Sexuelle Übergriffe auf dem Oktoberfest:Hemmungslos

Betrunkene entblößen sich, fassen Frauen unters Dirndl und feuern sich gegenseitig an: Im Bierzelt auf dem Oktoberfest legen manche Männer sämtliche Hemmschwellen ab. Doch die meisten Übergriffe auf Frauen werden nie geahndet.

Karoline Beisel und Beate Wild

Allein der kurze Weg zur Toilette ist der reinste Spießrutenlauf. Drei Umarmungen von wildfremden, besoffenen Männern, zwei Klapse auf den Hintern, ein hochgehobener Dirndlrock und ein absichtlich ins Dekolleté geschütteter Bierschwall sind die Bilanz von dreißig Metern. Es ist Samstag, 11 Uhr morgens im Hofbräuzelt. Der Wiesntag hat gerade angefangen.

Oktoberfest 2011

Eine Gruppe Schotten im Hofbräuzelt: Sie werden später noch ihre Röcke lüpfen, unter denen sie nichts tragen.

(Foto: Beate Wild)

Garniert werden die Handgreiflichkeiten mit allerlei Anmachphrasen und obszönen Bemerkungen. "Gib mir ein Bussi", ist da noch eine harmlose Aufforderung. Manche Sprüche sind sehr vulgär. Reagiert man abweisend, wird man auch schon mal als "Schlampe" beschimpft - oder schlimmer.

Frauen sehen sich auf dem Oktoberfest immer wieder Belästigungen ausgesetzt, gegen die sie sich mit Händen und Füßen wehren müssen. Denn wer sich nicht selbst hilft, ist verloren. Im exzessiven Bierrausch scheint alles erlaubt. Security und Polizei greifen nur ein, wenn einer ausrastet und etwa mit einem Maßkrug auf einen Kontrahenten einprügeln will. Der Griff an eine Pobacke als Grund? Da gäb es ja viel zu tun.

Eine Gruppe Schotten ist im Hofbräuzelt mit ihrer Nationaltracht erschienen, dem Schottenrock. Einer von ihnen sitzt schon am Boden und muss sich gerade übergeben. Die anderen lüpfen hin und wieder ihre Röcke, unter denen sie nichts tragen. Daneben stehen zwei Australier mit Filzhüten auf dem Kopf, die jedes Mädchen, das an ihnen vorbei muss, an der Kleidung festhalten. Ehe man sich versieht, hat man schon eine Hand am Busen. Um weiterzukommen, hilft nur, sich mit vollem Körpereinsatz loszureißen und den Angreifer zur Seite zu schubsen. Daneben lüpfen gerade die Schotten wieder ihr Röcklein - und ein Japaner macht Fotos davon.

Fairerweise muss man sagen, dass es nicht in allen Zelten so schlimm zugeht. Das Hofbräuzelt etwa oder der Schottenhamel sind bekannt für Party-Exzesse. Deshalb werden sie auch so gerne von jungem und internationalem Publikum besucht. Die berauschte Menge schlägt hier schneller als anderswo über die Stränge. Aber generell gilt für die gesamte Wiesn: Je später der Abend, desto hemmungsloser die Gäste.

Von Nackten umzingelt

Da wird auch vor exhibitionistischen Handlungen nicht zurückgeschreckt. Wer öfter aufs Oktoberfest geht, weiß, dass wild gewordene Frauen in der Ekstase schon mal ihren Büstenhalter ausziehen und in die Luft werfen. Doch genauso oft entblößen betrunkene Männer ihre Genitalien. Gerne auf einer Bierbank stehend und genau dann, wenn eine Dame, die ihnen gefällt, vorbeikommt. Im schlimmsten Fall versucht der Angetrunkene noch, die Frau mit seinen Händen zu sich heranzuziehen. Szenen dieser Art gibt es immer wieder. In der Regel schreitet hier keiner ein.

Oktoberfest 2011 - Eröffnung

Ausgelassene Stimmung im Bierzelt: Doch gegen Abend kippt sie oft.

