Knochenmarkspende:Die Lebensretter aus Gauting

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Täglich kommen Stammzellenspender nach Gauting, zum Beispiel Doris Langerdinger. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Aktion Knochenmarkspende vermittelt seit 25 Jahren Stammzellen an schwer kranke Menschen in der ganzen Welt. Für mehr als 4000 Patienten lieferte die Datei bereits einen Treffer. Nun wird ein Spender für Korbinian aus Stockdorf gesucht, der an Leukämie erkrankt ist.

Von Carolin Fries, Gauting

Er war immer das gleiche Drama. Nahezu täglich musste der Hämatologe Hans Knabe Patienten in der Klinik mitteilen, dass sie an einer lebensgefährlichen Bluterkrankung leiden - und nur wenige Tage später, dass man keinen passenden Knochenmarkspender finden konnte. "Es war frustrierend", erinnert sich der 56-Jährige. Er hätte den Patienten helfen können, die Medizin war damals schon so weit, doch es fehlte das Knochenmark. Also machte er sich selbst daran, Spender zu werben, tourte wochenends mit Studenten und Helfern durch Bayern, entnahm gesunden Menschen ein paar Milliliter Blut, schickte es ins Labor, speicherte die Daten.

Was vor 25 Jahren in einem Zimmer im Haus der Schwiegereltern in Krailling begann, hat sich zu einer Stiftung entwickelt, die vier Stockwerke des ehemaligen Schwesternwohnheims auf dem Gelände der Asklepios-Klinik in Gauting belegt und 25 Mitarbeiter beschäftigt. Jeden Tag vermittelt die Aktion Knochenmarkspende (AKB) zwei bis drei Stammzellpräparate in die ganze Welt, insgesamt konnten so bislang mehr als 4000 Leben gerettet werden.

Hans Knabe hat die Aktion Knochenmarkspende (AKB) gegründet. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Hans Knabe ist der Typ Arzt, den man aus Fernsehserien kennt: sympathisch, klug, menschlich. Er hat viele Jahre am Klinikum in Großhadern gearbeitet, bevor er sich zwischen der AKB und dem Klinikjob entscheiden musste. Statt Kittel trägt er Cargo-Hose und Polo-Shirt. Nur noch selten steht er im OP und entnimmt Zellen direkt aus dem Knochenmark eines Spenders. Die meiste Zeit arbeitet er jetzt an seinem Schreibtisch, auf dem sich die Papiere stapeln. Die AKB ist eine von deutschlandweit 30 Spenderdateien und kann auf 310 000 potenzielle Stammzellspender zurückgreifen. Es ist eine Erfolgsgeschichte, die der Gründer nicht aus dem Ärmel geschüttelt hat. Knabe kämpfte beharrlich für die gute Sache: "Ich habe wäschekörbeweise Bettelbriefe geschrieben."

Es ist ein kompliziertes Verfahren und doch ganz einfach. Die AKB meldet wie alle anderen Spenderdateien in Deutschland sämtliche Daten an die Zentrale nach Ulm. Von hier wiederum werden diese einer weltweiten Datenbank in den Niederlanden übermittelt. Weltweit gibt es etwa 35 Millionen Menschen, die hier registriert sind, knapp ein Siebtel davon lebt in Deutschland. Die Suche nach einem geeigneten Spender läuft immer nach dem gleichen Schema ab: Zuerst wird die Verwandtschaft geprüft, in 20 Prozent der Fälle gibt es einen Treffer. Falls nicht, werden die Datenbanken durchforstet - erst regional, dann bundesweit, schließlich weltweit.

Die Stammzellen werden nach vielen Untersuchungen separiert und dann vermittelt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Mittlerweile findet sich in neun von zehn Fällen jemand, dessen Gewebemerkmale auf den Patienten passen - was daran liegt, dass die Spenderdateien pausenlos daran arbeiten, den Pool zu erhalten. Denn im 60. Lebensjahr fallen Registrierte automatisch aus der Datei. Allein die AKB braucht jedes Jahr knapp 20 000 Neuaufnahmen. Das wiederum bedeutet, dass das Team um Knabe nach wie vor wochenends in Turnhallen und Pfarrzentren Aktionen plant, die in der Regel den Namen und das Gesicht eines schwer kranken Patienten tragen, wie beispielsweise am 30. Juni das des 20 Jahre alten Korbinian Heintze aus Stockdorf, der Leukämie hat und eine Knochenmarktransplantation braucht. "Es geht dabei nicht nur um einen Spender für Korbinian", sagt Knabe offen. Es geht darum, möglichst viele Menschen als "Lebensretter" zu gewinnen, wie es plakativ heißt.

