Wissenschaft:Hier begann die Forschung über die innere Uhr des Menschen

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Er ist der Geburtsort der Chronobiologie: der unterirdische Schlafbunker auf dem ehemaligen Max-Planck-Gelände im Andechser Ortsteil Erling. Mit Hilfe einer riesigen Schaltzentrale wurde die innere Uhr des Menschen untersucht. (Foto: Nila Thiel)

In Andechs betrieb die Max-Planck-Gesellschaft einst ein Schlaflabor. Über die Jahre ließen sich dort 400 Menschen für mehrere Wochen einschließen - und landeten bei einem anderen Tagesrhythmus.

Von Astrid Becker, Andechs

Das Laub raschelt unter den Füßen. Ein angenehmes, heimeliges Geräusch, eines, das an die Kindheit erinnert. Doch hinter der Tür, die Walter Essler an diesem Herbsttag öffnet, ist erst einmal nur absolute Dunkelheit zu erkennen. Das Nichts also. Klaustrophobiker müssen sich an diesem Ort wie im Vorhof der Hölle fühlen. Wenn nicht gleich auf dem Weg direkt ins Fegefeuer.

Denn was sich hier für etwa 25 Jahre lang immer wieder abgespielt hat, ist schon sehr speziell: Etwa 400 Menschen insgesamt haben hier hinter verschlossenen Türen, abgeriegelt von Tageslicht und der Außenwelt mehrere Wochen verbracht - im Dienste der Wissenschaft. Hier, das ist der Schlafbunker auf dem ehemaligen Gelände der Max-Planck-Gesellschaft im Andechser Ortsteil Erling. Chronobiologen haben dort die innere Uhr des Menschen erforscht, dieses Spezialgebiet dort sogar begründet.

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Walter Essler ist der neue Eigentümer des Geländes und der Mann, der heute den Schlüssel zur Wirkungsstätte der Verhaltensforscher besitzt. Den Bunker erreicht man über einen schmalen, ausbetonierten Gang, über den man in einen großen, dunklen Flur gelangt. An der Wand hängt noch ein Zettel mit den Durchwahlnummern des Instituts - in Andechs und in Seewiesen, wo es auch noch heute einen Standort hat. Gleich gegenüber sind riesige Sicherungskästen zu entdecken mit vielen Hebeln und Knöpfen: Schleuse steht da beispielsweise oder Küche. Es ist gewissermaßen die Schaltzentrale der Forscher, die damit sichergehen wollten, dass ihre Probanden keinerlei Kontakt nach draußen aufnehmen konnten. Was auf den ersten Blick perfide klingen mag. Aber die Menschen meldeten sich freiwillig für diesen Versuch. Studenten waren darunter, die die Zeit zum Lernen nutzen wollten.

Um die Hintergründe für diese langjährige Versuchsreihe zu verstehen, muss man einen Blick in die Geschichte der Chronobiologie werfen. Den Anfang auf diesem Spezialgebiet unternahm der Physiologe Gustav Kramer bereits in den Fünfzigerjahren. Damals untersuchte er am Max-Planck-Institut für Meeresbiologie in Wilhelmshaven den Flug der Vögel, die sich Kramers Erkenntnissen zufolge nach der Sonne richten. Sogar so genau, dass sie sich durch einen inneren Mechanismus der Bewegung der Sonne permanent anpassen - ein System, das sich mit einer Art innerer Uhr vergleichen lässt.

1959 stürzte Kramer in den Bergen Kalabriens ab, nur ein Jahr, nachdem er eine eigene Abteilung am damals neuen Max-Planck-Institut in Seewiesen übernommen hatte. Seine wissenschaftliche Nachfolge im Bereich Chronologie trat der Mediziner Jürgen Aschoff an, der in Erling die Abteilung "Biologische Rhythmen und Verhalten" leitete. Auch er war zur Erkenntnis gelangt, dass sich die innere Uhr durch Licht verstellen lässt.

Um dies unter kontrollierten Bedingungen zu verifizieren, richtete er 1963 in einem alten, schalldichten Wehrmachtsbunker in Andechs eine Versuchsstation ein. Erstmals also meldeten sich ein paar Freiwillige, die sich dort drei bis vier Wochen von der Außenwelt abschotteten. Weil dieses Experiment vielversprechend ausfiel, baute die Max-Planck-Gesellschaft ein Jahr später auf ihrem Gelände einen eigenes unterirdisches Schlaflabor - bestehend aus zwei Appartements, wenn man so will, also aus einem jeweils etwa 20 Quadratmeter großen Wohn- und Schlafraum, einer etwa drei Quadratmeter großen Küche sowie einem genauso großen Bad mit Dusche und Toilette.

Zu betreten waren diese Versuchsräume über eine Schleuse, bei der nur jeweils eine Tür geöffnet werden konnte. Wo heute der Putz bröckelt, nur noch kahle Wände zu sehen sind, stand einst ansprechendes Mobiliar. Es gab einen Teppichboden, ein Bett, einen Schreibtisch mit Stuhl, einen niedrigen Tisch mit Sessel, Sportgeräte wie ein Trimm-dich-Rad und sogar eine Musikanlage - allerdings ohne Radio. Es ging ja darum, die innere Uhr der Versuchspersonen ohne jegliche Zeit- oder Datumsangaben zu erforschen.

