Schwabing/Freimann:Die Teilhaber

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Noch vor der Fertigstellung zeichnet sich ab, dass sich im Neubauquartier Domagkpark eine lebendige Share-Kultur unter den Bewohnern entwickeln könnte. Viele wollen sogar ihre Autos an Nachbarn verleihen

Von Stefan Mühleisen, Schwabing/Freimann

Ein Mann will ein Bild aufhängen, er hat den Nagel, aber keinen Hammer. Er beschließt, zum Nachbarn zu gehen und sich einen auszuleihen. Doch dann beschleichen ihn Zweifel: Was ist, wenn der mir den Hammer nicht leihen will? Zuletzt hat er mich nur flüchtig gegrüßt, der hat doch was gegen mich. Bloß weil er einen Hammer hat, bildet er sich ein, ich sei auf ihn angewiesen, dieser Rüpel. Der Mann stürmt hinüber zum Nachbarn, klingelt. Als dieser öffnet, sagt der Mann: "Behalten Sie Ihren Hammer!"

Diese verkürzte Geschichte des Kommunikationswissenschaftlers und Psychotherapeuten Paul Watzlawick beschreibt, wie ein Mensch mit Vorurteilen sein eigenes Unglück - und das seines Nachbarn - befördert. Es könnte auch eine Parabel sein auf die Auswüchse des anonymen Nebeneinanders, das viele in modernen Neubauquartieren vermuten. Auf dem Gelände des Domagkparks im Münchner Norden werden sich solche Hammer-Geschichten wohl kaum abspielen. Eine Umfrage legt jetzt nahe, dass in dem neuen Quartier zwischen Frankfurter Ring und Domagkstraße eine äußerst lebendige Share-Kultur entstehen wird. Die zukünftigen Bewohner wollen alles Mögliche mit ihren Nachbarn teilen: Werkzeug, Garten- und Sportgeräte, sogar ihre Autos. "Das Interesse und die Bereitschaft zum Teilen und Leihen ist sehr hoch", sagt Karolina Belza.

Die 27-jährige Studentin der Geografie will in ihrer Abschlussarbeit herausfinden, wie sich Menschen an der Quartiersvernetzung beteiligen. Sie hat dafür 254 Haushalte, die in die Neubauwohnungen am Domagkpark einziehen werden, befragt, ob und was sie von ihren Nachbarn borgen wollen - und ob sie ihren Hausstand selbst entleihen würden. "Das Ergebnis spricht für sehr engagierte Bewohner", sagt sie.

Auf 24 Hektar wächst derzeit auf dem Gelände der ehemaligen Funkkaserne ein neues Stück Stadt empor. 1600 Wohnungen sollen es werden, für 4000 Menschen. Von Anfang an hat es sich das Konsortium aus Bauträgern, Genossenschaften und Baugemeinschaften zum Ziel gesetzt, nicht nur Gebäude zu errichten, sondern auch ein Netzwerk für die Nachbarn zu knüpfen. Es gab bereits mehrere "Vernetzungstreffen", ein Quartiersverein und eine Quartiersgenossenschaft haben sich gegründet, um das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenwirken zu organisieren. Belzas Daten zeigen nun: Viele Domagkpark-Bewohner wollen das Konzept mit Leben füllen.

Mehr als 60 Prozent der Befragten würden Werkzeug kostenlos ihren Nachbarn überlassen. 107 Befragte zeigen sich bereit, Haushalts- und Küchengeräte umsonst für eine Zeit herzugeben. Über die Hälfte der Befragten kann sich vorstellen, "Geräte zur gemeinschaftlichen Nutzung" anzuschaffen. Belzas Daten lassen sogar ein bürgerschaftlich organisiertes Car-Sharing vermuten: 63 Befragte würden Auto oder Roller ihren Nachbarn überlassen, 16 wollen dafür kein Geld, 24 würden eine Leihgebühr verlangen, 23 eine Kaution. Eine andere studentische Studie hat erbracht, dass nahezu 60 Prozent von 217 befragten Haushalten gerne kommerzielles Car-Sharing mit festen Entleih-Stationen nutzen würden. "In diesem Umfang hätten wir das nicht erwartet", sagt Christian Stupka erfreut, der als Chef der Genossenschaft Wogeno auch dem Konsortium vorsitzt.

Belzas Studienarbeit deutet zudem an, dass die Domagkpark-Bewohner gerne ihren Nachbarn helfen - und ihrerseits deren Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Nahezu 90 Prozent geben an, sowohl die Blumen ihrer Nachbarn bei Abwesenheit zu gießen - als auch den gleichen Dienst in Anspruch zu nehmen, wenn sie selbst nicht zu Hause sind. Insgesamt 60 Prozent haben irgendeine Art Hilfsbereitschaft bekundet, etwa für Babysitten, Nachhilfe, Möbel zusammenbauen.

Allein, wird sich das alles in die Tat umsetzen lassen - und wie? "Richtig los gehen kann es erst, wenn die Leute eingezogen sind", sagt Wogeno-Vorstand Thomas Kremer, der auch die Federführung in der Quartiersgenossenschaft übernommen hat. Diese soll die wirtschaftlichen Beziehungen der Bewohner managen, dazu zählt Schneeräumen ebenso wie buchbare Büroplätze. Er und seine Kollegen sehen sich mit Belzas Studienergebnissen nun bestärkt, etwa den "Concierge-Stützpunkt" zu realisieren. Das soll ein Beratungs- und Servicezentrum werden, wo man allerlei Dienstleistungen - etwa Putzhilfen - vermittelt bekommt. Kremer: "Die Zeichen stehen gut, das es ein Erfolg wird."

Karolina Belza wird ihre Ergebnisse am Dienstag, 30. Juni, bei der Veranstaltung "Nachbarschaftliche Netzwerke - da tut sich einiges" in der Evangelischen Akademie, Herzog-Wilhelm-Straße 24, vorstellen. Beginn ist um 19 Uhr. Geladen ist auch Anja Huber vom Sozialreferat. Sie wird über Aktivitäten in den Nachbarschaftstreffs sprechen.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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