Asylbewerber in Bayern:Flüchtlinge hinter Milchglas

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Die Fenster der Unterkunft wurden mit Sichtschutzfolie beklebt. (Foto: Georgine Treybal)

In Gauting bei Starnberg sind 73 Asylbewerber vergleichsweise komfortabel untergebracht. Doch es gibt ein Problem: Sie dürfen nicht aus den Fenstern in die Nachbargärten schauen - weil sich die Anwohner sonst gestört fühlen.

Von Gerhard Summer

Kommunen wie Schongau oder Neuburg an der Donau schieben Asylbewerber schon mal in Holzbaracken oder auf 1000 Meter Höhe ab. Im Landkreis Starnberg geht es vordergründig viel nobler zu, beispielsweise in Gauting. Dort sind 73 Flüchtlinge in einer ehemaligen Pflegeakademie untergebracht. Und zwar in Appartements mit Balkonen, wie Landrat Karl Roth (CSU) betont. In den Augen des Politikers ist diese Unterkunft "die schönste, die wir haben".

Allerdings ist das mit der Aussicht so eine Sache, zumindest vom Hausflur aus: Das Starnberger Landratsamt ließ die 14 Gangfenster nämlich mit Milchglasfolie bekleben, weil sich die Nachbarn nicht länger in ihre Gärten schauen lassen wollten. Statt ins Grüne blicken die Asylbewerber aus Afghanistan, der Türkei, dem Senegal, aus Pakistan und Syrien jetzt nur noch aufs Graue. Der Landrat räumt ein, dass er selbst nicht gern hinter trüben Fenstern wohnen würde, spricht aber von einem "ganz kleinen Übel". Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat sieht das anders: "Das ist doch absurd", sagt er. "Man kann nicht mal aus dem Flur rausschauen, da fühlt es sich erst recht wie Knast an."

Paradies oder Gefängnis - die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Tatsächlich ist dieses Asylbewerberheim kein schlechtes Quartier. Die Menschen hier sind nicht auf engstem Raum zusammengepfercht, es gibt ein großes Grundstück rund um das Haus, eine Rasenfläche mit ein paar Bäumen. Aber die Flüchtlinge kämpfen auch in Gauting mit einem weit verbreiteten Problem: mit Nachbarn, die sich durch die bloße Anwesenheit der Fremden gestört fühlen.

Das kennen wohl alle Landräte des Münchner Umlands. Sie finden kaum noch eine Unterkunft für die vielen Flüchtlinge, die ihnen zugeteilt werden, und wenn mal doch, droht Ärger mit den Anwohnern. Deshalb müsse man viel aufklären und die Bürger im Vorhinein informieren, sagte Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin (CSU) erst am Montag bei einer Landrätetagung in Utting. Seine Erfahrung: Das spart hinterher viel Ärger.

In Gauting freilich kämpfen die Asylbewerber auch mit der Technik. Zwei von ihnen klagen weniger über die Milchglasfolien als darüber, dass das Wasser seit Tagen kalt sei und die Heizung nicht funktioniere. Das Landratsamt widerspricht: Die Heizung sei am Wochenende leider wegen eines Defekts ausgefallen, laufe aber wieder seit Montag. Dass sich die Asylbewerber gern auf dem Flur aufhalten, hat angeblich auch mit der Technik zu tun. Dort sei der Handyempfang am besten, sagt Roth. Und die Anwohner hätten sich eben daran gestört, dass ihre neuen Nachbarn so oft gestikulierend auf dem Gang gestanden seien.

Er wisse nicht, ob es Vorgespräche mit den Gautingern gab, bevor die Handwerker mit den Folien anrückten: "Aber wenn ich die Anwohner damit befrieden kann, bevor sie einen Aufstand machen, dann ist das sicherlich ein Kompromiss, der keinem so richtig wehtut." Dass die Behörde so konfliktscheu ist, hat seinen Grund: Auch in die alte Villa der Pflegeakademie sollen noch Flüchtlinge kommen.

© SZ vom 02.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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