Bundesweit erster Kreisverband in Starnberg:Die Erfindung der Grünen

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Vor 40 Jahren haben sich Aktivisten den bis heute gültigen Parteinamen in einem Kraillinger Wohnzimmer ausgedacht, erinnert sich die frühere Landeschefin Ruth Paulig. Ursprünglich hatten sie die CSU verändern und sich dann wieder auflösen wollen.

Von David Costanzo, Starnberg

So geht Umweltschutz: Der Trichter fängt Regenwasser auf, das die Sonne wärmt, das Windrad erzeugt Öko-Strom und es wird gestrickt. Das Plakat hat Ruth Paulig für den zweiten Landtagswahlkampf gemalt. (Foto: privat)

Sie stricken immer noch. Natürlich kennt die Kreisvorsitzende die alten Bilder von den Parteitagen der Grünen, eine rechts, eine links, fertig ist der Schal. Kerstin Täubner-Benicke, Jahrgang 1967, hat die Zeiten nicht miterlebt, sie ist erst 2005 eingetreten. Aber sie strickt gern. Deshalb hat sie Nadeln und Wolle mitgebracht, um an die Ursprünge anzuknüpfen. Das Thema wird auch beim Festakt der Grünen am Freitag in Weßling eine Rolle spielen, denn schon vor 40 Jahren haben sie gestrickt, einmal rechts, zweimal links, fertig ist die Öko-Partei. Nichts Geringeres reklamieren die Starnberger für sich - am 25. April 1978 den bundesweit ersten Kreisverband der Grünen gegründet und den Namen "Die Grünen" erfunden zu haben.

Wenn man es ganz genau nimmt, haben die 18 künftigen Mitglieder und 18 Gäste an jenem Dienstag vor 40 Jahren im Gasthof in der Au in Starnberg einen Kreisverband der AUD beschlossen, der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher, die erst später offiziell in der neuen Öko-Partei aufgehen sollte. Noch davor aber saßen, wohl im Frühling 1978, einige ökologisch Bewegte im Kraillinger Wohnzimmer von Annedore und Uli Hartmann beisammen, erinnert sich Ruth Paulig, die spätere Landtagsabgeordnete und Landesvorsitzende der Grünen aus Schlagenhofen. Es kamen so viele, dass die Hartmanns Klappstühle heranschaffen mussten. Keine Revoluzzer waren das, keine linken Träumer, sondern eher konservative Naturbewahrer mit normalen Familienverhältnissen, wie die Grünen heute betonen, geeint von apokalyptischen Visionen und der Angst, die Heimat verlieren zu können.

Bereiten die Ausstellung zum 40-jährigen Bestehen vor (v.l.): Roswitha Schwimmer, Ruth Paulig, Roswitha Gahn. (Foto: Georgine Treybal)

Eine neue Partei sollte damals Druck auf die Politik machen. "Wir wollten eigentlich die CSU verändern und uns zehn Jahre später wieder auflösen", erinnert sich Paulig an das Aufbruchsignal. Aber unter welchem Namen? Das Adjektiv "grün" kursierte schon seit einigen Monaten in den Namen von "Grün-alternativen Listen", kurz GAL, die zu Kommunalwahlen antraten, auch der Partei AUD haftete das Attribut an, schließlich trug sie den Untertitel "erste deutsche Umweltschutzpartei". "Wir wollten aber keine Abkürzung und keine Pünktchen-Partei", sagt Paulig. Ein Vorschlag ergab den anderen, plötzlich sei "Die Grünen" im Raum gestanden. Dann ging es ganz schnell.

