Ski alpin:Schussfahrt in die Weltspitze

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"Ich wusste, dass ich schnell sein kann": Kira Weidle, hier bei ihrem Weltcup-Debüt in Altenmarkt, verblüfft ihre Trainer. (Foto: imago/Eibner Europa)

Die 19-jährige Kira Weidle aus Starnberg ist Deutschlands Ski-Hoffnung für die Speed-Disziplinen - in Cortina d'Ampezzo bestreitet sie am Samstag ihre zweite Weltcup-Abfahrt

Von Marius Buhl

Kira Weidle saß in der Almhütte, als die schnellste Skifahrerin der Welt über die Eispiste von Altenmarkt preschte und mit Bestzeit ins Ziel raste. Weidle hatte Karten gespielt und sich am Buffet bedient, nun sah sie zum Fernseher und verfolgte die Fahrt der Ausnahme-Athletin Lindsey Vonn. Sie achtete auf Vonns Linienwahl und darauf, wann diese in Schusshocke ging, um aerodynamischer zu sein. Dann verließ Kira Weidle die Wirtschaft, schnallte ihre Skier an, zog die Startnummer 50 über und stürzte sich auf dieselbe Eispiste. Es war ihr erstes Ski-Weltcup-Rennen.

19 Jahre ist Kira Weidle alt, und bisweilen verläuft ihr Leben auch wie das einer gewöhnlichen jungen Frau. Sie hat das Abitur gemacht, die Führerscheinprüfung bestanden, das Internet nach einem Studienplatz durchstöbert. Doch dazwischen ist sie Ski gefahren, immer und immer wieder. Und immer war sie besser als die anderen. Sie gewann deutsche Schüler-Cups, fuhr rasch internationale Fis-Rennen, kämpfte sich Kader um Kader nach oben. Vor dieser Saison wollten ihre Trainer, dass Weidle sich im Europa-Cup etabliert, der zweiten Liga des Skisports. Von einem Sieg war nie die Rede gewesen.

Im österreichischen Altenmarkt wurde nicht nur ein Weltcup ausgetragen, eine Woche später fanden dort auch Europa-Cup-Abfahrten statt. "Ich kannte die Strecke ja schon, sie liegt mir", sagt Weidle. Drei Rennen gab es, in den ersten beiden sauste sie auf die Plätze zwei und vier. "Da war vielleicht sogar noch Luft nach oben. Aber in den Speed-Disziplinen ist es wichtig, sich langsam ans Limit heranzutasten." Also studierte sie die Videos ihrer Fahrten und entdeckte, dass sie im ersten Teil Zeit verloren hatte. Dort kippt die Strecke teils steil ab, die Fahrerinnen rattern über pures Eis. "Ich hatte mich noch nicht richtig getraut, in Schusshocke zu fahren", sagt sie. Beim dritten Rennen klemmte sich Weidle also auch im oberen Streckenteil die Stöcke unter die Arme und machte sich klein. Sie gewann das Rennen überlegen.

Dass Weidle überhaupt zum Skifahren kam, hat sie einem Umzug zu verdanken. Ihre Familie stammt eigentlich aus Stuttgart, nach ihrer Geburt zogen sie gar nach Nordrhein-Westfalen. "Dort wäre vermutlich keine Rennfahrerin aus mir geworden", sagt sie. Doch die Familie zog wieder um - nach Starnberg, wo Weidle auf Matthias Pohlus traf. Pohlus, den alle Tissi rufen, ist Trainer des ortsansässigen Skiklubs. Er erinnert sich an eine äußerst zielstrebige Athletin: "Als sie in der Grundschule nach ihrem Berufswunsch gefragt wurde, sagte sie Skifahrerin." Schon damals brannte Weidle für die Geschwindigkeit. "Einmal sind wir in Seefeld über eine Absperrung geklettert und den Auslaufhügel der Sprungschanze in Hocke kerzengerade runtergerast. Da war Kira neun." Heute ist die Athletin Vorbild für den Nachwuchs im Verein. "Wir haben etliche junge Fahrer, die Kira nacheifern", sagt Pohlus. Die Rennen seiner einstigen Musterschülerin verfolgt er nun am Computer - per Liveticker.

Weidle trainiert längst anderswo, nämlich in der Lehrgangsgruppe eins des Deutschen Skiverbands (DSV), unter Speed-Trainer Andreas Fürbeck. Ihre Trainingspartnerin ist prominent: Viktoria Rebensburg. Vor dieser Saison legte der DSV fest, dass die besten Nachwuchsfahrerinnen mit der deutschen Spitzenathletin trainieren sollten. Vorbild ist das norwegische Modell, wo junge Fahrer vom Wissen Aksel Lund Svindals profitieren. "Für mich ging ein Traum in Erfüllung", sagt Weidle. Im Sommer flog sie mit dem Team nach Chile, auf dem Gletscher stellte sie sich dem Duell mit Rebensburg. Nur wenige Zehntelsekunden trennten die Star-Athletin und die Newcomerin. "Da wusste ich, dass ich schnell sein kann. Aber eine Top-Athletin wie die Vicky kann im Wettkampf natürlich immer noch einen draufsetzen."

Beim Weltcup in Altenmarkt war das so. Im Super-G wurde Rebensburg Elfte, Weidle verlor 1,36 Sekunden auf sie und wurde 37. Ein Erfolg war das dennoch, keine Frage. Im Ziel jubelten ihre Eltern und etliche mitgereiste Starnberger, die Autogrammjäger forderten auch von der jungen Deutschen eine Unterschrift. "Das war schon krass", findet sie.

Geht es nach ihren Trainern, soll Weidle sich in diesem Jahr aber auf den Europa-Cup konzentrieren. Landet sie in der Gesamtwertung der Abfahrt dort unter den ersten drei, darf sie in der nächsten Saison fix im Weltcup starten. Doch auch in dieser Saison soll Weidle hin und wieder Erfahrungen in der ersten Liga des Skisports sammeln. Daraus ergibt sich ein hartes Programm. Allein in den kommenden drei Wochen wird Weidle knapp 2000 Kilometer mit dem Auto durch die Alpen fahren, weit mehr als 20 Stunden: Chalet, Davos, Garmisch und an diesem Wochenende Cortina d'Ampezzo sind ihre nächsten Einsatzorte. "Auf Cortina freue ich mich am meisten, das ist eine der schönsten Abfahrten der Welt."

Die Tofana, wie die Strecke dort genannt wird, ist vor allem auch eine der gefährlichsten Strecken für Frauen in dieser Saison. Die Bilder, wie die Fahrerinnen am sogenannten Tofana-Schuss zwischen zwei Felsen durchsausen, werden jedes Jahr in die ganze Welt versendet. Kira Weidle wird sich davon aber nicht verrückt machen lassen. Sie wird sich vermutlich eine kleine Wirtschaft suchen, Karten spielen, den besten Fahrerinnen im Fernsehen zuschauen. Dann wird sie rausgehen - und Schusshocke fahren.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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