Volleyball:Unter Wilden

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Auch wenn er aus L.A. stammt, ist Matt Tarantino alles andere als ein Exzentriker. Im Volleyball-Viertelfinale gegen Frankfurt könnte der lange verletzte Angreifer Herrschings Joker werden.

Von Sebastian Winter

Ein hübscher bayerischer Gasthof im Ortskern von Herrsching. Vorfrühling am Ammersee. Matthew Tarantino, den alle Matt nennen, kommt durch den Flur nach draußen, dunkelblaues T-Shirt, schwarze Jogginghose, weiße Turnschuhe. Der 2,04 Meter große Volleyball-Profi wirkt kräftiger als noch im Herbst. Trotz der frischen Luft hat der Mann aus dem San Fernando Valley in Los Angeles kein Problem damit, sich auf die Terrasse zu setzen. Er bestellt die ganze Stunde lang: nichts. Nicht mal ein Wasser. "It's okay", sagt er, immer wieder.

An diesem Samstag trifft Matt Tarantino mit Herrschings Volleyballern in Frankfurt (19.30 Uhr, Fraport-Arena) auf die United Volleys Rhein-Main, der Sechste gegen den Dritten, es ist ihr erstes Playoff-Viertelfinalspiel in der Best-of-three-Serie, die am Mittwoch ihre Fortsetzung findet - kurioserweise in Innsbruck, weil die enge Herrschinger Nikolaushalle in der K.o.-Runde nicht mehr den Anforderungen der Liga genügt.

Ein Playoff-Spiel im Ausland, das gab es noch nie in der Geschichte des deutschen Volleyballs, auch Tarantino findet diese Art von Heimspiel etwas befremdlich. Aber er möchte sich erst einmal auf Samstag konzentrieren, jetzt, da er endlich richtig fit und auf dem Weg ist, jenes Versprechen einzulösen, das Herrschings Trainer Max Hauser in ihm schon zu Saisonbeginn gesehen hat: Der so wichtige Diagonalspieler, der go-to guy, wie die Amerikaner jene nennen, die in kniffligen Situation die wichtigen Punkte machen sollen, kann sein Schlüssel zum Halbfinale sein.

Wobei: Tarantino ist keiner wie Christian Dünnes, der ehemalige Hachinger und künftige DVV-Sportdirektor, auf den fast das komplette bei Rhein-Main-Spiel zugeschnitten ist. Herrsching hat in Tom Strohbach und Julius Höfer gleich zwei Außenangreifer, die in der Liga zu den Stärksten zählen, Nationalspieler Strohbach ist in der Statistik der Topscorer gar seit Monaten unangefochten an der Spitze. Tarantino dümpelt irgendwo im Mittelfeld, was aber einen triftigen Grund hat.

"Er ist kein Patrick Steuerwald, eher introvertiert", sagt Teammanager Fritz Frömming über Matt Tarantino. Jubeln kann der Amerikaner (re.) aber fast so ekstatisch wie Herrschings Zuspieler (li.). (Foto: Marcel Lorenz/imago)

Denn Herrschings Sommerzugang, der den nach Friedrichshafen gewechselten Daniel Malescha ersetzen sollte, verletzte sich noch vor Saisonbeginn Anfang Oktober schwer am linken Knie. Bei einem Testspiel in Verona war der 23-Jährige ohne Fremdeinwirkung weggeknickt, die Kniescheibe sprang heraus, Tarantino musste ins Krankenhaus. "Ich konnte ein paar Wochen lang nicht laufen, auch danach war es schwer", erzählt er auf der Terrasse: "Außerdem verlierst du in so einer Situation auch den Kontakt zu den anderen Spielern." Immerhin ist seine Frau, eine Psychologin, aus den USA mitgekommen.

