Paul Huf beteuert, dass er es versucht hat. Eine halbe Stunde lang, am Marienhof, gegenüber vom Dallmayr. "Es war furchtbar", sagt er. Sein Blick ist ernst, die Erscheinung des 49-jährigen Künstlers mit dem Stoppelbart und der Ballonseidenjacke wirkt nicht verwahrlost, jedoch alles andere als frisch gewaschen. Huf berichtet von seinem ersten und gescheiterten Versuch, auf der Straße zu betteln.
Neben ihm sitzen auf einer Parkbank am Königsplatz zwei ebenfalls etwas verwilderte, aber ernst drein schauende Männer: Uli Oesterle, 50, Illustrator und Comic-Künstler sowie Lars Mentrup, 40, Hufs Aktionskunst-Kollege sowie Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Schwabing-Alte Heide. Das Trio wirkt erschöpft - und erschüttert. Den dritten Tag sind die Männer nun "auf Platte", wie es im Jargon heißt, wenn Menschen obdachlos umherstreifen. "Ich werde diese drei Tage mein Leben lang nicht vergessen", versucht Oesterle die Erlebnisse in Worte zu fassen. Lars Mentrup sagt: "Es war eine existenzielle Erfahrung."
Fotografie:"Ich werde hier rauskommen"
Martin Schoeller fotografiert Obdachlose in Los Angeles, wie er schon George Clooney und Angela Merkel porträtierte. Er will damit eine Suppenküche retten - und den Menschen eine Stimme geben.
Er sagt das auch am Abend vor gut 40 Besuchern im Maximiliansforum am Altstadtring, dem Abschlusstermin ihres Selbsterfahrungstrips, eines sozialen Kunstprojekts: Die drei Männer gaben Geld, Kreditkarten, Handys ab, um drei Tage lang so realistisch wie möglich in die Rolle von bettelarmen Wohnungslosen zu schlüpfen. Es geht ihnen ums Erspüren des faktischen Armuts-Alltages. Als "eine Annäherung" will Huf das verstanden wissen, denn: Sie können, anders als tatsächlich Betroffene, wieder zurück in ihr gesichertes Leben. Dennoch haben die drei Tage des Vagabundierens tiefen Eindruck hinterlassen. "Es ist entwürdigend", sagt Huf und meint damit nicht nur das Betteln, das er nur eine halbe Stunde ausgehalten hat: "Es ist erschreckend, wie schnell man in der Rolle des Obdachlosen gefangen ist."
Das Trio hatte nur das Nötigste dabei: Jacke, Pulli, lange Unterhose, Schlafsack, Isomatte. Eine Ahnung davon, wie es ist, ganz unten zu sein, bekamen sie schon während der ersten Nacht bei fünf Grad und Nieselregen unter einem Arcaden-Bogen der Neuen Pinakothek. Morgens um sechs Uhr schnüffelte ein Hund an Hufs Gesicht: "Da fühlte man sich wie Kehricht."
Zur Vorbereitung hatte das Interims-Clochard-Team Obdachlose gefragt, wie man sich durchschlägt. Der schlichte Tipp: Flaschen sammeln. Aus Mülltonnen. "Das ist ein knochenharter Job", weiß Mentrup jetzt. Einerseits körperlich, denn es ging stundenlang durch die Stadt, um Abfallkörbe zu durchwühlen. Andererseits mental, denn dabei mussten die Männer auch die geringschätzigen Blicke der Passanten ertragen. "Es ist unglaublich demütigend", sagt Uli Oesterle. Und auch der Lohn der Mühen ist bescheiden: Am ersten Tag kamen nur 11,27 Euro Pfand zusammen.
"Es kann jeden treffen und es kann sehr schnell gehen"
Konsterniert registrierte das Künstler-Trio nach der zweiten Nacht unter freiem Himmel in einer Nische an der Glyptothek, dass sie alle drei den muffeligen Geruch aus Schweiß und Schmutz ausdünsteten. Den "Geruch der Armut" nennt es Mentrup. Sie wurden ihn nicht mehr los, ebenso wie die Dutzende tatsächlich armen Menschen, denen sie begegneten. Den meisten in Anlaufstellen, wo Helfer kostenlos ein warmes Essen anbieten: in der Sankt-Anna-Kirche im Lehel oder im Kloster St. Bonifaz an der Karlstraße. Von den Gesprächen glaubt Huf nun zu wissen: "Es kann jeden treffen und es kann sehr schnell gehen."
Das sagt auch Frater Emmanuel Rotter, der vor 25 Jahren die Wohnungslosenhilfe in St. Bonifaz gegründet hat. Jeden Tag werden dort bis zu 250 Essen ausgegeben, täglich kommen gut 90 Obdachlose, um sich zu waschen. Rotter weiß von etlichen, die sich jahrelang um eine Sozialwohnung bemühen. Doch die Stadt hat, wie auch ein Sprecher bestätigt, zu wenige zur Verfügung. "Viele sitzen die Wartezeit auf Platte ab", sagt Rotter.
Ursprünglich wollten Huf, Mentrup und Oesterle das Projekt mit Freiwilligen durchziehen. Die sieben, die sich gemeldet hatten, sagten aber kurzfristig ab . . .