Rathaus:Deutscher Meister sein reicht nicht, um ins Goldene Buch der Stadt zu kommen

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Sportvereine dürfen lediglich in einem Gästebuch unterschreiben - der FC Bayern nicht einmal mehr das.

Von Martin Bernstein

Das Triple hätte es schon sein müssen. Mit dem Halbfinal-Aus in der Champions League bleibt Manuel Neuer, Philipp Lahm, David Alaba, Thomas Müller und Franck Ribéry jetzt vorerst das verwehrt, was Joseph Ratzinger sowie dem früheren Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage, und Kaiser Wilhelm II. gelang: nämlich zweimal im Goldenen Buch der Stadt München vertreten zu sein. "Die Bayern haben sich selbst die Messlatte hochgehängt", sagt Matthias Kristlbauer vom Presse- und Informationsamt der Stadt.

Wenn ein Sportverein "nur" mal eben Deutscher Meister wird (wie die Eishockeyspieler des EHC München), dann gibt es dafür lediglich einen Eintrag im Gästebuch der Stadt. Für die Bayern nicht mal mehr das - zu oft gewinnen die, zu normal sind Titel.

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Das Gästebuch ist kleiner und schmuckloser als das 60 mal 42 Zentimeter messende "Goldene Buch der Landeshauptstadt München". Der Begeisterung der Kufenflitzer hat das bei der Zeremonie keinen Abbruch getan: "Die haben sich richtig gefreut", sagt Marita Gießmann von der städtischen Protokollabteilung.

Gießmann ist die Hüterin des Goldenen Buchs. Die mehr als 300 Büttenpapierseiten des schweren Wälzers sind in weißes Schweinsleder gebunden und mit Beschlägen in Goldblech sowie mit dem Relief des Münchner Kindls verziert. Den Entwurf zeichnete Rolf Goldschmitt.

In der ehemaligen Silberkammer, dem einzigen Raum des Rathauses, der komplett mit Gittern und einer zweiten Tür aus Eichenholz mit schweren Beschlägen gesichert ist, und dessen genaue Lage im Hauberrisser-Bau aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben soll, wird das Goldene Buch verwahrt. Die Besucher unterschreiben entweder im kleinen Sitzungssaal oder im Hauberrisser-Zimmer.

Erst 21 Einträge sind im 21. Jahrhundert dazugekommen

Einen Mann gibt es jedoch, der sich weit öfter im Goldenen Buch verewigt hat als Joseph Ratzinger, Wilhelm von Hohenzollern und die Spieler des FC Bayern zusammen: Peter Steger, der in Zamdorf die Schmuckzeilen gestaltet, unter die die gekrönten Häupter, Staats- und Regierungschefs, Spitzensportler und Kirchenvertreter dann ihre Unterschriften setzen dürfen.

In dem 1963 begonnenen Buch ist noch viel Platz: Erst 21 Einträge sind im 21. Jahrhundert dazugekommen. Wer sich eintragen darf (und wer mit dem Gästebuch vorlieb nehmen muss), entscheidet der OB zusammen mit der städtischen Protokollabteilung.

Und vor 1963? Wer das wissen will, muss in die Winzererstraße fahren. Im Stadtarchiv wird der Vorgänger des Goldenen Buchs verwahrt, das "Fremdenbuch". "Zimelie" nennen Archivare so ein Kleinod. Anton Löffelmeier, verantwortlich für den Lesesaal des Archivs, spricht von einem "Heiligtum".

Auf einem Rollwagen wird es hereingefahren. Es ist genauso groß wie der zweite Band im Rathaus. Der braune Lederdeckel hat aber schmiedeeiserne Beschläge. Vorsichtig wird das Trumm auf ein Kissen gebettet, Umblättern ist nur mit weißen Seidenhandschuhen erlaubt.

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Eine kolorierte Federzeichnung des damals 46-jährigen Künstlers Ferdinand Barth, eines gebürtigen Partenkirchners, eröffnet den Prachtband. Doch schon beim ersten Umblättern folgt die Ernüchterung. "Wilhelm, Deutscher Kaiser, König von Preußen, 2. X. 1888" steht da. Sonst nichts. Keine Schmuckzeile, kein Anlass der Eintragung, kein Sinnspruch.

Nach dem kaiserlichen Eintrag geht es dann formal schmucklos, inhaltlich dafür aber umso kunterbunter weiter: Monarchen neben einem Polarforscher, Geistliche neben Schriftstellern, Politiker - und Männergesangsvereine. Immer wieder Männergesangsvereine, aus Zürich, Wien, Dortmund . . . Sie müssen im Münchner Rathaus eine starke Lobby gehabt haben.

Eine Delegation aus Coburg trägt sich am 12. Mai 1920 ein anlässlich des Anschlusses ihres kleinen fränkisch-thüringischen Ländchens an Bayern. Eine der seltenen Widmungen stammt von der "Kinderhilfsmission der Quäker. Amerikanisches Komitee für die Linderung der Not deutscher Kinder". Der Wunsch, die Hilfsaktion möge zur Freundschaft der beiden Völker führen, sollte indes erst viel später wahr werden.

Erst am 13. Mai 1947 setzen die Einträge wieder ein

Von 1933 an klafft im Buch eine lange Lücke. 1937 sollte ein neues Wappen angebracht werden, das laut Brigitte Huber nach 1945 wieder beseitigt wurde. Die Seiten aus der NS-Zeit sollen dabei angeblich ebenfalls entfernt und ersetzt worden sein. Oder gab es nach 1933 ein neues Buch, weil Hitler sich nicht im selben Band verewigen wollte wie etwa der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert?

Im Archiv existiert lediglich ein Gästebuch, das der Nazi-OB Karl Fiehler für den von ihm mit Beschlag belegten Tannhof in der Willroiderstraße anlegen ließ. Es beginnt im Januar 1938 mit einer Signatur Hitlers und bricht am 16. April 1943 ab - ausgerechnet mit einem Empfang der Kriegsschadenämter. Im Gedenkbuch der Stadt setzen erst am 13. Mai 1947 die Einträge wieder ein. Der letzte der 3185 Namen ist der des zyprischen Vizepräsidenten Fazil Kütchül. Danach wurde das neue Buch angelegt.

Ursprünglich stand der Name "Goldenes Buch" übrigens für etwas ganz anderes - eine Sammelmappe mit Schmuckblättern Münchner Künstler. Doch so richtig kam das 1889 beschlossene Projekt nicht vom Fleck: Die Künstler lieferten nicht, und Rathaus-Schöpfer Georg Hauberrisser, der das Buch gestalten sollte, kam auch nicht voran. Er entwarf lieber einen Schrank, in dem die Loseblattsammlung bis 1913 untergebracht war.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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