Neuperlach:Umstrittene Genehmigungspraxis

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Nun klagen die Nachbarn gegen das Gewofag-Projekt an der Carl-Wery-Straße, das um zwei Stockwerke höher ausfallen soll als ursprünglich vorgesehen. Die Stadt hat dafür eine Befreiung vom Bebauungsplan erteilt

Von Hubert Grundner, Neuperlach

An warnenden Stimmen hat es nicht gefehlt: Schon seit längerem kritisieren die Mitglieder des Bezirksausschusses (BA) 16 Ramersdorf-Perlach, dass die Stadt immer öfter Bauwerbern eine Befreiung von gültigen Bebauungsplänen erteilt. Eine Praxis, die, selbst wenn sie dem hehren Ziel dient, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, den Lokalpolitikern rechtlich zumindest fragwürdig erscheint. Diese Einschätzung wird ganz offensichtlich auch von einigen Anwohnern in Neuperlach geteilt. Sie haben jetzt vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das Gewofag-Bauprojekt an der Carl-Wery-Straße erhoben. Ziel ihres Einspruchs: Die beiden obersten Stockwerke der Neubauten sollen nicht errichtet werden dürfen. Ihre Begründung: Der geltende Bebauungsplan sieht statt einer acht- nur eine sechsgeschossige Bebauung vor.

Bei den Klägern handelt es sich um eine Wohnungseigentümergemeinschaft aus der Curd-Jürgens-Straße. Eingereicht hat ihre Klage beim Verwaltungsgericht München der Rechtsanwalt Xaver Finkenzeller von der Kanzlei Schönefelder Ziegler Lehners. Genauer gesagt, Finkenzeller hat im Namen seiner Mandanten beim VG einen Eilrechtsantrag gestellt. Zu diesem Schritt sah er sich gezwungen, da es nicht selten bis zu eineinhalb Jahre dauert, ehe eine Klage am VG verhandelt wird. Bis dahin aber, so der Anwalt, wären auf der Baustelle vermutlich längst Tatsachen geschaffen worden. Deshalb wolle man per Eilrechtsantrag die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erwirken. Denn auf diesem Weg würde die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Im Klartext heißt das, dass jetzt das Verwaltungsgericht die Stadt zunächst auffordern wird, zu der eingereichten Klage Stellung zu nehmen. Finkenzeller rechnet damit, dass dies in den nächsten 14 Tage geschieht.

Wird ein Bauprojekt realisiert, indem Befreiungen vom Bebauungsplan erteilt werden, haben Nachbarn in der Regel keine Einspruchsmöglichkeit. Allerdings sage der Gesetzgeber, so Finkenzeller, dass eine Befreiung nur möglich sei, wenn davon die Grundzüge der Bebauung nicht betroffen sind. Im Falle der Carl-Wery-Straße aber könne davon keine Rede sein. So seien jetzt 438 statt der ursprünglich genehmigten 327 Wohnungen geplant. Dadurch aber, dass Tausende Quadratmeter Wohnfläche auf den Komplex draufgepackt werden, sei auch die Geschossflächenzahl (GFZ) auf den Wert 1,6 hochgeschnellt. Somit wären auch keine "gesunden Wohnverhältnisse" mehr gegeben, für die laut Finkenzeller als gesetzliche Obergrenze eine GFZ von 1,2 gelte. Trotz des absehbaren Verkehrszuwachses sei auch kein einziger zusätzlicher Stellplatz vorgesehen worden.

All das, so der Anwalt weiter, lasse sich nicht im Rahmen einer Befreiung vom Bebauungsplan regeln. Somit wird das Verwaltungsgericht entscheiden müssen, ob die Baugenehmigung rechtswidrig ist.

Der Eindruck, dass die Stadt mit Hilfe dieses Instruments insbesondere die eigenen Wohnungsbaugesellschaften bevorzugt, scheint sich indes nicht zu bestätigen. Auf Anfrage heißt es von Seiten der GWG, man verfolge derzeit kein Projekt, bei dem die Befreiung vom Bebauungsplan in Aussicht gestellt wurde. Und für die Gewofag erklärt Geschäftsführer Klaus-Michael Dengler: Das Projekt an der Carl-Wery-Straße ist aktuell der einzige Fall, bei dem von der Baugenehmigungsbehörde umfangreichere Befreiungen vom Bebauungsplan gewährt wurden."

Trotzdem scheint die Stadt dieses Instrument immer öfter anzuwenden, meist mit dem Argument, man müsse ja Wohnraum schaffen. Diesen Eindruck hat zumindest BA-Vorsitzender Thomas Kauer (CSU): "Im Prinzip sind wir damit fast in jeder Sitzung befasst." Der Anfang sei bei einem Bauprojekt der Patrizia an der Nawiaskystraße gemacht worden. Ein weiteres Beispiel finde sich an der Max-Kolbe-Allee. Dort sei ein Gebäude um zwei Stockwerke von drei auf fünf aufgestockt worden. Und bei einem Objekt an der Irma-Uhrbach-Straße habe bei einem Objekt zunächst Baurecht für vier Stockwerke bestanden. Durch Befreiung vom Bebauungsplan sei schließlich eine fünfte Etage sowie ein Terrassengeschoss hinzugekommen.

Kauer sieht in diesem Vorgehen ein grundsätzliches Problem: "Man hat sich ja was gedacht, als praktisch ganz Neuperlach nach Bebauungsplan gebaut wurde." Passt die Infrastruktur, fügt es sich ein? Solche Fragen versuchte man damit zu beantworten. Wobei diese Abwägungsprozesse im Bebauungsplan - über Auslegungen, Anhörungen, Einspruchsmöglichkeit - transparent stattfinden. Ganz anders bei einer Befreiung vom Bebauungsplan - die finde auf dem Verwaltungswege, also ohne Öffentlichkeit und meist sehr schnell statt. Das irritiere die Bürger ungemein, warnt Kauer. Und so pflege die Stadt auf der einen Seite manchmal eine Bürgerbeteiligung de luxe, wie bei der Siedlung an der Haldenseestraße. Im Falle einer Befreiung hingegen verweigere sie den Betroffenen das Gehör. Die können dann das Projekt hinnehmen - oder eben klagen.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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