(Foto: dpa)

Eine Kollegin, die zum Arbeiten im Hofbräuzelt war, wurde plötzlich von zwei Italienern eingekreist, die um sie herumtanzten und sich dabei Stück für Stück auszogen, bis sie komplett nackt waren. Von den anderen Gästen wurden die beiden noch mit lauten Jubelrufen und Klatschen angefeuert. Geholfen hat der Frau kein anderer Gast. Auch kein Security-Mann war in der Nähe. Erst ein männlicher Kollege, der angerannt kam, konnte die nackten Italiener vertreiben.

Offenbar glauben gerade ausländische Gäste, dass sie sich auf dem Oktoberfest alles erlauben können und wähnen sich im rechtsfreien Raum. Aufgefordert fühlen sich viele Männer auch durch tief ausgeschnittene Dirndl. Doch selbst wenn man Jeans und T-Shirt trägt, ist es schon schlimm genug.

Am Ärgsten leiden die Bedienungen unter den sexuellen Übergriffen. Corinna arbeitet seit drei Jahren auf der Wiesn. Die 25-Jährige finanziert sich mit dem Job ihr Studium. "Zehn Maßkrüge schleppen ist hart, doch viel härter sind die Belästigungen durch die Männer", erzählt sie. Ihren echten Namen will sie lieber nicht in der Zeitung lesen, das Thema ist ihr unangenehm. "Wenn man sich mit den schweren Maßkrügen durch die Massen kämpfen muss, kann man sich gegen Grapscher nicht wehren", sagt sie. Viele Gäste würden das ausnützen und ihr an den Hintern oder unter den Rock greifen.

Ein zudringlicher Fußballer will Sex

In der Käferschenke geht es generell gesitteter zu als in anderen Zelten - doch selbst hier werden die Männer im Rausch zudringlich. Haben die andere Zelte geschlossen, feiert man im Käfer-Garten oft noch an der Schnapsbar weiter. Frauen lassen sich dann gerne mal ein Getränk ausgeben, doch es kann passieren, dass der Spender als Gegenleistung Zuneigung erwartet. "Mir hat ein bekannter Fußballer mal ein Gläschen Schampus spendiert", erzählt Monika (Name geändert). "Danach hat er seine Hand in mein Dekolleté gesteckt und mich aufgefordert, ihn nach Hause zu begleiten, um mit ihm Sex zu haben." Als Monika aufstand und ging, ist er ihr sogar noch nachgerannt bis zum Taxi. Dann fuhr sie nach Hause - alleine.

Aber nicht nur in den Zelten werden Frauen belästigt. Gefährlich ist auch der Rasen unter der Bavaria. Gerade Frauen, die einen über den Durst getrunken haben und sich dort ausnüchtern wollen, sind wehrlose Opfer. Besonders unangenehm ist die Zeit nach 23 Uhr, wenn es auf der Wiesn langsam leerer wird: Zwar sind dann insgesamt weniger betrunkene Männer unterwegs. Die können dafür schneller sehen, dass man ohne Begleitung und damit potentielle Beute ist.

Gleichzeitig ist es auf den Straßen zwischen den Zelten und Fahrgeschäften noch zu unübersichtlich, um selbst alle in Frage kommenden Grapscher im Blick zu halten. Im Stechschritt umkurvt man die lallenden Männer, folgt Gruppen von nüchternen Wiesnbesuchern oder bleibt in der Nähe der Polizeistreifen.

In der Wirtsbudenstraße ist in der Nacht mehr los, weil in den Zelten geputzt wird. Als Frau macht man sich das zunutze: Mit Blicken sucht man stets die nächste offene Tür, um sich zur Not hineinflüchten zu können. Auf den letzten Metern zum Taxi gibt es keine rettenden Zelte mehr, und gerade am Nordende der Theresienwiese sammeln sich die Betrunkenen. Wer da nicht mittendurch laufen möchte, dem bleibt nur der Umweg über den Südausgang am Riesenrad - die dunklen Wege hinter den Zelten und Fahrgeschäften sind keine Alternative.

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