Früher Protest: Die grüne Kreisrätin und Starnberger Stadträtin Martina Neubauer in den 80er-Jahren bei einer Demonstration in Wackersdorf. (Foto: privat)

Der Vorreiter seinerzeit war der spätere Kreisvorsitzende Klaus Resch aus Starnberg, der "als Verleger und Werbemann gleich Professionelles für seine Partei einbringen konnte", wie ihm die Süddeutsche Zeitung/Starnberger Neueste Nachrichten damals attestierte. Er entwarf eine AUD-Plakette mit der Unterzeile "Die Grünen", spätestens von Mai 1978 an gab es einen gleichnamigen Briefkopf. Im Juli übernahm ihn die gemeinsame Liste der AUD mit anderen Gruppierungen, die bei der Landtagswahl antreten wollte. Im September nannte sich der Kreisverband in Starnberg nur noch "Die Grünen". Bei der Landtagswahl im Oktober holt die Liste 1,8 Prozent, Klaus Resch auf Listenplatz zwei erzielt in der Stadt Starnberg gar 4,2 Prozent. "Wir waren nicht grün hinter den Ohren, sondern unserer Zeit weit voraus", schreibt Resch heute in der Festschrift des Kreisverbands. Beim Frankfurter Kongress der alternativen Wählerlisten plädierte Resch im März 1979 erfolgreich für den Namen "Die Grünen", mit dem im Januar 1980 die Partei gegründet wurde. "Wir sind die Erfinder", sagt Paulig heute stolz. Das sei bis heute unwidersprochen.

Die Grünen und das Stricken: Kreisvorsitzende Kerstin Täubner-Benicke hat zum Jubiläum Nadeln und Wolle mitgebracht. (Foto: David Costanzo)

Der Kreisverband hat viel Arbeit in die Rekonstruktion und das Jubiläum gesteckt. Der frühere Kreiskassier und heutige Weilheimer Stadtrat Eckart Stüber hat ein Dutzend Ordner mit dem Titel "Archiv Grünes Gedächtnis" zusammengestellt. Dazu gehört die private Sammlung von Paulig, die 18 Jahre im Landtag saß und zwei Jahre die bayerischen Grünen anführte. Die Ordner der 68-Jährigen sichtete Stüber im Bayerischen Staatsarchiv. Die zweite Hauptquelle bildet die Sammlung des heutigen Kreisrats Peter Unger, der im Mai 1979 als SPD-Gemeinderat in Gilching zu den Grünen wechselte und so der Öko-Partei das erste Mandat in einer Kommune bescherte. "Die Mitglieder sind nicht nur sehr aktiv", sagt Stüber, "sondern auch ordentliche Sammler." Alles andere als Chaoten eben.

Treffen der Alt-78er: Bereits im Oktober sind einige der Gründungsmitglieder im Gasthaus in der Au zusammengekommen. (Foto: privat)

Mit so viel Vergangenheit wollen die Kreis-Grünen gut in die Landtagswahl im Oktober gehen. Klimaschutz, Bio-Landwirtschaft, die Natur vor der Betonierung schützen - es gibt aus Sicht der Partei noch viel zu tun. Dazu muss sie aber regieren, das wissen Ruth Paulig und Kerstin Täubner-Benicke, und das geht nach der Stimmungslage im Freistaat wie im Kreis nur als Junior-Partner der CSU. Sie sind nicht abgeneigt: Für Paulig ist das eine "Option". Täubner-Benicke sagt: Wenn die Partei gestalten wolle, müsse sie sich mit der CSU arrangieren. Nicht nur im Umweltschutz, auch beim Umgang mit Flüchtlingen gebe es viel zu tun.

CSU-Landrat Karl Roth will die Grünen bei deren Festakt "ein bisserl loben", wie er sagt. Sie hätten im Kreis viel bewegt, Nahverkehr, Radwege, ökologisches Denken, auch wenn es lange bis zum ersten gemeinsamen Antrag beider Parteien gedauert habe, nämlich im Jahr 2016 zum Thema Bundesteilhabegesetz. Eine Koalition mit den Grünen im Freistaat kann er sich vorstellen, falls seine CSU die absolute Mehrheit verfehle. "Mit den Grünen käme etwas Neues", sagt Roth. "Das hätte Charme."

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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