Typisierungsaktion
:Hoffen auf den passenden Spender

Korbinian Heintze aus Stockdorf hat Leukämie. Der 20-Jährige braucht dringend eine Stammzellen-Transplantation.

Von Carolin Fries

Doris Landerdinger, 42, ist einer dieser Lebensretter, die gerade in Gauting auf eine Spende am 4. Juli vorbereitet wird. Etwa fünf Stunden dauern die Voruntersuchungen, bei denen der Arzt Ulrich Hahn unter anderem die inneren Organe im Bauchraum mit einem Ultraschallgerät überprüft. "In diesen Räumen springt keiner mehr ab", hatte Knabe kurz zuvor gesagt. Auch die zweifache Mutter sagt gelassen: "Ich habe mir das gut überlegt, als ich mich vor zwei Jahren typisieren ließ." Nicht jeder wird binnen so kurzer Zeit um eine Spende gebeten. "Ich bin seit 1996 in der Datei und für mich interessiert sich keiner", sagt Arzt Ulrich Hahn ein bisschen beleidigt.

Briefe wie diese sind der Lohn für die Spender. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Am 4. Juli wird Doris Landerdinger wieder knapp eineinhalb Stunden aus Uttendorf in Österreich nach Gauting fahren. Die Tage zuvor wird sie sich ein Medikament gespritzt haben, welches die Produktion der Stammzellen anregt und diese aus dem Knochenmark ins Blut schwemmt. Die eigentliche Transplantation verläuft dann im Prinzip wie eine lange Blutspende: Für zwei bis drei Stunden wird sie an einen Zellseparator angeschlossen, durch den ihr Blut fließt. Eine Operation, bei der Zellen aus dem Knochenmark entnommen werden, ist inzwischen die Seltenheit. Die Stammzellen werden noch in Gauting geprüft und aufbereitet, bevor sie innerhalb von 24 Stunden irgendwo auf der Welt einem Menschen ins Knochenmark gespritzt werden, dessen eigenes Zellen bildendes Blutsystem zuvor komplett zerstört wurde.

Ein komplexer Prozess, an dem so viele Menschen beteiligt sind, dass man sich nur schwer vorstellen kann, dass so etwas mehrmals täglich klappt. Erst recht nicht, wenn man einem tiefenentspannten Hans Knabe gegenübersitzt. Die ersten bestellten Präparate hat er noch persönlich ausgeliefert, inzwischen kümmert er sich um die Verwaltung von Personal, Lieferanten, Behörden. Zurück in eine Klinik würde er nicht wollen. "Das war psychisch doch sehr belastend", sagt er. In Gauting freue er sich vor allem darüber, ausschließlich mit hilfsbereiten Menschen zu tun zu haben. Und dennoch müsse er sich manchmal ärgern, insbesondere darüber, "wie viel Geld dieses Land für Kriegsspielchen ausgibt", während das Gesundheitssystem derart vernachlässigt wird, dass ein Sultan aus dem Oman den Neubau einer Kinderklinik in München finanzieren muss.

Zweimal geholfen

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(Foto: Picasa; privat/oh)

Carolin Lebek überlegte nicht lange, als im Februar 2016 eine Typisierungsaktion für Andrea Tietz in Gauting stattfand, die an Leukämie erkrankt war und dringend eine Stammzellspende benötigte. "Es war nur eine kurze Blutentnahme, gar nicht schlimm", erinnert sich die 22-Jährige, die seit drei Jahren in Augsburg BWL studiert. Umso überraschter war sie, als sie noch im gleichen Jahr eine Email von der Aktion Knochenmarkspende bekam, sie möge sich rasch melden. Im Januar vergangenen Jahres war es dann soweit. Knapp zweieinhalb Stunden dauerte die Spende, "für mich selbstverständlich, dass ich das mache", sagt die junge Frau. Auch wenn sie sich ein paar Tage zuvor Medikamente spritzen musste. "Das war ein bisschen unangenehm, aber gut auszuhalten", erzählt sie. Über die Empfängerin weiß sie nur, dass es sich um eine Frau über dreißig Jahre aus Frankreich handelt - und dass die Transplantation erfolgreich war. Im Dezember hatte sie therapieunterstützend noch einmal T-Zellen für die Frau gespendet. "Zwei Jahre bin ich jetzt als Spenderin für diese Frau reserviert", sagt Lebek.

