Prozess in München:Angriff im Wahn

Lesezeit: 2 min

  • Ein psychisch kranker Webdesigner muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung am Landgericht München I verantworten.
  • Er hatte im Wahn ein türkisches Ehepaar angegriffen und den Mann schwer verletzt.
  • Im Verfahren geht es um die Unterbringung des schuldunfähigen Mannes in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung.

Von Christian Rost

Der Mann schrie, er sei der "Hüter des Nationalsozialismus", und fiel über das türkische Ehepaar her. Mit den Fäusten traktierte der 28-jährige Christoph G. am 26. April dieses Jahres mitten in der Nacht auf der Freisinger Landstraße zunächst den völlig perplexen 32-jährigen Ehemann und nahm dann die Verfolgung der 27-jährigen Frau auf. Erst als sich die Polizei näherte und Zeugen eingriffen, ließ G. von dem Paar ab.

Seit Mittwoch wird dieser Fall von gefährlicher Körperverletzung am Landgericht München I verhandelt. Es geht aber nicht um die Bestrafung des an paranoider Schizophrenie leidenden und somit schuldunfähigen Mannes, sondern um seine Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für gemeingefährlich.

Auf der Flucht vor den Eltern

Diesen Eindruck machte der Webdesigner auf der Anklagebank nicht. Schüchtern und selbst schwer erschüttert von seiner Tat gab er bereitwillig über sich Auskunft. Allerdings ist er mittlerweile im Isar-Amper-Klinikum mit Medikamenten soweit eingestellt, dass seine Psychosen nicht mehr wie im bisherigen Ausmaß zum Ausbruch kommen können.

Tage vor dem Übergriff in München hatte der eigentlich in Wien lebende Webdesigner einen heftigen psychotischen Schub bekommen und die Wahnvorstellung entwickelt, seine Eltern wollten ihn umbringen. Seinen Angaben zufolge setzte er sich kurzerhand in einen Zug, um vor den Eltern zu flüchten, und begab sich auf eine Odyssee durch Deutschland: Er war in Hannover, Hamburg, Berlin, Braunschweig, ehe er in München anlandete.

Im Zug hatte ein anderer Fahrgast über seine Zeitung hinweg über Flüchtlinge geschimpft, worauf sich die Psychose G.s veränderte: Nun war er überzeugt, dass "die Nazis wieder die Macht an sich gerissen haben" und nach seinem Leben trachteten. Er glaubte, sich in "Prüfungen" beweisen zu müssen, damit er nicht getötet wird. Seine erste Prüfung, davon war er überzeugt, sollte ein Besuch des Deutschen Museums sein, wo er "Hitler nachspielen" wollte. Ein Wachmann wies in am Hintereingang des Gebäudes jedoch ab und schickte ihn weg. Dann begab sich G. auf eine lange Wanderung.

Überfall auf ein nichtsahnendes Ehepaar

Stundenlang lief er barfuß die Isar in nördlicher Richtung entlang bis zum Klärwerk Großlappen. Dort traf er gegen 1.20 Uhr das an der Freisinger Landstraße entlangradelnde, nichts ahnende Ehepaar. In seinem Wahn meinte G., dies sei eine erneute "Prüfung der Nazis", und holte den Ehemann mit einem gezielten Faustschlag ins Gesicht vom Rad.

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Als sich der Mann wieder aufgerappelt hatte, schlug G. noch mehrmals zu und brach ihm Nase und Jochbein. Die Frau lief davon und alarmierte mit ihrem Handy die Polizei. Auch der Ehemann ergriff die Flucht, woraufhin G. beiden nachsetzte, sie aber nicht mehr zu fassen bekam. Polizisten nahmen G. in Gewahrsam. Seither ist er vorläufig in der Psychiatrie untergebracht.

Vor der 20. Strafkammer unter dem Vorsitz von Sigrun Broßardt legte er ein umfassendes Geständnis ab und entschuldigte sich. "Ich bin krank, ich hatte ein Psychose", sagte der Beschuldigte. Auch bei dem türkischen Ehepaar entschuldigte er sich und bat 1000 Euro Wiedergutmachung in einem Täter-Opfer-Ausgleich an. Doch der noch immer von der Tat schwer mitgenommene Ehemann konnte beides nicht annehmen: "Sie wollten bis zum Ende gehen", sagte der Zeuge, der insbesondere Angst um seine Frau hatte. Weiter meinte er: "Ich hätte niemals gedacht, dass so etwas in einer sicheren Stadt wie München passieren kann." In dem noch auf zwei Tage angesetzten Prozess kommt es nun auf die Gefahren-Prognose der psychiatrischen Sachverständigen an.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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