Vor der Abreise im August nach Deutschland haben sie noch geheiratet, jetzt kann sie ihn in ihrem Herrschinger Apartment, wo sie zusammen wohnen, im Alltag unterstützen. Auch für den Klub ist die Situation schwierig, sie haben nicht wenig Geld für Tarantino gezahlt. Und Trainer Max Hauser, dem in der Hinrunde die halbe Mannschaft mit Verletzungen fehlt, hat kaum noch Alternativen. "Es war das erste Mal, dass mir ein Spieler so lange ausfällt. Ich war froh, dass wir diese Zeit überhaupt überlebt haben", sagt Hauser.

Kurz vor Weihnachten feiert Tarantino in Düren sein Comeback, in der anschließenden Pause kann er viel Trainings- und Fitnessrückstand aufholen. Sein Knie, sagt der frühere College-Spieler der Pepperdine University, sei dadurch mittlerweile stabiler als vorher. Tarantino trägt nun eine lange schwarze Bandage am linken Knie, zur Stabilisation. Und seit Januar, anfangs noch sehr schwankend, zeigt er immer öfter, warum die Herrschinger zugeschlagen haben, als Tarantino ihnen von seinem Agenten angepriesen wurde. Er ist jetzt einer, der Spiele drehen kann, wie Höfer und Strohbach. Seine Angriffe sind stark, in der Abwehr zeigt er für einen Diagonalspieler überraschende Reflexe, Aufschlag und Block sind noch ausbaufähig. Für die Annahme haben sie ihn ohnehin nicht nach Herrsching geholt.

Auch nicht für die emotionalen Momente. "Er ist kein Patrick Steuerwald", vergleicht ihn Herrschings Teammanager Fritz Frömming mit dem Zuspieler und Antreiber des TSV, "eher introvertiert, fast ein wenig zu ruhig." Hauser beschreibt ihn als "sehr unamerikanisch, auch wenn das ein Vorurteil ist. Aber wenn ich mir einen Typen aus L.A. hole, der Tarantino heißt, habe ich ein anderes Bild im Kopf." Nicht so einen ruhigen, bedächtigen, überlegten Charakter, wie Tarantino einer ist.

Vielleicht ist er gerade deswegen ein guter Gegenpol zu den vielen Extrovertierten auf dem Feld. So sagt Tarantino beispielsweise über Libero Ferdinand Tille: "He's wild on court." Tarantino gerät nicht in Ekstase, aber er macht Hauser zufolge zurzeit den besten Eindruck von allen im Training. Der frühere Footballspieler möchte mit Herrsching ja auch ins Halbfinale, mindestens, nach der Saison fliegt er zurück nach Los Angeles. Seine Frau ist schon Freitag abgereist, sie sucht sich in der Heimat einen Job. Die Zukunft ihres Mannes ist völlig offen. Matt Tarantino könnte sich vorstellen, wieder für Herrsching zu spielen, wie auch Hauser, der aber einschränkt, dass das auch eine Geldfrage sei. Außerdem wollen die Herrschinger zu diesem frühen Zeitpunkt auch abwarten, was der Markt noch so bietet. US-amerikanische Profis wie Tarantino mögen die deutsche Liga jedenfalls, weil dort zuverlässig gezahlt wird, weil es eine Krankenversicherung gibt, weil das Niveau sehr ordentlich ist. Tarantino hat seine Zeit hier auch genossen, mit seiner Frau Ausflüge nach Andechs, in den Englischen Garten, in diverse Museen und in andere Städte gemacht. "Reisen ist hier so einfach", sagt Tarantino, der die Ruhe am Ammersee liebt: "In L.A. ist alles groß, und es rennen zu viele verrückte Leute rum."

Nur sein Hobby, das Angeln, vermisst er. In Herrsching hatte Tarantino zu wenig Zeit dafür. Der ruhige Mann wird das an der Pazifikküste nachholen, 20 Autominuten vom San Fernando Valley entfernt. Er wird dann mit seinen Freunden wieder auf dem Boot hinausfahren aufs Meer, um Thunfisch zu fangen. Sein prächtigstes Exemplar wog an die 40 Kilogramm, berichtet Tarantino. Und überhaupt lässt sich da draußen auf dem Ozean auch mit viel Muße über die eigene Zukunft sinnieren.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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