Neue Heimat:Beim Möbelkaufen werden die Menschen zu Kriegern

Ikea

Beim Möbelkaufen scheint es den Deutschen eher um Effizienz zu gehen als um Qualität.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Unser Kolumnist aus Syrien besucht ein Einrichtungshaus. Der Aufenthalt wird zum Marathon im Labyrinth.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ein Samstagnachmittag in einem Möbelhaus, irgendwo in München. Schon am Eingang kam ich mir vor wie in einem Ameisenhaufen. Männer, Frauen und Kinder, die mit vollbepackten Taschen durch Türen wuselten und mächtige Einkaufswagen in Aufzügen parkten. Manche sahen erleichtert aus, die meisten hatten aber diesen Blick, den man von Kriegern kennt, wenn sie vom Schlachtfeld kommen. Die Menschen, die mir entgegen kamen, hatten die Schlacht bereits hinter sich. Für mich ging es gerade erst los.

Weihnachten ist seit mehr als drei Wochen vorbei - und dennoch: Sobald die Menschen durch die Tür einer Möbelhauskette gehen, packt sie sofort wieder die Kaufwut. Noch immer habe ich dieses Bild vor mir: Männer und Frauen, die zentnerweise Möbel und Einrichtungsgegenstände vor sich herschieben. Ich habe ähnliche Bilder in Syrien gesehen, allerdings nur, wenn eine Hochzeit bevorsteht. In meiner früheren Heimat kauft man sich dann einmalig alle benötigten Sachen wie Möbel, Geschirr und Haushaltswaren ein.

In dem Möbelhaus, das ich für diesen Samstag auserkoren hatte, ging es den Kunden vor allem um Effizienz. Man prüft nicht, ob man Qualität kauft oder ein Glump, wie man hier in Bayern sagen würde. Diese Herangehensweise war für mich ganz neu. Denn in Syrien sagen wir: Eine Ehe hält nur dann lange, wenn man sich auch auf die gemeinsame Einrichtung verlassen kann. Viele Syrer, die wie ich gerade in Deutschland sind, haben sich ihr Haus nach diesem Prinzip eingerichtet. Wenn sie zurückkehren, müssen sie jedoch wahrscheinlich die meisten Sachen neu kaufen. Bomben machen nicht nur Häuser kaputt, sondern auch Möbel, Bilderrahmen und Stehlampen. Im Prinzip zerstören sie ganze Existenzen.

München hat ganz andere Herausforderungen, etwa dieses Möbelkaufhaus, das mit zunehmendem Aufenthalt mehr und mehr wie zu einem Labyrinth für mich wurde. Eine Karte mit eingezeichneten Wegen und Routen wäre hilfreich gewesen, um die kurvenreiche Strecke bis zum gewünschten Regal zu finden. Irgendwann stand ich in der Bettenabteilung, obwohl ich ein Regal suchte.

Einige Personen lagen in den Betten. Und wo ich schon einmal da war, legte ich mich dazu. Ich machte Pause in einem freien Gemach. Es war recht gemütlich, bis mich ein Mitarbeiter fragte, ob ich das Bett selbst mitnehme oder geliefert haben wolle. Etwas schade, dass Möbelhäuser ihre Betten überhaupt nicht zu Erholungszwecken aufstellen, sondern ausschließlich, um die Matratzen zu testen.

Nach vier Stunden Einkaufsmarathon hatte auch ich einen vollen Wagen, ich stieß noch mit jemandem zusammen und musste einiges wieder aufklauben - dann hatte ich es geschafft. Zumindest dachte ich das. Da wusste ich noch nicht, dass die Hauptarbeit noch kommt. Zu Hause, nachdem man die Bauanleitung aufgeschlagen hat.

Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon. Foto: Florian Peljak

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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