Neuperlach:Demokratie beginnt am Hachinger Bach

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Bei der Perlacher Kinderkonferenz machen Buben und Mädchen auf Missstände vor ihrer Haustüre aufmerksam. Sie haben sich mit dem "Kinder-Aktions-Koffer" auf den Weg gemacht, um danach den Erwachsenen ihre Meinung zu sagen

Von Charlotte Schulze, Neuperlach

Wer am vergangenen Freitag die Mensa des Schulzentrums an der Quiddestraße betrat, hätte zunächst den Eindruck haben können, es handle sich um eine gewöhnliche Bürgerversammlung, die dort am Nachmittag gehalten wurde. Auf der Bühne trugen Bürger Anliegen vor, die von allen diskutiert und durch eine Abstimmung beschlussfähig gemacht oder aber abgelehnt wurden. Doch auf der Bühne berichteten keine Männer und Frauen von den Problemen im Stadtviertel, sondern Jungen und Mädchen. Anstelle von gerade sitzenden Erwachsenen, baumelten Kinderbeine von den Stühlen im Podium. Es tagte die Perlacher Kinderkonferenz. Buben und Mädchen trugen vor, was sie seit März im Rahmen des Projekts "Kinder-Aktions-Koffer" entdeckt hatten, zeigten auf, was sich in ihrem Stadtviertel ändern muss.

Der Kinder-Aktions-Koffer wird einmal jährlich von der Kinderbeauftragten der Stadt und dem Kinder- und Jugendforum München in ein ausgewähltes Stadtviertel gebracht. In diesem Jahr war der Einsatzort des Koffers Perlach. Im Stadtviertel wird er dann für einige Monate in Schulklassen, Freizeitstätten und Horten eingesetzt. Der Koffer enthält alles, was Buben und Mädchen von sechs bis vierzehn Jahren brauchen, um Missstände entdecken und dokumentieren zu können: Kamera, Aufnahmegerät und Sofortbilddrucker.

Ne, das wollen wir nicht: Tierische Hinterlassenschaften auf Spielplätzen. (Foto: Florian Peljak)

"Der Hachinger Bach soll sauberer werden", lautete einer der ersten Anträge der Kinder in der Konferenz, in der politische Entscheidungsträger wie die Stadträtin Beatrix Burkhardt, die städtische Kinderbeauftragte Jana Frädrich und Mitglieder des Bezirksausschusses Ramersdorf-Perlach anwesend waren. Roberto, Cedric, Tamina und Tara aus der Grundschule Pfanzeltplatz stellten zunächst ihre Forderung dem Podium und den Politikern vor. Was die Präsentation ihres Anliegens anbelangt, könnte sich der eine oder andere Erwachsene wohl ein Beispiel an Roberto und seinen Mitschülern nehmen.

Anstelle eines Vortrags, bei dem die Missstände theoretisch erläutert wurden, stellten die Schüler ihr Anliegen einfach plastisch dar: Vor dem Podium floss der Hachinger Bach, symbolisiert von einem großen blauen Tuch auf dem Scherben und Müll lagen. Die Kinder hielten Lösungsvorschläge auf Plakaten in die Höhe: Abfalleimer, Tüten für Hundekot und ein Abfallsieb im Bach könnten Abhilfe schaffen. Kinder aus dem Publikum unterstützten die Forderungen und erzählten von ihren Erfahrungen mit Abfällen und tierischen Hinterlassenschaften.

Finger hoch und Mund auf hieß es bei der Konferenz der Kinder in Perlach. (Foto: Florian Peljak)

Nach der Diskussion folgte dann die entscheidende Frage der Moderatorin: "Wer ist für den Antrag, dass der Hachinger Bach sauberer werden soll?" Kinderhände schnellten in die Höhe. Eine Begleitperson der Kinder war so begeistert, dass auch sie sich meldete. Erlaubt war das natürlich nicht. Es zählten ausnahmsweise nur die Stimmen der Kinder. Und die sagten "Ja". Einstimmig. Die Antragsteller schlugen ein. Die stellvertretende Kinderbeauftragte Edyta Kolodziej erklärte sich zur Patin des Antrags. Sie wird sich gemeinsam mit den Kindern um das Problem kümmern.

Damit auf Worte auch wirklich Taten folgen, wurde die Patenschaft am Vertragstisch schriftlich festgehalten. "Ich finde es cool, dass auch wir Kinder mal was entscheiden dürfen", sagte Tamina. während sie Roberto dabei beobachtete, wie er selbstsicher den Antrag unterschrieb. Nur die kraklige Schrift verriet, dass Vertragsunterzeichnungen bisher nicht zu seinen Alltagsbeschäftigungen gehören. Das Konzept, dem Antrag einen Paten an die Seite zu stellen, hat in der Vergangenheit gut funktioniert. "In den letzten Jahren konnten zahlreiche Anträge der Kinder umgesetzt werden", resümierte Sybille Brendelberger vom Kinder- und Jugendforum: Unter anderem ein Freizeittreff in Berg am Laim oder aber ein Wasserspielplatz in Moosach. "Kinder lernen so früh, wie das mit der Demokratie funktioniert und vor allem, dass Politik keine Sache ist, die nur in Berlin stattfindet", ist Martin Hubert vom Bezirksausschuss überzeugt. Allerdings hat die Partizipation der jungen Bürger, genau wie die der älteren, auch ihre Grenzen. "Sobald die Anträge komplexe Verwaltungsvorgänge tangieren, wie es zum Beispiel bei Ampeln der Fall ist, wird es schwierig", erklärte Stadträtin Burkhardt.

Vor dem Podium floss der Hachinger Bach, symbolisiert durch ein großes blaues Tuch auf dem Scherben und Müll lagen. (Foto: Florian Peljak)

Einen Versuch ist es trotzdem wert. In der Kinderkonferenz in Perlach stellten die Mädchen und Jungen zuversichtlich einen Antrag nach dem anderen: Auf der Höhe Ottobrunner Straße 10 wird eine Verkehrsinsel gefordert, und auch der Echopark soll schöner werden. Die zehnjährige Aleyna stellte in der Pause fest: "Die Anträge sind kein Quatsch." Und weil die acht Anträge nicht "Quatsch", sondern fundiert sind, wurden fast alle mit großer Mehrheit angenommen. Die Kinder, die bei Anträgen mit "Nein" stimmten, mussten böse Blicke einstecken. Doch ihre Meinung wurde, wenn auch grummelnd, akzeptiert. Wie in einer Demokratie eben üblich.

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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