Judo:Brasilien im Kopf

Lesezeit: 2 min

Karl-Richard Frey (li.) will Frust abbauen. Nun geht er wieder für Großhadern auf die Matte - und gewinnt. (Foto: Claus Schunk)

Judo-Erstligist Großhadern entscheidet den Viertelfinal-Hinkampf gegen Potsdam mit 11:3 für sich. Manch Olympia-Teilnehmer des TSV tut sich dennoch schwer, wieder in den Bundesliga-Alltag hineinzufinden

Von Max Ferstl, München

Samstagabend, die Judoka des UJKC Potsdam stehen ordentlich aufgereiht da und klatschen in die Hände. Der Applaus ist als Akt der Höflichkeit zu verstehen, denn was die Potsdamer da sehen, dürfte ihnen nicht gefallen. Der TSV München-Großhadern ehrt, kurz vor dem Viertelfinale der Judo-Bundesliga, seine Olympioniken. Tobias Englmaier, Aleksandar Kukolj, Karl-Richard Frey, Marcus Nyman, treten vor, schütteln die Hand von Großhaderns Trainers Ralf Matusche und erhalten - so viel bayerische Folklore muss sein - einen Bierkrug aus Stein.

"Du schaust die Leute an und fragst dich: Warum?", erzählt Mario Schendel, Potsdams Trainer. Er sitzt nach dem Kampf im Biergarten neben der Halle. Vor sich ein Bier, allerdings im Glas. Bisher war Großhadern in der Liga meist ohne seine Besten angetreten, die sich auf Olympia konzentrierten. Doch nun sind sie wieder dabei. Und mit ihnen hat Großhadern den Hinkampf klar gewonnen: 11:3. Schendel lächelt, obwohl die Gedanken noch schmerzen. Er fragt: "Warum hat denn einer wie Frey nicht länger Urlaub gemacht?"

Bei dem 25-Jährigen wäre es verständlich gewesen, wenn er sich nach den Spielen in Rio eine längere Pause von der Matte gegönnt hätte. Der WM-Zweite war nach Brasilien gereist, um zu gewinnen, wurde aber nur Fünfter. "Da ist eine Welt zusammengebrochen", sagt Frey. In den Tagen danach habe er viel nachgedacht, im Training habe er beinahe überdreht. Er wollte sich "die Gedanken aus dem Kopf prügeln", bis ihm seine Freundin sagte, es wäre jetzt vielleicht doch mal an der Zeit, ein paar Tage wegzufahren.

Nach der Pause fehle noch die Ausdauer, sagt Frey. Gegen Potsdams Philipp Galandi tat er sich lange schwer. Erst wenige Sekunden vor Schluss holte sich der Favorit ein sogenanntes Yuko, eine kleine Wertung, und damit den Sieg. Für Frey ist die Bundesliga der "Einstieg in eine neue Saison". Auch bei den anderen Kämpfern hat Rio Spuren hinterlassen. Tobias Englmaier agierte gegen Neil MacDonald nicht so spritzig wie gewohnt und verlor prompt. Auch Aleksandar Kukolj wirkte müde, gewann aber seine beiden Kämpfe. Nur Marcus Nyman waren die olympischen Strapazen nicht anzumerken: "Es war eine großartige Erfahrung, die ich nie vergessen werde", schwärmt er. Der ruhige Schwede musste zwar in einer höheren Gewichtsklasse antreten (+100 kg), schaffte es aber zwei Mal, Gegner Benjamin Bouizgarne per Klammergriff zu besiegen.

Trainer Matusche ist es jedenfalls nicht schwer gefallen, seinen Olympioniken die Bundesliga schmackhaft zu machen. "Rio ist vorbei, jetzt ist die Liga an der Reihe", meint Matusche.

Potsdams Trainer Schendel, der um Großhaderns Potenzial wusste, hatte schon nach der Hauptrunde ein schlechtes Gefühl, als er sah, dass im Viertelfinale der Meister aus dem Vorjahr wartet. Großhadern hatte sich nur knapp als Dritter der Südgruppe qualifiziert. Die Verantwortung schulterten Nachwuchskämpfer wie Lukas Vennekold, Niklas Blöchl oder Timo Cavelius, die auch jetzt punkteten. Nun, da die Saison in die entscheidende Phase geht, werden die Jungen von Weltklasse-Athleten angeführt. "Besser kann es nicht laufen", freut sich Matusche nun. Viel schiefgehen könne im Rückkampf in zwei Wochen nicht mehr, auch wenn bei Potsdam wohl einige Verletzte zurückkehren werden. "Ganz blöd brauchen wir ihnen nicht kommen", sagt Matusche. "Wir werden eine gute Mannschaft haben." Auch einige Olympiafahrer werden mit nach Potsdam reisen, um nach dem Höhepunkt ihres Judo-Jahres weiter hineinzuwachsen in den Bundesliga-Alltag. Und anschließend will zumindest Marcus Nyman zügig aufs Oktoberfest: "Nennen wir's Teambuilding, das klingt sportlich."

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: