München:Auf dem Trockenen

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Die Olympischen Spiele 1984 waren für Schwimmer Michael Hahn der Karriereknick - der deutsche Meister durfte sie nur von der Tribüne aus verfolgen

Von Fabian Swidrak, München

Für Michael Hahn waren die Olympischen Spiele ein perverses Erlebnis. Er selbst wählt dieses Wort, heute, mit 32 Jahren Abstand. 1984 saß Hahn im Schwimmstadion von Los Angeles auf der Tribüne und sah, wie sein Konkurrent Ralf Diegel das Finale über 200 Meter Lagen schwamm; seine Distanz, über die er wenige Wochen zuvor wieder einmal deutscher Meister geworden war, auch Diegel hatte er dabei deutlich geschlagen. "Das war hart. Ich habe lange überlegt, ob ich hinfliegen soll", sagt Hahn. Es war seine Art, die Nichtnominierung zu verarbeiten.

Hahn, 54, kurze graue Haare, streicht sich über seine braun gebrannten Arme. "Wenn ich daran denke, dann gibt es gleich Gänsehaut", sagt er, bevor er über den Tag spricht, an dem seine Sportlerwelt zusammenbrach. Hahn war zu Hause, als das Telefon klingelte, Ende Juni 1984, rund einen Monat vor Los Angeles. Ein Journalist habe ihn angerufen, sagt Hahn, und gefragt, "ob ich denn schon weiß, dass ich nicht für die Olympischen Spiele nominiert worden bin." Hahn wusste es noch nicht. "Das war sicher ein Karriereknick." Kurze Zeit später zog er sich beim Wasserskifahren sowohl einen Adduktoren- als auch einen Bauchmuskelteilabriss zu. Die Blessuren beeinträchtigten Hahn ein ganzes Jahr. Bei der deutschen Meisterschaft 1985 wurde er zwar noch Dritter, sagt aber: "Wenn du einmal schlechter wirst, dann wird es ganz schwierig." Die Olympischen Spiele 1988 in Seoul blieben für Hahn unerreichbar. Noch heute fühlt er sich daher um den Höhepunkt seiner Sportlerkarriere gebracht.

Da konnte Michael Hahn (Mitte) noch lachen: Bei der DM 1984 verwies er Ralf Diegel (re.) und Miloslav Rolko über 200 Meter Lagen auf die Plätze. (Foto: privat)

Bei der deutschen Meisterschaft vor den Spielen in Los Angeles war Hahn erfolgreichster Teilnehmer neben dem dreimaligen olympischen Goldmedaillen-Gewinner Michael Groß. Seinen Meistertitel über 200 Meter Lagen ergänzte Hahn mit einem zweiten Platz über 200 Meter Brust und Rang drei über 400 Meter Lagen. Bundestrainer Manfred Thiesmann verzichtete bei Olympia dennoch auf Hahn. Offiziell, weil er eine vor der deutschen Meisterschaft vage formulierte Norm nicht erfüllt hatte. "Ich hätte schneller schwimmen müssen als bei meinem deutschen Rekord", erzählt Hahn. Das sei jedoch in der Münchner Olympia-Schwimmhalle, wo die Meisterschaft 1984 stattfand, kaum möglich gewesen. "Das Frischwasser wurde dort von der Seite ins Becken geleitet. Durch die Strömung wurde das Wasser langsam." Keinem einzigen Sportler gelang damals ein deutscher Rekord. "Zu der Zeit war das ungewöhnlich", sagt Hahn und es klingt, als halte er die vermeintlich nicht erfüllte Norm ohnehin für eine bequeme, vorgeschobene Begründung.

Die Chemie zwischen Hahn und Bundestrainer Thiesmann hat nicht gestimmt, in Trainingsfragen erlaubte es sich der Sportstudent häufig, anderer Meinung zu sein. Thiesmann arbeitete damals eng mit der Bundeswehr-Sportfördergruppe in Warendorf (Nordrhein-Westfalen) zusammen und wollte auch Hahn dorthin holen. Der allerdings wurde ausgemustert und blieb in seiner Heimatstadt Burghausen. "Der Bundestrainer empfand das als Affront", sagt Hahn. Nach der Europameisterschaft 1983 in Rom warf ihm der Trainerstab zudem mannschaftsschädigendes Verhalten vor, weil er nicht von Karlsruhe aus mit dem Teambus gefahren, sondern von München aus geflogen war. Natürlich hatte Hahn vorher um Erlaubnis gefragt, genau wie Mannschaftskollege Groß, dessen Anreise zur EM mit dem Flugzeug offenbar kein Problem war.

"Ich lebe nicht mehr meine Erfolge von früher": Michael Hahn, 54, leitet den Zentralen Hochschulsport der Technischen Universität München. (Foto: privat)

Inzwischen ist Hahns unvollendete Sportlerkarriere in Vergessenheit geraten, trotz dreier deutscher Meistertitel (1982, '83 und '84) und einem ehemals deutschen Rekord (2:06 min) über 200 Meter Lagen, den heute Markus Deibler hält (1:57,82 min). Wer im Internet nach Hahn sucht, der findet lediglich die Bücher, die er zum Schwimmtraining geschrieben hat. Im Münchner Westen, wo Hahn lebt, wisse kaum jemand, dass er einst zu den besten Schwimmern des Landes zählte, sagt Hahn: "Ich lebe nicht mehr meine Erfolge von früher." Abgesehen von einem Nymphenburger-Porzellan-Löwen, den er nach dem Gewinn einer bayerischen Meisterschaft vom damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß überreicht bekommen habe, seien alle Pokale und Medaillen im Speicherzimmer seiner Mutter verstaut und würden bald das Zeitliche segnen.

Über seine aktive Karriere definiert sich Hahn längst nicht mehr. Er hat zwei Töchter, von denen eine erfolgreiche Freiwasserschwimmerin ist und 2011 den Gesamteuropacup gewann. Hahn verantwortet heute den Zentralen Hochschulsport der Technischen Universität München und ist Fachleiter für Schwimmen, Wasserball und Wasserspringen. Über die Erfolge früherer Tage spricht er auch dort nur auf Nachfrage. Wenn er neue Studenten begrüße, sage er nur, dass er das mal aktiv gemacht habe und glaube, es noch ganz gut zu können: "Irgendeiner will meist wissen, wie gut ich war." Dann erzählt er es schon. Nur bei einer Geschichte hält er sich stets kurz: bei der von den Olympischen Spielen in Los Angeles.

Bisher erschienen: Monika Schäfer (30.7.), Kurt Szilier (28.7.), Andrea Eisenhut (23.7.)

© SZ vom 04.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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