Der Münchner ist von Natur aus ein eher demonstrierunwilliger Mensch. Protest? Ja, vielleicht in einem Facebook-Kommentar oder so. Aber auf die Straße gehen? Wegen sechs Kastanien?

Um die zu schützen, hatte der Verein Green City für Mittwochabend zur Demo "Baumrecht vor Baurecht" aufgerufen. Nützen wird das natürlich nichts, so wie es auch damals nichts genutzt hat, als die Schwabinger ihre Sieben retten wollten: Die Immobilie, die an der Ecke Fraunhofer-/Erhardtstraße entsteht, ist längst genehmigt. Die Bäume werden weichen, und mit ihnen die angrenzende Ruby-Bar.

Nach Gertis Schoppenstube verschwindet damit innerhalb weniger Wochen das zweite Lokal an der Ecke. 2014 muss auch das heimelige München 72 ein paar Straßen weiter zusperren. Ein Umstand, den Betreiber Tom Zufall auf Facebook mit folgendem schönen Satz kommentiert hat: " Erst wenn die letzte Luxuseigentumswohnung gebaut, die letzte Bar geschlossen wurde, der letzte Freiraum zerstört ist, werdet ihr feststellen, dass das Glockenbachviertel das Dorf geworden ist, aus dem ihr mal geflohen seid."

Man kann das Wort Glockenbachviertel auch durch das Wort München ersetzen. Es gibt dieser Tage nämlich noch viel mehr zu beweinen: das sehr baldige Ende des alternativen Café Gap am Hauptbahnhof zum Beispiel. Oder das Aus für das Atomic Café, das, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, Ende des Jahres schließen muss.

München verliert gerade seine wenigen entspannten Lokale - und wird mit fast jeder neuen Bar einen Tick spießiger. Entsteht irgendwo mal was Neues, dann ist das fast nie ein unkonventioneller Schuppen, sondern irgendeine weitere schicke Klitsche. Das ist zwar dann immer noch besser als in dem Kreuzberger Graefekiez, in dem seit ein paar Tagen grundsätzlich kein neues Lokal mehr genehmigt werden darf, aber noch lange nicht gut. Vielleicht sollte man also mal auf die Straße gehen und demonstrieren: nicht gegen die Schließung einer alten, sondern für eine coole neue Bar.

© SZ vom 11.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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