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Das bedeutete für die Probanden konkret: Sie sollten geregelt leben, drei Mahlzeiten einnehmen und schlafen - in gefühlt normalen Abständen. Zudem gab es einige psychologische Tests, regelmäßige Temperaturmessungen, Urinuntersuchungen und eben immer mal die gestellte Aufgabe, die Dauer von 30 Sekunden oder einer Stunde zu schätzen. Als erste Versuchsperson ging übrigens der Chef dieses Experiments, der Wissenschaftler Jürgen Aschoff, in diese Isolation. Er wollte selbst erfahren, wie es sich anfühlt, so ganz ohne Zeit zu leben. Anfangs, so soll er später berichten, sei er noch neugierig gewesen, wie spät es wirklich ist. Nach ein paar Tagen jedoch habe er es sehr angenehm empfunden, genau dies nicht zu wissen.

Später sollten ihm viele andere Menschen folgen. In den ersten zwei Jahren waren es etwa 25 Probanden. Schon bei ihnen stellte sich - zumindest bei den meisten - heraus, dass sie jeden Tag etwas später aufstanden und sich ihr natürlicher Rhythmus täglich verlängerte - bis auf einen 25,2 Stunden-Tag. Auch ihre Körperfunktionen, die ja täglich überwacht wurden, passten sich dem an. Weil dies alles nicht mehr mit dem objektiven Tag-Nacht-Wechsel zusammenfällt, spricht die Wissenschaft von "circadianen Rhythmen", abgeleitet aus dem Lateinischen, wo "circa" "etwa" und "dies" Tag bedeutet. Die Forscher stellten zudem fest, dass dieser Rhythmus konstant blieb, woraus sie die Existenz einer inneren Uhr folgerten, die den tagesperiodischen Verlauf steuert.

Walter Essler kann diese Erkenntnis ganz persönlich gut nachvollziehen. Vor Jahren, so erzählt der neue Eigentümer des Geländes, habe er selbst an einem solchen Experiment teilgenommen. Nicht in Andechs, sondern in einem Hotel, bei einem tiefenpsychologischen Seminar für Führungskräfte. Drei Tage lang hätten die Veranstalter versucht, das Zeitgefühl der Teilnehmer durcheinander zu bringen - mit unterschiedlich langen Schlafperioden, durch Dunkelheit, durch komplette Abschottung. "Für ganz ungefährlich halte ich das nicht, das verkraftet nicht jeder gut", sagt Essler. Er selbst sei aber unbeschadet aus dieser Erfahrung herausgekommen: "Ich kam ganz schnell wieder in den normalen Rhythmus."

Wie es den Probanden in Erling nach ihrem Bunkeraufenthalt erging, ist nicht eindeutig in den einsehbaren Veröffentlichungen des Instituts dazu belegt. Das damals gesammelte Material soll erst noch in digitaler Form und mit modernen Techniken ausgewertet werden. Klar ist aber - allen bereits gewonnenen Erkenntnissen zufolge -, dass in all den Jahren nur vier von 300 Probanden, die sich bis Anfang 1980 zur Verfügung gestellt hatten, den Versuch vorzeitig abgebrochen haben.

Ein sehr auffälliger Fall taucht in den Veröffentlichungen dazu ebenfalls immer wieder auf. Der Schlaf-Wach-Rhythmus eines Studenten, der sich im Bunker auf sein Examen vorbereitete, hatte sich von 24 Stunden sogar auf 33 Stunden verschoben. Als seine Zeit vorüber war, fühlte er sich getäuscht. Er glaubte, der Versuch sei früher als abgesprochen abgebrochen worden, er sei daher mit seinen Prüfungsvorbereitungen nicht am Ende.

Der Student saß einem zeitlichen Irrtum auf: Wenn er glaubte, ein Tagespensum in 14 Stunden zu bewältigen, hatte er mehr als 20 Stunden gelernt. Seine Körperfunktionen hingegen folgten dem nicht - woraus die Wissenschaftler noch eine interessante Erkenntnis gewannen: Der Mensch muss demnach mindestens zwei innere Uhren besitzen, die sich bei den meisten synchronisieren, aber eben nicht bei allen. Das Problem des Studenten, der sich nicht ausreichend vorbereitet fühlte, lösten die Andechser Forscher quasi auf dem kleinen Dienstweg: Sie erklärten dem Prüfer die Situation und verschoben den Termin für den Studenten nach hinten.

Doch es gibt offenbar auch Menschen, die das Ende ihrer Zeit im Bunker kaum abwarten konnten. So hatte sich einem Artikel der Max-Planck-Gesellschaft zufolge auch ein Mitarbeiter der Presseabteilung in der Max-Planck-Gesellschaft in den Bunker begeben. Er verlangte aber erschwerte Bedingungen: keinerlei Beschäftigung,also keine Musik, keine Bücher, nichts. Mit fatalen Folgen: In der völligen Zeitlosigkeit verlor er jegliche Orientierung und wartete nur noch auf das Ende des Versuchs. Zermürbend sollte er diese Erfahrung im Nachhinein nennen.

Gut vorstellbar für den, der den Bunker heutzutage betritt. Nichts ist dort mehr, keine Möbel, nur noch Bad und Küchenzeile. Gesellschaft besteht hier vielleicht noch aus Mäusen und Spinnen. Mehr nicht. Was aus dem legendären Bunker in Zukunft wird, steht noch nicht fest. Essler, der als Bauträger Wohnungen und Häuser auf dem Areal errichten will, hofft den Bunker in einen der Baukörper integrieren zu können: als Weinkeller beispielsweise.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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