Prozess:Komischer Geruch in Wohnung löst sieben Jahre langen Rechtsstreit aus

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  • Ein Paar bemerkte in seiner Münchner Wohnung einen unangenehmen Geruch, doch ein Gutachter konnte keine Gefahr feststellen.
  • Die Mieter verschwanden, die Vermieterin klagte auf Räumung - und die Mieter starteten eine Widerklage.
  • Seit Jahren sehen sich beide Parteien regelmäßig vor Gericht, eine Einigung ist bislang nicht in Sicht.

Von Stephan Handel

Der entscheidende Satz fällt nach ungefähr zwei Stunden Verhandlung und nach sieben Jahren Streit. Um genau zu sein: Der Satz steht sinngemäß eigentlich schon in einem Gutachten aus dem Jahr 2010. Weil ein Mann und eine Frau aber nicht akzeptieren wollen, was mehrere Sachverständige und diverse Gerichte in einer Vielzahl von Verfahren festgestellt und entschieden haben, weil die beiden zudem offensichtlich das Wesen eines Gerichtsverfahrens nicht verstehen, ist das, was sich Mittwochfrüh am Amtsgericht abspielt, ein Lehrbeispiel für die oftmals beklagte Überlastung der deutschen Gerichte.

Im Jahr 2010 wohnen Marion Stein und Michael Bauer schon acht Jahre in einem gemieteten Haus an der Stilfserjochstraße in Untergiesing, als sie plötzlich finden, dass etwas nicht in Ordnung sei. Zu diesem Gefühl stellt sich die passende Sinneswahrnehmung umgehend ein: Es riecht. Ob nach Kot oder nach Desinfektionsmitteln, ist nicht so recht klar; erst als die beiden unter dem Parkett eine schwarze Schicht entdecken, entscheiden sie, dass es wohl nach Teer riechen müsse.

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Die Vermieterin schickt einen Gutachter, dieser findet, dass die Wohnung muffig rieche, aber nicht nach Teer. Seine Messungen ergeben einen erhöhten Naphthalin-Wert in der Luft, zwölf Mikrogramm pro Kubikmeter. Das ist nicht schön, aber richtig gefährlich ist es auch nicht: Als gesundheitsgefährdend wird damals eine Konzentration von 20 Mikrogramm angesehen, mittlerweile wurde der Wert erhöht, auf 30 Mikrogramm. Also sagt der Gutachter: Keine Gesundheitsgefahr, aber saniert werden sollte schon, mittelfristig.

Der Gutachter von damals heißt Dieter Busch, er ist Physiker und gibt als besondere Fachgebiete die schöne Liste "Schadstoffe, Luftdichtheit und Gerüche" an. Zu seinem damaligen Gutachten und der Situation in dem Haus sagt er heute noch: "Es war eine völlig überzogene Maßnahme, die Wohnung zu verlassen" - der entscheidende Satz.

Das aber taten Marion Stein und Michael Bauer, sie zogen in eine Wohnung nach Burghausen, die Steins Eltern gehörte. Miete für das Münchner Haus zahlten sie auch keine mehr. Kein Wunder, dass die Vermieterin schließlich auf Räumung klagte - und Recht bekam. Da hatte sich bei den nunmehrigen Beklagten aber schon die Ansicht festgesetzt, dass sie Opfer seien, der Giftstoffe, der Gutachter, der Gerichte.

Die Vermieterin sitzt auf hohen Mietschulden

Die Vermieterin - die das Haus mittlerweile verkauft hat - sitzt bis heute auf Mietrückständen von mehr als 25 000 Euro, die sie nun einklagt, allerdings ohne große Hoffnung, denn zu holen ist bei beiden Beklagten wenig bis nichts. Dafür aber haben sie eine umfangreiche Widerklage erhoben, deren angebliche Schadenssumme die ausstehenden Mietzahlungen um das Sechs- bis Siebenfache übersteigt.

Frank Zillich, der Rechtsanwalt der Vermieterin, sagt, das habe er in 40 Jahren Anwaltschaft noch nie erlebt: dass er in einem Amtsgerichts-Verfahren für die Akten einen Rollkoffer brauche. 1300 Seiten sind bislang produziert worden, mehrfach haben die Richter am Amtsgericht gewechselt. Die jetzige Richterin erklärt der Beklagten mit Engelsgeduld, dass es um den Zustand der Wohnung zum Zeitpunkt ihres Auszugs gehe - dass also alle späteren Gutachten momentan irrelevant sind.

Ein Urteil ist noch nicht in Sicht

Das aber irritiert Marion Stein nur wenig. Unbeirrt fordert sie schriftliche Stellungnahmen, hat keine Zeit für weitere Termine, stellt Fragen, bei denen nicht nur der gegnerische Anwalt die Augen verdreht, und scheint sowieso die Gerichtsverhandlung mit einer Diskussionsveranstaltung zu verwechseln. Mit Müh und Not kann ihr Anwalt sie beruhigen.

Aber sicher nicht lange: Im Internet dokumentiert sie den Gang des Verfahrens akribisch und meinungsfreudig, wenn auch nicht sehr sachkundig. Damit wird sie wohl noch länger beschäftigt sein - die jetzige Richterin wird versetzt; wenn es ihr nicht gelingt, beim Termin am 3. Mai zu einem Urteil zu gelangen, kann ihr Nachfolger noch einmal von vorne beginnen.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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