Ohne Wohnung keine Arbeit:So soll Wohnungslosen in München geholfen werden

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Baustelle für ein Clearinghaus für Wohnungslose in München. (Foto: Florian Peljak)
  • Die Zahl der Wohnungslosen ist innerhalb der vergangenen elf Monate um ein Fünftel gestiegen. 6782 Menschen sind in München zurzeit betroffen.
  • Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, hat sich das Münchner Netzwerk Wohnungslosenhilfe gegründet.

Von Anna Hoben

Es kann jeden treffen. Ein Schicksalsschlag, der Verlust der Arbeit, die Trennung vom Partner - all diese Dinge können der Beginn einer Abwärtsspirale sein, an deren Ende der Verlust der Wohnung stehen kann. Die Zahl der Menschen, die dies betrifft, wächst: Innerhalb der vergangenen elf Monate ist sie um ein Fünftel angestiegen. 6782 Menschen sind in München zurzeit wohnungslos gemeldet; Ende 2015 waren es 5454. Die meisten leben in Notquartieren, Clearinghäusern, Verbandseinrichtungen und Beherbergungsbetrieben. Schätzungsweise 550 Menschen leben obdachlos auf der Straße. Wie viele es tatsächlich sind, will die Stadt nächstes Jahr untersuchen.

Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen und idealerweise Abhilfe zu schaffen, hat sich jetzt das Münchner Netzwerk Wohnungslosenhilfe gegründet. In ihm sind fortan fünf soziale Träger zusammengeschlossen, die verschiedene Angebote für wohnungslose Menschen zur Verfügung stellen: der Sozialdienst katholischer Frauen, der Katholische Männerfürsorgeverein, das Evangelische Hilfswerk, der Internationale Bund und der Verein Wohnhilfe. Das Netzwerk soll Ressourcen bündeln und den Anliegen wohnungsloser Frauen, Männer und Familien mehr Gehör in der Öffentlichkeit verschaffen.

Schirmherrin ist Petra Reiter, die Ehefrau von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Sie wolle das Bewusstsein dafür schärfen, dass niemand vor dieser Erfahrung gefeit sei, sagt sie, "auch nicht in einer wohlhabenden Stadt wie München". Ziel müsse sein, den Ausweg aus der Abwärtsspirale zu schaffen - und den fatalen Kreis zu durchbrechen. "Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung." Zudem wolle man noch mehr Menschen dafür gewinnen, sich in dem Bereich zu engagieren. Mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit, mit Geld- oder Sachspenden.

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In München werde zwar seit Jahrzehnten sehr viel für Wohnungslose getan, sagt Gordon Bürk, Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks. Die Hilfe funktioniere deutlich besser als zum Beispiel in Berlin oder Hamburg. Leider gehe dies immer wieder "ein Stück weit unter". Das neue Netzwerk solle deshalb auch, "gute Geschichten nach außen tragen".

Auch Ludwig Mittermeier, Vorstand des Katholischen Männerfürsorgevereins, hat beobachtet, dass die vielfältigen Hilfsangebote seitens der Stadt, des Bezirks Oberbayern und der Verbände kaum öffentlich wahrgenommen würden. Vielmehr gelinge es manchen Initiativen, "immer wieder den Eindruck zu erwecken, dass für diesen Personenkreis viel zu wenig oder gar nichts getan wird". Insofern soll das Netzwerk auch populistischen Sprüchen etwas entgegensetzen; etwa jenem, dass für Flüchtlinge angeblich mehr getan werde als für die einheimische Bevölkerung.

Dass die Zahl der Wohnungslosen in kurzer Zeit so drastisch gestiegen ist, hängt vor allem mit der Zahl der sogenannten Fehlbeleger und Statuswechsler zusammen. Dabei handelt es sich um jene Geflüchteten, die als Asylbewerber anerkannt sind, aber noch keine Wohnung gefunden haben und immer noch in einer Gemeinschaftsunterkunft leben. Sie machten etwa 1000 von den knapp 6800 Wohnungslosen aus, so ein Sprecher des Sozialreferats. In früheren Statistiken seien es nur etwa 150 bis 200 gewesen.

Bis Menschen aus der Wohnungslosigkeit herausfinden, "das dauert immer länger", sagt Ludwig Mittermeier. Und das sei "zu 100 Prozent dem Wahnsinn des Münchner Mietmarkts geschuldet". Aber auch bis Menschen sich überhaupt Hilfe suchen, vergeht oft viel Zeit. "Vor allem Frauen warten lange, weil sie sich schämen", so Elke Prumbach, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen.

Auch die Jüngsten leiden unter der Lebenssituation ihrer Eltern. 1500 Kinder leben zurzeit in München in Beherbergungsbetrieben, Notquartieren oder Clearinghäusern. Durch den Umzug verlieren sie oft Freunde. Sie gehen weiter zur Schule; doch in dem neuen beengten Wohnumfeld eine Lernatmosphäre für Hausaufgaben zu schaffen, ist schwierig. Dass sie zudem nicht wissen, wann es wieder vorbei ist mit der Übergangslösung, das sei für Kinder besonders belastend, so Prumbach.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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