Null Acht Neun:Raus aus der Filterblase

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Die Stadt lernt man erst kennen, wenn man sich mal in Viertel wagt, in die man sonst nicht so oft kommt

Von Johan Schloemann

Wichtige Meldung: Ich war in Neuhausen. Das hat für sich genommen, zugegeben, keinen allzu dramatischen Nachrichtenwert. Aber in meiner Filterblase ist es eine Eilmeldung. Was wir bisher wissen: Der Autor hat sein natürliches Münchner Habitat verlassen. Was wir noch nicht wissen: Wohin das führen soll.

Um beherzte Gesamturteile über eine Stadt zu fällen, ist ja eigentlich eine übermäßig detaillierte Kenntnis ihrer Teile zu vermeiden. Das gilt für missgünstige Städtehasser ebenso wie für die, die begeistert ein angeblich einzigartiges Lebensgefühl beschwören. Die "Städtebeschimpfungen" von Thomas Bernhard füllen zum Beispiel ein ganzes, lustiges und trauriges Buch, das neulich bei Suhrkamp herausgekommen ist. Und an patriotischen Städteschwärmereien ist ja wiederum auch kein Mangel. Beides macht auch wirklich viel Spaß. Und man braucht es wohl auch, um die Wirklichkeit der Großstädte irgendwie zu bewältigen, ohne dass die eigene kleine Alltagsinsel darin kläglich versinkt.

Trotzdem muss ich, um die Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, an dieser Stelle gelegentlich auch mal neue Flanierergebnisse vorweisen. Deshalb also: Neuhausen. Nicht dass ich noch nie dort gewesen wäre, zu einem Termin, zu einer Verabredung; aber eben noch nie freiwillig, einfach so.

Darauf gebracht hat mich ein ebenfalls neu erschienenes Buch, das vielleicht im Moment das schönste und klügste Gegenmittel zur Städtebeschimpfung à la Bernhard ist: Es heißt "München geheim", ist geschrieben von Judith Lohse und erschienen im August-Dreesbach-Verlag im Westend. Die Autorin hat sich das Buch zum Teil in ihrer Elternzeit erradelt und erschoben. Soeben hat es einen der "ITB Buch-Awards 2017" der Internationalen Tourismusbörse Berlin zugesprochen bekommen, in der Kategorie "besonderer Reiseführer"; und das, nach meinem ersten kleinen Praxistext zu urteilen, völlig zu Recht.

Der Münchner Westen ist mir in weiten Teilen städtebaulich leider nicht begreiflich. Zusammenhanglose Wohnkästen, die von Autobahnauffahrten, undurchdringlichen Verwaltungsblöcken und Gewerbeflächen umstellt sind, machen mich orientierungslos. Und dafür, dass in dieser Stadt angeblich so wenig Platz sein soll, wirkt das Ganze unverantwortlich weitläufig. Umso froher bin ich für jeden Hinweis auf zivilisatorische Oasen. Wenn alles in jenen Gegenden "Stadt" im engeren Sinne wäre, könnte man sich ja einfach treiben lassen; stattdessen aber ist man auf chirurgisch präzise Tipps angewiesen, um nicht an der nächsten Verkehrsschneise zu stranden.

Darum hier mein großer Dank an "München geheim". Allein die Empfehlung von ein paar schönen Läden und Cafés rund um die Schulstraße hat mich vor vielen Irrfahrten und Vorurteilen bewahrt. Filterblase? Ich glaube, bald bin ich auch bereit für den Pasinger Viktualienmarkt, das Kieswerk in Waldperlach und die Bio-Imkerei in Johanneskirchen.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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