Kabarett:Pointenreiches Themenallerlei

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Luise Kinseher packt in ihr Programm viel Persönliches. (Foto: Claus Schunk)

Luise Kinseher piesackt das Publikum in der "Seeresidenz" mit mädchenhaftem bis derbem Charme

Von Gerhard Summer, Seeshaupt

Wenn es Parallelwelten geben sollte, wofür einiges spricht, dann haben uns die Leute dort eines voraus, sagt Luise Kinseher: Sie machen, was sie wirklich können. Der Horst Seehofer zum Beispiel ist Busfahrer, die Angela Merkel Friseuse und der Markus Söder Kindergärtner. Und die Kinseher? Steigt Mama Bavaria zur Mama Universi auf? Erklärt sie in irgendeinem Lehrsaal, was Quanten sind? Oder säuft sie sich jeden Tag um halb drei die Parallelwelt schön und trauert dem Stüberl in Giesing nach, das längst einer Lounge weichen musste und statt Weißbier jetzt Hopfen-Smoothies ausschenkt?

"Ruhe bewahren" heißt ihr Programm, das nun auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat und bald neuen Nummern weichen wird. Eigentlich schade. Denn "Ruhe bewahren" ist trotz der Längen in der zweiten Hälfte eines dieser Glanzstücke zwischen Theater und zu Fantastereien neigendem Kabarett, das kaum Vergleiche hat. Vielleicht auch weil Kinseher viel Persönliches reinpackt, gern mal aus ihren drei Rollen heraustritt und das Publikum ein wenig piesackt. Im "Staatstheater" Seeshaupt, der ausverkauften Seeresidenz, nimmt sie immer wieder einen Computerlinguisten, einen Weltreisenden und die erste Reihe rechts hoch ("ihr kennt's froh sei', dass ihr euch da ned sitzen seht's"). Das hat Methode. Denn Kinseher hält auch ihr Themenallerlei mit Andeutungen zusammen, die erst später Fahrt aufnehmen. Und mit vielen Running Gags, zum Beispiel dem, dass es bei ihr zuhause im tiefsten Niederbayern nur eine Uhrzeit gab, halb drei. Was mit einer Familientradition zusammenhängt.

"Ruhe bewahren" hat aber nicht nur Witz, viele Pointen und mädchenhaften bis derben Charme, sondern ist auch melancholisch. Im Endeffekt überbrückt Kinseher im kleinen Schwarzen nur die Zeit mit Plauderei, weil sie darauf wartet, dass eine Zufallsbekanntschaft im Hotellift sie am Handy anruft. Erst verklärt sie den Kerl ("ein Mann wie ich: intelligent, geistreich, erotisch"), bald beschimpft sie ihn ("der lasst Sie hier warten, der Dreckhammel, der gscherde"). Zwischendrin tritt sie als verbitterte, freudlose, über ihren Heinz klagende Ehefrau Helga im Trenchcoat auf ("Leidenschaft ja, aber die Hose lässt du an") und als dauerbeduselte Mary im Morgenrock, singt sie traurige Lieder, im übrigen professionell und sehr entspannt, und schwadroniert vor sich hin. Es geht um Klimawandel, Luftverschmutzung und CSU. Um Pflegeirrsinn, Angst vor Fremden, das ewige Zeitdiktat, die Google-Brille, Fitness-Blödsinn, Gewichtsprobleme, Meditations-Quatsch wie den "herabschauenden Hund" und den vom Hellseher Alois Irlmaier prophezeiten Dritten Weltkrieg, den die Bayern zum Glück überleben werden.

Kinseher zirpt, flötet und kiekst. Flüstert und schreit, poltert und erklärt so hinreißend und sehr wohl zutreffend, was Quanten sind, diese "miniminiminiklitzeklitzekleinen Fastnichtse", dass man vor Lachen vom Stuhl fallen könnte. Aber natürlich ist das schon auch bitter: dass das Leben allein sinnlos ist, mit einem Ehemann sogar noch mehr. Dass sich keiner mehr eine Eigentumswohnung in München leisten kann. Und dass sich trotzdem jeder an Strohhalme klammert. Respektive an einen feschen Mann mit Lachfalten, der im Lift gerade mal "Bis bald" sagt.

Wenn es also Parallelwelten geben sollte, wofür einiges spricht, dann ist Kinseher dort Kabarettistin, auch und gerade um halb drei.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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