Ohne Nebenwirkung

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(Foto: privat/oh)

Faruk Mukanovic war 2016 sofort bei der Typisierungsaktion für seine Kollegin dabei. "Ich bin Krankenpfleger, es ist mein Beruf, zu helfen." Der 25-Jährige arbeitete damals in der Asklepios-Klinik in Gauting, wo auch die Stiftung Aktion Knochenmarkspende ihren Sitz hat. Nur wenige Monate später bekam er bereits einen Brief, dass seine Stammzellen benötigt würden. "Ich habe wahnsinnig viele Unterlagen zur Aufklärung bekommen, das war super", erzählt Mukanovic. Für ihn war die Spende "kurz und schmerzlos", erinnert er sich, am nächsten Tag habe er bereits wieder gearbeitet. Die Medikamente, die dem Körper eine Krisensituation vorgaukeln, um die Stammzellproduktion anzuregen, habe er gänzlich ohne Nebenwirkungen gut vertragen. Wer seine Zellen bekommen hat, will er nicht wissen. Ihm reicht die Gewissheit, geholfen zu haben. Viel wichtiger ist Mukanovic, dass auch andere Menschen sich typisieren lassen, weshalb er seine ganze Familie zur Typisierungsaktion für Korbinian Heintze am 30. Juni nach Planegg schicken wird.

Anruf im Urlaub

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(Foto: privat/oh)

Daniel Styczynski weiß von der Person, der er das Leben gerettet hat, dass diese selbst zu wenig Blutzellen produzieren konnte, "weil sich offenbar das Knochenmark verknöchert hat". Der 20-jährige Student aus Berlin, der in Gauting aufgewachsen ist, freut sich immer wieder, dass er mit "so einer kleinen Sache" das Leben eines anderen "fundamental verändern" konnte. "Das ist ein unglaublich gutes Gefühl", sagt der junge Mann. Er war noch an der Schule, als er 2016 von der Typisierungsaktion im Gautinger Rathaus über Facebook mitbekam, "mein ganzer Freundeskreis hat da dann mitgemacht". An den Moment, als man ihm am Telefon sagte, dass er wahrscheinlich als Spender infrage käme, erinnert er sich noch genau. "Wir hatten nach dem Abi einen Roadtrip durch Skandinavien gemacht und ich stand irgendwo auf dem Land in Schweden", erzählt er. Die Spende und deren Vorbereitung habe er gut überstanden, "für mich bedeutete das keine Einschränkung". Wenn das Telefon in den kommenden Jahren noch einmal bei ihm klingeln sollte wegen einer Stammzellspende - Daniel Styczynski wäre dabei.

20 Millionen Euro hat die Stiftung, die anfangs als Verein agiert hat, für den Aufbau der Spenderdatei gebraucht. 80 Prozent der Gelder wurde über Kleinspenden finanziert, der Rest durch die 1400 Mitglieder und prominente Unterstützer wie die Aktion Sternstunden, Tengelmann oder die ARD-Fernsehlotterie. Während der Verkauf der Stammzellen für jeweils pauschal 13 000 Euro den laufenden Betrieb finanziert, ermöglichen die Zuwendungen den Ausbau beziehungsweise Erhalt der Spenderdatei. Den Spendern bleibt allein der Lohn, frühestens zwei Jahre nach der Transplantation den Menschen kennenlernen zu können, dem sie das Leben gerettet haben. Es gibt ergreifende Briefe der ersten Kontaktaufnahme, die ebenfalls den Flur schmücken.

Für Knabe haben diese Worte mehr Bedeutung als die zahlreichen Auszeichnungen, die er erhalten hat, darunter das Bundesverdienstkreuz. Er zieht die Schultern hoch. "Für mich gibt es nichts Schöneres als die Medizin." Es sei nicht nur das Helfen. "Es ist vor allem das Entdecken."

Die Typisierungsaktion für Korbinian Heintze findet am Samstag, 30. Juni, von 11 bis 16 Uhr in der Kirche St. Elisabeth in Planegg statt. Infos unter www.akb.de

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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